In Rheinland-Pfalz sind 2020, im ersten Jahr der Corona-Pandemie, deutlich weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen worden als noch im Vorjahr: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sank ihre Zahl um ganze acht Prozent. Bei vielen Unternehmen gebe es Zurückhaltung wegen ihrer Geschäftsentwicklung und der finanziellen Situation, sagte Walter Hüther von der rheinland-pfälzischen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Anfang April.
Bundesweit könnte jeder zehnte ausbildungsfähige Betrieb zum neuen Ausbildungsjahr 2021 weniger Lehrstellen besetzen als noch im Vorjahr. Das fand das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie heraus. Die unsichere Lage in der Krise gaben 93 Prozent der befragten Betriebe dabei als Hauptgrund an.
Die Betroffenen befänden sich in einem Dilemma: Einerseits falle es ihnen angesichts ihrer finanziellen Lage und der wirtschaftlichen Unsicherheit schwer, ihr bisheriges Engagement aufrechtzuerhalten. Andererseits könnten ihnen mittel- bis langfristig genau deswegen Fachkräfte fehlen - die sie eigentlich benötigen, um nach der Krise ihre Tätigkeiten wieder voll aufzunehmen.
Kettenreaktion durch zu wenig verfügbare Fachkräfte
Dass die aktuelle Situation sich langfristig auf den Ausbildungsmarkt auswirken wird, davon geht auch Dieter Muscheid, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Rheinland-Pfalz, aus. Denn klar sei, dass gerade weniger junge Menschen ausgebildet würden, die dann wiederum ihr Wissen an die nachkommenden Lehrlinge und Gesellen weitergeben könnten. Eine Kettenreaktion, durch die "auf jeden Fall" an einigen Stellen in den kommenden Jahren Fachkräfte fehlen werden.
"Es gibt immer weniger Betriebe - und das ist ein Trend, den wir nicht erst seit Corona wahrnehmen - die bereit sind, auszubilden. 2019 waren es gerade noch etwas mehr als 21 Prozent. Das betrifft während der Pandemie einzelne Branchen nochmal stärker als andere", sagt Muscheid. Dass das Angebot an Ausbildungsstellen stark zurückgehe, werde in den kommenden Jahren "definitiv" zu einer erhöhten Jugendarbeitslosigkeit führen.
Was lässt Schulabgänger zögern?
Parallel beobachtet der DGB auch eine gewachsene Zurückhaltung bei den potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern, gerade im vergangenen Jahr: "Das größte Thema für junge Menschen ist im Moment Unsicherheit. Das betrifft sowohl die, die gerade noch die Schule besuchen, als auch diejenigen, die in Ausbildung, die sich fragen, wie es danach weitergehen kann."
Durch die Umstellung auf den digitalen Unterricht sei es auch schwieriger geworden, an den Schulen den Absolventen Orientierung zu geben und konkretere Vorstellungen von bestimmten Berufsbildern zu vermitteln. Auch die Durchführung von Praktika gestalte sich seit der Corona-Pandemie schwerer.
Viele freie Ausbildungsstellen im Handwerk
Vorsichtig optimistisch hingegen gibt sich Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) Koblenz, für das Jahr 2021. An Ausbildungsstellen mangele es nicht - die Betriebe suchten teils händeringend nach Auszubildenden, sagt er im Gespräch mit dem SWR. "Noch ein Corona-Jahr als Hängepartie können wir uns schlicht nicht leisten."
Das schlechte Marketing für handwerkliche Berufe sieht Hellrich als einen Grund für den Fachkräftemangel. Deshalb ist die HWK Koblenz kurz vor Ostern mit dem Projekt "Eine Woche - Deine Chance" in die Offensive gegangen, um zwischen Schülern und Betrieben zu vermitteln. Auf der Webseite können sich Interessierte auch für die Pfingstferien um einen Platz bewerben. Die Praktika finden mit Coronatest und allen Schutzvorkehrungen statt, die die HWK selbst übernimmt. Aktuell sind bei ihr rund 20.300 Betriebe eingetragen, das entspricht 38 Prozent aller Handwerksbetriebe in Rheinland-Pfalz.
