Fast ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland ist einer aktuellen Erhebung zufolge von Cybermobbing betroffen. Das entspricht mehr als zwei Millionen Kindern und Jugendlichen, wie aus der "Cyberlife"-Studie des Karlsruher Bündnisses gegen Cybermobbing hervorgeht.
Martin Bregenzer von der Initiative Klicksafe in Ludwigshafen sieht die Größenordnung ähnlich problematisch: "Mobbing ist das größte Problem im Internet für Kinder und Jugendliche." Bei den Hilfstelefonen deutschland- und europaweit sei es das meistgenannte Problem der Hilfesuchenden. "Und wenn die da anrufen, da muss schon einiges passiert sein im Vorhinein."
Fast 80.000 in RLP von Cybermobbing betroffen
Laut der aktuellen Studie ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler zwischen 7 und 20 Jahren, die nach eigenen Aussagen schon einmal Cybermobbing erlebt haben, auf 18,5 Prozent gestiegen - im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2022 ist das ein Anstieg um 1,8 Prozentpunkte. Für Rheinland-Pfalz bedeutet das rechnerisch: fast 80.000 Schülerinnen und Schüler sind betroffen.
Über einen längeren Zeitraum betrachtet, sehen die Experten eine klare Verschärfung der Lage: Im Jahr 2017 hatten noch 12,7 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler entsprechende Angaben gemacht.
Schulen reagieren laut Studie zu zögerlich
Unter Cybermobbing fällt nach Angaben des Bundesjugendministeriums "die Beleidigung, Bedrohung, Bloßstellung oder Belästigung von Personen mithilfe von Kommunikationsmedien". Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest, äußerte sich besorgt über die Entwicklung und forderte die Politik zum Handeln auf.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen würden aus seiner Sicht immer noch stark unterschätzt. Eltern seien "überfordert, die Lehrkräfte zu wenig darauf vorbereitet und die Schulen zu zögerlich in der Reaktion", heißt es als Fazit in der Studie.
Jeder vierte Betroffene klagt über Suizidgedanken
Was die Fachleute besonders alarmiert: 13 Prozent der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen gaben an, aus Verzweiflung schon einmal zu Alkohol, Tabletten oder Drogen gegriffen zu haben. Mehr als jeder vierte Betroffene habe Suizidgedanken (26 Prozent) geäußert. Das entspreche in absoluten Zahlen bundesweit mehr als 500.000 Schülern, erklärte Leest.
"Eine sehr erschreckende Zahl, die in den letzten Jahren leider weiter gestiegen ist." Auf Rheinland-Pfalz herunter gerechnet bedeutet das: Mehr als 10.000 Schülerinnen und Schüler haben schon aus Verzweiflung Alkohol oder Drogen konsumiert - und fast 20.000 haben Suizidgedanken geäußert.
Cybermobbing hinterlässt Wunden fürs Leben
Cybermobbing-Erfahrungen hätten weitreichende Folgen in den Biografien der Betroffenen, sagt Martin Bregenzer von Klicksafe - auch weit über die akute Mobbingerfahrung hinaus: "Das begleitet die Betroffenen weit ins Leben."
Den laut Studienautoren überforderten Eltern rät Bregenzer: "Wenn die eigenen Kinder Cybermobbing erleben, auf jeden Fall ruhig bleiben, zuhören und zuallererst den Kindern vermitteln, dass sie in Sicherheit sind. Und ganz wichtig: keine Schuld zuweisen." Anschließend rät er, professionelle Hilfe aufzusuchen, sei es über die Schule der Kinder oder bei Beratungsstellen wie Klicksafe.
Braucht es Gesetze gegen Cybermobbing?
Das Bündnis gegen Cybermobbing fordert, bereits in den Grundschulen mit der Präventionsarbeit zu beginnen. Es brauche auch eine bessere Ausbildung von Lehrkräften und mehr Anlaufstellen, heißt es. Die Politik sei außerdem gefordert, ein Gesetz zum Schutz vor Cybermobbing zu beschließen. Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und Österreich und trotz der hohen Betroffenenzahlen hat Deutschland ein solches Gesetz bislang nicht.
Ob es ein neues Gesetz braucht, da ist sich Bregenzer von Klicksafe nicht sicher. "Mobbing erfüllt fast immer bereits existierende Straftatbestände: Beleidigung, Verleumdung, Verletzung des Rechts am eigenen Bild und vieles mehr." Sie müssten nur erkannt und entsprechend verfolgt werden.
Das Bündnis gegen Cybermobbing betont in seiner aktuellen Studie auch den immer größer werdenden Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI). Schülerinnen und Schüler würden sie verwenden, um beispielsweise Fake-Profile, Fake-Bilder anzulegen und Fake-Chatverläufe zu erstellen. Das sei dann noch schwieriger zu kontrollieren und einzudämmen.