2023 waren in Rheinland-Pfalz 11,3 Prozent (168.000) der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 60 Jahre und älter. Sie gehen in den nächsten Jahren in Rente. Und mehr als die Hälfte der Berufsgruppen im Land sind von der "Verrentungswelle" betroffen.
Den Höhepunkt werden wir 2030 erleben, wenn der geburtenstärkste 1964-Jahrgang der Boomer in Rente geht. Das Verschwinden der Generation Boomer aus dem Arbeitsmarkt wird deutliche Auswirkungen auf alle Bereiche unseres Lebens haben - ob es um Fahrten mit dem Bus, das Einkaufen oder den Arztbesuch geht.
SWR-Datenrecherche Verrentungswelle Babyboomer gehen in Rente: So ist Dein Beruf betroffen
In den nächsten Jahren verabschieden sich die Babyboomer aus ihren Jobs. Eine Analyse des SWR Data Lab zeigt, wie viele es in Deinem Beruf und Deiner Region sind.
Das SWR Data Lab hat die Arbeitsmarktdaten für folgende Lebensbereiche analysiert.
- Bahn, Bus,Taxi - Wer bringt uns von A nach B?
- Bäckerei, Transport, Supermarkt - Wer sorgt für unsere Lebensmittel?
- Arztpraxen und Pflegeheime - Wer behandelt uns, wenn wir krank sind?
- Polizei und Sicherheitsdienste - Wer sorgt für unsere Sicherheit?
- Personalausweis und Führerschein - Wer arbeitet für uns im Bürgeramt?
- Grundschule und weiterführende Schule - Wer unterrichtet unsere Kinder?
Bahn, Bus, Taxi - Wer bringt uns von A nach B?
Das größte Problem in den nächsten Jahren wird sein, wie wir von A nach B kommen. Ein Viertel der Busfahrer im Land kommt ins Rentenalter. In ländlichen Gebieten in Rheinland-Pfalz sollen bis zu zehn Prozent der Verbindungen gestrichen werden.
In Mainz könnten in den nächsten sieben Jahren ein Drittel der Bus- und Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer in Rente gehen. 29 Prozent (160) der Fahrerinnen und Fahrer seien 60 Jahre und älter teilten die Mainzer Stadtwerke AG mit. Rein rechnerisch könnten dann auch ein Drittel der Fahrten wegfallen. Allerdings arbeiten nicht alle Vollzeit und die einen gehen früher in Rente, die anderen später.
So sollen Arbeitskräfte gewonnen werden:
- Busfahrer in Rente arbeiten in Teilzeit weiter;
- Ausbildung von Geflüchteten zu Bus- und Straßenbahnfahrern
- Anwerbung von Bus- und Straßenbahnfahrerinnen und -fahrern weltweit
- Bessere Arbeitszeiten sollen den Beruf attraktiver machen
- Einsatz von autonomen Bussen, die ohne Fahrer auskommen
- Die Mainzer Stadtwerke wollen darüber hinaus das Straßenbahnnetz ausbauen, weil hier mehr Menschen transportiert werden können als in Bussen. Es wird also auch weniger Personal gebraucht.
- Bürokratieabbau, z.B. fordern die Bundesländer, dass die Voraussetzungen für den Linienbus-Führerschein vereinfacht werden.
SWR-Datenrecherche "Verrentungswelle" Boomer gehen in Ruhestand: MVG in Mainz verliert ein Drittel des Fahrpersonals
Die MVG droht in den nächsten Jahren viele Fahrer und Fahrerinnen ihrer Busse und Straßenbahnen zu verlieren. Grund dafür ist die anstehende Rente für hunderte Beschäftigte.
