- Zahlen und Fakten
- Negative Folgen von Versiegelung
- Innen- vor Außenentwicklung
- Entsiegelung
- Das können die Rheinland-Pfälzer tun
- Das kann die Politik tun
Die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Juli hat das Thema Versiegelung und Flächenverbrauch wieder hochgespült, zumindest kurzfristig. Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) forderte im Juli: "Ziel muss es sein, die Neuinanspruchnahme von Flächen in Rheinland-Pfalz auf einen Hektar am Tag zu reduzieren." Doch wie geht es eigentlich unserem Boden in Rheinland-Pfalz? Wie viel lebensstiftende Erde verschwand in den vergangenen Jahren unter Beton und Asphalt? Braucht es nicht trotzdem an allen Ecken und Enden neuen, bezahlbaren Wohnraum und was kann der Einzelne tun?
Flächenverbrauch und Versiegelung in Rheinland-Pfalz und Deutschland
Damit nicht immer mehr wertvoller Boden verloren geht, hatte die Bundesregierung ursprünglich das Ziel ausgegeben, dass deutschlandweit bis 2020 täglich nur noch 30 Hektar an Boden für Bebauung und Verkehr verbraucht werden dürfen. Nachdem diese Marke nicht erreicht wurde, wurde der Zeithorizont auf 2030 ausgedehnt. De facto sind es laut Umweltbundesamt in den vergangenen Jahren im Durchschnitt noch immer an die 60 Hektar - oder rund 80 Fußballfelder, die am Tag als Naturflächen verloren gehen.
"Rechnet man die Vorgaben für Rheinland-Pfalz runter, dürften noch rund 1,6 Hektar am Tag verbaut werden", erläutert Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik am Umwelt-Campus Birkenfeld. Von diesen Flächen wird ein nicht unerheblicher Teil versiegelt - durch Straßen, Häuser, Carports, Gewerbegebiete oder auch Schottergärten. Im vergangenen Jahr waren 6,5 Prozent der gesamten Fläche von Rheinland-Pfalz mit Pflastersteinen, Beton und Asphalt bedeckt. "Insgesamt ist Rheinland-Pfalz teilweise deutlich unter den 1,6 Hektar geblieben", sagt Löhr. Das Land hat sich selbst das Nachhaltigkeitsziel gesetzt, den durchschnittlichen Flächenverbrauch am Tag bis 2030 auf unter einen Hektar zu begrenzen. Das ist sogar 2014 schon geglückt. Aber Löhr kritisiert: Wenn schon neuer Flächenverbrauch, dann bitte an der richtigen Stelle.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Rheinland-Pfalz weist in einem aktuellen Positionspapier zudem darauf hin, dass nach dem Unterschreiten des Ein-Hektar-Ziels die Entwicklung wieder nach oben gegangen sei. Zwar seien Erhebungsmethoden geändert worden, Daten nicht mehr ohne weiteres vergleichbar, aber: Es lasse sich sehr deutlich ein erneuter Anstieg des täglichen Flächenverbrauchs ablesen, so der rheinland-pfälzische BUND.
Warum ist die Versiegelung von Flächen schlecht?
Versiegelung und Flächenverbrauch bedeuten: Wasser durchdringt nicht mehr die Erde. Das Leben darin stirbt. "Wir sind im Moment in der sechsten Aussterbewelle nach dem Verschwinden der Dinosaurier - aber das ist viel zu wenig im Fokus", sagt Löhr, der sich intensiv mit den Folgen des zunehmenden Flächenverbrauchs beschäftigt. Das Artensterben finde tagtäglich statt. Wenn das Wasser nicht versickern kann, wirkt sich das zudem auf den Grundwasserspiegel aus - und auf Hochwassergefahren. Der Regen strömt über die versiegelten Flächen geradewegs in Bäche und Flüsse, die dadurch viel schneller anschwellen, als wenn ein großer Teil des Wassers versickern würde.
Daneben, so Löhr weiter, gebe es aber auch eine lange Liste an ökonomischen und sozialen Folgen des zunehmenden Flächenverbrauchs durchs Bauen. So würden in ländlichen Regionen immer weniger Menschen leben und doch würden gerade dort Neubaugebiete ausgewiesen. Die Infrastruktur müsse also für weniger Menschen dauerhaft aufrecht erhalten werden, egal ob Straßen, Kita oder Feuerwehr. Mit anderen Worten: Für die Gesellschaft als Ganzes ist das letztlich ein teurer Spaß.