Gerade die gegenwärtige Krise könne jungen Menschen zeigen, dass eine solide Berufsausbildung potentiell unabhängig mache, sagt Hellrich. Nach dem deutlichen Rückgang der Konjunkturergebnisse im Frühjahr 2020 präsentiere sich die Wirtschaftslage im Handwerk außerdem stabil und sogar besser als erwartet, wie die Frühjahrsumfrage der HWK Koblenz ergeben habe.
Wie es den Auszubildenden derzeit und mit Prüfungen vor der Brust ergeht, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Abschlussprüfungen finden unter Corona-Bedingungen statt
Für viele Auszubildende stehen in diesem Frühling aber erst einmal die Abschlussprüfungen im Mai an. Grundsätzlich finden sie in den Berufsschulen auch statt, sagt Muscheid vom DGB. Dort gelten die Hygienepläne der entsprechenden Berufsschulen. Im vergangenen Jahr wurden auch die Zwischenprüfungen ausgesetzt, das sei in diesem Jahr nicht der Fall.
Die Durchführung der Prüfung wäre dabei ohne die Unterstützung der ehrenamtlichen Prüfer nicht möglich,. Auf Bundesebene habe außerdem die Allianz für Aus- und Weiterbildung eine finanzielle Unterstützung für prüfungsvorbereitende Maßnahmen zugesagt. Und auch die praktischen Prüfungen sollen, in Absprache mit dem rheinland-pfälzischen Bildungsministerium, wie geplant stattfinden.
Wechselunterricht stellt Lehre vor Herausforderung
Marco Zepp, Auszubildender beim Sportbund Pfalz im zweiten von drei Lehrjahren, ist vor der Corona-Krise in eine Ausbildung im Bereich Büromanagement gestartet. Ein bis zwei Tage in der Woche drückt er in Kaiserslautern die Schulbank. "In der Zeit, in der alle Schüler von zu Hause aus am Unterricht teilnahmen, ging es problemlos mit dem Unterricht. Jetzt, wo es wieder zum Wechselunterricht übergeht, merkt man, dass die Lehrkräfte teilweise damit überfordert sind, ihre Inhalte durchzubringen und gleichzeitig beide Seiten zu unterrichten."
Ende Februar hat er seine Zwischenprüfung abgelegt. "Das ist organisatorisch soweit auch gut gelaufen, die Lehrer haben sich sehr bemüht, uns vorzubereiten." Er sei außerdem zufrieden mit seinem Ausbildungsbetrieb - er wurde weder in Kurzarbeit geschickt, noch gibt es Probleme bei der Verbindung von schulischen und betrieblichen Inhalten. "Ich habe aber schon gehört, dass einige Betriebe sich querstellen, den Auszubildenden zum Beispiel keine Zeit geben, Stoff für die Schule nachzuholen."
Azubis stellen Digitalisierung an Berufsschulen mangelhaftes Zeugnis aus
"Grundsätzlich dürfte es für alle Betriebe schwierig sein, eine gewisse Ausbildungsqualität aufrecht zu erhalten, selbst für die, die Homeoffice anbieten können", so Muscheid. "Denn dann sitzen die Auszubildenden allein zu Hause - und können nicht immer adäquat betreut werden." Teilweise sei es für kleinere Betriebe einfacher, eine hohe Qualität zu garantieren, weil dort die Hygienemaßnahmen leichter umzusetzen seien. "Wir haben schon beobachtet, dass im vergangenen Jahre gerade im Handwerk während der Lockdown-Phase weitergearbeitet wurde und Auszubildende immer noch in den Betrieb gekommen sind."
Für große Ausbildungswerkstätten, in denen sehr viele junge Menschen zusammenkämen, seien die Hygienemaßnahmen mitunter schwieriger umzusetzen und einzuhalten. Große Unzufriedenheit unter den Auszubildenden besteht, wenn es um die digitale Ausstattung der Berufsschulen geht: So seien noch "ganz große Lücken" in Sachen Digitalisierung an den rheinland-pfälzischen Berufsschulen zu schließen.