Das Taxigewerbe mit Beförderungspflicht rund um die Uhr, scheint zu sterben. Jeder dritte Fahrer ist demnächst im Rentenalter, der Beruf ist grundsätzlich unbeliebt und immer weniger Menschen leisten sich die Fahrten. Doch 65 Prozent der Taxifahrten sind Krankenfahrten oder die Beförderung von Kindergartenkindern und Behinderten. In Zukunft werden diese Aufgaben vermutlich von Mietwagen-Unternehmen übernommen, die schon jetzt auf den Markt drängen. Die haben aber keine Beförderungspflicht und müssen nicht Tag und Nacht fahren. Das heißt, es könnte sein, dass wir in einigen Jahren nur noch von 8 bis 17 Uhr einen Fahrdienst rufen können.
So sollen Arbeitskräfte gewonnen werden:
- Der Verband des Verkehrsgewerbes Rheinland e.V. erinnert daran, dass Taxis mit ihrer Beförderungspflicht zum öffentlichen Nahverkehr gehören und fordert mehr Geld für Taxiunternehmen.
- bessere Bezahlung der Taxifahrerinnen und -fahrer
- Taxis on demand als Ergänzung zum Busverkehr auf dem Land. Wenn ein Fahrtwunsch nicht innerhalb einer Stunde mit einem regulären Bus bedient werden kann, darf sich der Fahrgast ein ÖPNV-Taxi zu einem günstigen Fahrpreis bestellen. Das gibt es schon in Baden-Württemberg.
Bäcker, Transport, Supermarkt - Wer sorgt für unsere Lebensmittel?
Brot ist ein Grundnahrungsmittel in Deutschland und die Branche hat in der Nahrungsmittelindustrie die meisten Beschäftigten. Am Beispiel Brot kann man die Personalsituation in der Lebensmittelversorgung also ganz gut zeigen.
Die gute Nachricht: Die Versorgung mit Brot ist keineswegs gefährdet, auch nicht, wenn die Boomer-Jahrgänge alle in Rente sind, so die Präsidentin des Verbands Deutscher Großbäckereien, Ulrike Detmers. Aber wir essen immer mehr industriell produziertes Brot und weniger traditionell gebackenes. In Rheinland-Pfalz haben innerhalb von zehn Jahren 37 Prozent der kleinen Bäckereien geschlossen, weil die Betriebskosten zu hoch waren oder sie keine Mitarbeitenden fanden. In den Großbäckereien dagegen ist die Personalsituation nicht schlecht.
Dafür gibt es im Verkauf Probleme. Bäckerei-Filialen in Supermärkten schließen immer wieder schon nachmittags, weil Verkäuferinnen und Verkäufer fehlen. Manche kleinen Bäckereien haben nur an bestimmten Tagen geöffnet.
Doch das größte Problem gibt es bei der Belieferung der Bäckereifilialen. Der Verband des Verkehrsgewerbes Rheinland e.V. (VDV) befürchtet ein "Riesenproblem beim Transport von Waren". 80 Prozent der Güter werden in Deutschland auf der Straße transportiert. "Wenn wir nicht gegensteuern", so VDV-Geschäftsführer Guido Borning werden ein Drittel der LKW-Fahrten ausfallen."
So sollen Arbeitskräfte im Transport gewonnen werden:
- Fahrerinnen und Fahrer aus dem Ausland werden gesucht
- Verkehrsgewerbe fordert, dass Nicht-EU-Führerscheine anerkannt werden
- und konzertierte Werbekampagne von Bundesagentur für Arbeit und Industrie- und Handelskammer für den Beruf.
SWR-Datenrecherche zur "Verrentungswelle" Pfalz: Viele Lkw-Fahrer gehen in Rente - droht ein Warenmangel?
Tausende Lkw-Fahrer gehen in den kommenden Jahren in Rente. Speditionen finden keinen Ersatz und fürchten: Ware bleibt stehen und Preise für Verbraucher steigen.
So sollen Arbeitskräfte im Bäckerhandwerk gewonnen werden:
- Großbäckereien setzen auf Roboter und Künstliche Intelligenz
- Frauen soll die Rückkehr in den Beruf erleichtert werden
- Rentnerinnen und Rentner sollen in Teilzeit weiter arbeiten können
So sollen Arbeitskräfte im Verkauf gewonnen werden:
- Digitalisierung und Automatisierung im Verkauf, d.h. automatische Kasse, weniger Frischetheken für Fleischwaren und Brot
- Lockerung des Meisterzwangs, so dass auch Metzger oder Bäcker ohne Meister mehr Aufgaben übernehmen können
- eingeschränkte Öffnungszeiten
- auf dem Land digitale Kleinstsupermärkte ohne jegliches Personal.