Immer stärker ist Wohnraum in den vergangenen Jahren in Rheinland-Pfalz zu einem knappen Gut geworden. Dass es mehr Wohnraum braucht, steht außer Frage. "Und dieses Bauland gibt es, aber an den falschen Stellen", sagt Löhr. Es brauche auf dem Land keine Neubaugebiete. Wenn Neubauflächen ausgewiesen werden, dann sollte das in der Umgebung von Mainz und nicht in Birkenfeld stattfinden, so Löhr. An erster Stelle stehe aber der Leitsatz "innen vor außen". Bevor also in einer kleinen Gemeinde die Innenstadt verfällt und verrottet und einfach große Neubaugebiete am Außenrand ausgewiesen werden, sollten doch die bestehenden Bebauungen reaktiviert werden. Das spare Fläche und belebe auch die Innenstädte.
Das rheinland-pfälzische Innenministerium weist in einer Antwort auf eine SWR-Anfrage darauf hin, dass es das Ziel der Landesregierung sei, dass vor der Bebauung von Freiflächen im Außenbereich von Gemeinden zunächst die Flächenpotenziale innerorts genutzt werden. "Dieses Ziel der "Innen- vor Außenentwicklung" ist eine für die Bauleitplanung verbindliche Vorgabe, die im Landesentwicklungsprogramm verankert ist.", heißt es weiter.
Neubaugebiete wiederum sollte es nach Meinung von Löhr nur rund um die großen Städte geben. Hier allerdings scheitere das oft an unterschiedlichen Interessen: Die Speckgürtel sollten eine Entlastungsfunktion für die Städte haben. Die Gemeinden vor den Städten wehrten sich jedoch häufig dagegen. "Die Entlastungsfunktion müsste besser gesteuert werden." Davon abgesehen sagt Löhr: Wenn in Städten Baugebiete ausgewiesen werden, dann müsse dort kompakt gebaut werden, um Fläche zu sparen. "Das müssen keine Hochhäuser werden, aber Mehrfamilienhäuser können ja heute auch sehr schick sein."
Mehr Natur durch Entsiegelung
Experten fordern nicht nur eine Begrenzung des Flächenfraßes. Das Aufbrechen bestehender Versiegelungen könne, so Löhr, natürlich ebenfalls einen positiven Beitrag leisten. Der BUND bemängelt in seinem Positionspapier, dass es keinen sichtbaren Anstieg von entsprechenden Maßnahmen gebe. "Das Verhältnis von Versiegelung zu Entsiegelung liegt deutschlandweit bei 11:1."
Versiegelung durch Schottergärten: Was kann jeder Rheinland-Pfälzer tun?
"Wenn wir künftig nicht in den Städten kochen wollen, muss da jeder Einzelfall betrachtet werden", sagt Löhr und ergänzt: "Es fängt bei den Schottergärten an." Zwar sei ein einzelner kleiner Schottergarten nichts im Vergleich zu einer großen Gewerbeansiedlung. Aber: "Kleinvieh macht eben auch Mist". Der Experte sieht dabei auch die Kommunen in der Pflicht, ihre Bürger und Bürgerinnen bei dem Vorhaben zu unterstützen, Versiegelungen aufzubrechen. Man müsse zum Beispiel auch darauf schauen, wo Gebäude dauerhaft leer stünden, gerade in Städten. Ein Abriss sei durchaus sinnvoll, um Frischluftschneisen oder grüne Inseln für aufgeheizte Städte zu schaffen.
Neubaugebiete: Was muss die Politik gegen Versiegelung tun?
In einer Stellungnahme für den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung in Berlin fordert Löhr, dass es für die verschiedenen staatlichen Ebenen klar definierte und verbindliche Flächenverbrauchsziele geben müsse. Es sei auch höchste Zeit, dass die Folgekosten berücksichtigt würden. "Jeder private Haushalt kalkuliert auch, ob er sich auf Dauer ein Haus leisten kann. Bürgermeister weisen Neubaugebiete meist aus dem Bauch heraus aus, da wird einfach nicht gerechnet." Instrumente wie einen Folgekostenrechner gäbe es längst und machten das möglich.
Denkbar sei auch eine Versiegelungsabgabe: Dort wo viel versiegelt ist, sind höhere Abgaben fällig. "Dann erhöhen Bürger den Druck auf ihre Kommune, für eine Entsiegelung zu sorgen", erläutert Löhr. Ähnlich wirkten höhere Versicherungsprämien für Hochwasser wie es sie schon in den USA gebe. Dort, wo eine vernünftige Bodenpolitik betrieben werde, sollten Bürger bei den Prämien entlastet werden. Auch das setze die Kommunen dann unter Zugzwang.
"Dort wo neuer Siedlungsbau gemacht wird, sollte man nun auch neue Wege gehen", empfiehlt Löhr nicht zuletzt mit Blick auf den Wiederaufbau im Ahrtal.