Arztpraxen und Pflegeheime - Wer behandelt uns, wenn wir krank sind?
Vor allem für Patientinnen und Patienten auf dem Land werden die Wege zum Arzt länger. Denn die Ärzteschaft in ambulanten Praxen ist im Rentenalter und es rücken zu wenig junge Mediziner nach. Einige arbeiten deshalb sogar über ihr Rentenalter hinaus. Während im Jahr 2000 in Rheinland-Pfalz noch 811 Ärztinnen und Ärzte 35-39 Jahre alt waren, sank die Zahl 2023 auf nur noch 615. Noch dramatischer sank die Zahl bei den 40-49-jährigen Ärztinnen und Ärzten in Praxen. Im Jahr 2000 waren 2.374 und 2023 nur noch 1.772. Ein Rückgang um 25 Prozent.
So sollen Ärzte und Ärztinnen gewonnen werden:
- Die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz fordert mindestens 10-15 Prozent mehr Studienplätze. In Rheinland-Pfalz werden schon mehr Studienplätze angeboten, aber da mit dem starken Jahrgang der Boomer auch die Zahl der Patienten steigen wird, reicht das womöglich nicht aus.
- Es werden ausländische Ärzte und Ärztinnen angeworben. Einen gewissen Ausgleich schaffen Ärzte aus dem Ausland schon, allerdings arbeiten sie meist in Kliniken und nicht in Praxen auf dem Land, wo der Mangel am größten ist.
- Neue Berufe, wie der Physician Assistent, sollen Ärzte entlasten, indem sie bestimmte Aufgaben übernehmen.
- Mobile Arztpraxen werden auf dem Land eingesetzt
Auch Krankenhäuser werden sich verändern. Patienten werden nicht mehr in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Die Krankenhäuser spezialisieren sich. Das hat den Nachteil, dass man vielleicht weiter entfernt von Zuhause behandelt wird. Es hat aber auch den Vorteil, dass man die bestmögliche Behandlung bekommt. Insgesamt sind 48,5 Prozent der berufstätigen Ärzteschaft in Rheinland-Pfalz 50 Jahre und älter.
Wie es um die Pflege in Altenheimen und Krankenhäusern steht, haben viele schon am eigenen Leib erfahren. In Rheinland-Pfalz fehlen schon heute 3.800 Fachkräfte in der Pflege, in zehn Jahren könnten es 7.100 sein. Und auf der anderen Seite kommen mehr Pflegebedürftige dazu, denn die Boomer werden alt. Nach Angaben der Landespflegekammer kann die Pflege nicht mehr im "notwendigen Umfang" geleistet werden. In Zukunft könne das noch dramatischer werden.
So sollen Pflegekräfte gewonnen werden:
- Land und Pflegebranche haben eine Fachkräftestrategie erarbeitet
- Mit Digitalisierung soll der Verwaltungsaufwand reduziert werden
- Beruf soll durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen attraktiver werden
- Anwerbung ausländischer Pflegekräfte
Polizei, Sicherheitsdienste - Wer sorgt für unsere Sicherheit?
In Rheinland-Pfalz hat sich die Personalsituation bei der Polizei etwas entspannt. Das bestätigen die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und das Innenministerium. Die Sicherheit im Land sei gewährleistet, auch wenn in den nächsten Jahren viele Polizistinnen und Polizisten in Rente gehen. Das liegt auch daran, dass mehr als 10.000 neue Polizisten ausgebildet wurden (Stand 1. Okt. 2024). Das werde auch künftig so fortgesetzt, versichert das Innenministerium. Die Polizisten und Polizistinnen, die in den Ruhestand gingen, könnten daher ersetzt werden. Allerdings räumt das Ministerium ein, dass es schwer ist, geeignete Bewerber zu finden.
Die Polizistinnen und Polizisten konnten auch die Hälfte der zwei Millionen Überstunden, die sie angehäuft hatten, abbauen, so die GdP. Allerdings kämen immer mehr Aufgaben dazu, wie zum Beispiel die Waffenkontrollen nach dem Messerverbot oder der Schutz von Weihnachtsmärkten. "Das wirkt gar nicht so aufwändig, wenn man es einzeln betrachtet, die Summe macht es am Ende aber aus", sagt Stefanie Loth, GdP-Landesvorsitzende. Daher müssten jährlich mindestens 500 neue Polizistinnen und Polizisten eingestellt werden (bisher sind es 450).
So sollen Polizistinnen und Polizisten gewonnen werden:
- Polizei wirbt auf Social Media Plattformen für den Beruf
- auch mit Mittlerer Reife ist ein Studium "Polizeidienst und Verwaltung" möglich
- Berufseinstieg bei der Kriminalpolizei ist jetzt auch direkt möglich
- attraktivere Arbeitsbedingungen, z.B. durch technische Ausstattung, und bessere Bezahlung
Personalausweis und Führerschein - Wer arbeitet für uns im Bürgeramt?
Lange Schlangen vor dem Bürgeramt Trier hatten im Oktober für Aufsehen gesorgt. Aber auch wer seine Termine online macht, muss - zumindest in Ballungsräumen - monatelang auf einen Termin warten. Auf dem Land geht es meist etwas schneller. Für Unternehmen kann es sogar zu einem wirtschaftlichen Problem werden, wenn ihre Anträge wochenlang nicht bearbeitet werden.
So soll der Personalmangel ausgeglichen werden:
- Digitalisierung ist das Zauberwort. Je mehr Dienstleistungen, wie Personalausweis verlängern oder Wohnsitz ummelden, online gemacht werden können, desto weniger Personal wird in den Verwaltungsbehörden gebraucht. Eigentlich waren die Behörden verpflichtet, bis Ende 2022 alle ihre Leistungen digital anzubieten, aber es hakt fast überall in RLP.
- Die Verwaltungen brauchen mehr IT-Fachkräfte, um die Umstellung schneller voranzutreiben. Dafür müsste die starre Tarifstruktur angepasst werden. Denn IT-Fachleute verdienen in der freien Wirtschaft deutlich besser. Verwaltungsbehörden finden daher nur schwer gutes Personal.
Schule und Kita - Wer unterrichtet unsere Kinder?
In Rheinland-Pfalz hat die Landesregierung viel getan. Das Lehrkräftekollegium wurde verjüngt, aber immerhin haben 2023 167 Lehrkräfte über ihr Rentenalter hinaus gearbeitet. Umgekehrt ist nicht vorhersehbar, wie viele vorzeitig in den Ruhestand gehen. Dazu kommt, dass knapp 40 Prozent der Lehrkräfte nur Teilzeit arbeiten. Das Bildungsministerium Rheinland-Pfalz sieht die Schulen dennoch gut aufgestellt. ”Es gibt in Rheinland-Pfalz aktuell keinen akuten Lehrkräftemangel."
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht das anders. ”Es gibt null Vertretungsreserve an den Schulen”, sagt die GEW-Vorstandsvorsitzende, Christine Herz. Es würden zwar neue Lehrkräfte eingestellt, aber immer noch nicht genug. An jeder Schule falle täglich im Schnitt etwa zwischen 10 und 15 Prozent des regulären Unterrichts aus.
So sollen Lehrkräfte gewonnen werden:
- Für alle Schularten wurden mehr Lehrkräfte ausgebildet
- Neue Studiengänge für besondere Lehr-Berufe
- Jobgarantie und Verbeamtung für Lehramtsanwärter in Schulen mit besonderen Bedarfen
- Quereinsteiger sind willkommen
- Gezielterer Werbung für den Beruf