Wie starte ich sicher in die Motorradsaison 2023? Tipps vom Experten

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Autor/in
Jonathan Hadem

Am Freitag startet in Friedrichshafen die Messe „Motorradwelt“, und bald danach, mit den ersten Frühlings-Sonnenstrahlen – holen viele wieder ihr Motorrad aus der Garage. Menschen, die an den kurvenreichen Strecken im Schwarzwald, der Alb oder in der Eifel wohnen, freuen sich nicht so sehr. Ebenso geht es Polizei und Rettungskräften – denn die müssen jedes verletzte oder tote Biker von der Straße holen. Was es Neues in Punkto Sicherheit beim Motorradfahren gibt, das erklärt Thomas Schmieder von der Zeitschrift „Motorrad“ im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Jonathan Hadem.

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SWR Aktuell: Die Sicherheit eines Autos werden Motorräder wahrscheinlich niemals erreichen. Aber was tun denn die Hersteller, um das Unfallrisiko zumindest zu minimieren?

Thomas Schmieder: Es gibt natürlich verschiedene Ebenen, an denen man ansetzen kann. Bei den Fahrzeugen gibt es ja seit einigen Jahren eine ABS-Pflicht. Ein Antiblockiersystem muss an Bord sein, zumindest bei Fahrzeugen über 125, über 150 Kubikzentimetern- also das, was wir unter Motorrädern verstehen. Und das hilft sehr, denn ein stürzendes Vorderrad kann bei Glätte, Regen oder Schotter zum Beispiel in einer Kurve auf jeden Fall zu einem Sturz führen. Dann gibt es  Traktionskontrollen. Motorräder werden immer leistungsstärker. Das heißt, es besteht auch die Gefahr, wenn sie im falschen, also zu niedrigen Gang sind und beschleunigen raus, dass das Hinterrad zu viel Schlupf bekommt und Sie dann  - umgangssprachlich- „von hinten überholt“. Da greifen also auch elektronische Regelsysteme ein, also man kann fahrzeugseitig etwas machen. Gefragt sind aber vor allem die Autohersteller. Denn 50 Prozent bis zwei Drittel aller schweren Motorradunfälle werden von Autofahrern verursacht. Wenn die Autofahrer nicht gut gucken, wenn sie das Motorrad übersehen, wenn sie unaufmerksam sind, wenn sie denken, das schaffe ich noch ganz schnell doch überzuziehen. Da gibt es schon Bremsassistenten, zum Beispiel in den aktuellen BMW Fahrzeugen. Die können Sie also jetzt kaufen. Und die können durch eine Kombination aus Radar und Kameras tatsächlich auch Zweiradfahrer, auch Fahrradfahrer, erkennen. Und wenn der Fahrer nicht reagiert, dann bremsen die dann selbsttätig, sodass es eben nicht zu diesen gefürchteten Kollisionen kommt.

SWR Aktuell:  Trotzdem bleibt letzten Endes auch immer noch das Risiko Mensch. Allein in Baden-Württemberg sind im letzten Jahr 3.380 Frauen und Männer bei Motorradunfällen verletzt worden oder ums Leben gekommen. Aufklärung, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder häufige Verkehrskontrollen scheinen nicht wirklich viel zu helfen, zumindest wenn die Fahrerinnen und Fahrer sich und ihre Maschine überschätzen. Was kann denn hier noch getan werden, um die Sicherheit zu erhöhen?

Schmieder: Der wichtigste Faktor beim Thema Sicherheit sitzt auf dem Motorrad: Der Mensch selber, der Fahrer, die Fahrerin. Und da ist natürlich der große Appell, jetzt, bevor die Saison losgeht, dass die Leute nach der Winterpause ein Sicherheitstraining machen beim ADAC, beim Motorrad Actionteam, bei lokalen Anbietern. Wer glaubt, er braucht nichts dazuzulernen, der lebt gefährlich. Die Profis, die Rennfahrer, die besten Fahrer der Welt, trainieren jeden Tag. Das heißt Willi Müller und Erna Schmitz haben das auch nötig. Das hat jeder nötig, dazuzulernen und unter Anleitung auch vielleicht bestehende Verhaltensmuster mal zu hinterfragen und gespiegelt zu bekommen: Was mache ich da eigentlich? Und warum mache ich das? Und habe ich vielleicht auch Verhaltensweisen, die gar nicht so förderlich sind?

SWR Aktuell: Beim PKW sind E-Autos das Gebot der Stunde. Man sieht aber auch immer wieder Zweiräder mit E-Antrieb, seien es E-Bikes, bei denen der Motor das Treten erleichtert, oder eben auch E-Roller. So richtige Motorräder gibt es aber relativ selten bis jetzt. Ändert sich das gerade, oder trauen sich die Hersteller da noch nicht so richtig ran?

Schmieder: Alles ändert sich definitiv, aber man muss das ein wenig differenzieren. Wir haben ein Standardwerk, das alle Zweiräder in Deutschland auflistet, den Motorrad Katalog. Und sind in der Ausgabe 2023 von 42 Marken 51 Modelle gelistet, das heißt, das hätten sogar noch mehr sein können. Also: Es gibt ein breites Angebot, aber das zerfällt im Prinzip in zwei Gruppen: Die kleinen Stadtfahrzeuge,  also vor allem Roller oder auch futuristische Cityflitzer. Da gibt es durchaus einen Trend in Richtung Elektroantrieb. Die typischerweise klassischen Motorräder tun sich noch etwas schwer. Da ist die Akzeptanz bei den Fahrern bisher niedriger, aus verschiedenen Gründen: Der Preis ist meistens höher als bei einem Verbrenner-Motorrad. Die Reichweite ist im Prinzip immer geringer, und das Gewicht ist unter Umständen auch höher. Da muss noch einiges passieren, damit mehr Leute sich ein Elektromotorrad zulegen.

SWR Aktuell: Und dann ist es aber auch so, dass es Menschen auch gefällt, wenn die Motorräder laut sind und halt auch einfach Spaß machen beim Fahnen - sehr zum Leidwesen der Menschen, die neben einer beliebten Biker-Strecke wohnen. Wie weit ist der Weg da noch hin, bis ich dann tatsächlich meine Harley mit E-Motor fahre?

Schmieder: Erstaunlicherweise ist Harley der erste renommierte Hersteller, die erste große Marke, die tatsächlich ein Elektromotorrad im Programm hat. Das können Sie kaufen, die Livewire One - auch wenn das Unternehmen das jetzt ausgegliedert hat, in eine eigene Sparte. Aber es ist Überzeugungsarbeit notwendig. Viele Motorradfahrer definieren ihr Fahrzeug und auch sich selbst ein Stück weit über die Art des Antriebs: Habe ich einen Einzylinder oder Zweizylinder, einen Sechszylinder, einen Zweizylinder-Boxer, ganz typisch bei BMW, oder einen V2-Motor bei Ducati oder Moto-Guzzi. Das fällt natürlich alles weg, wenn Sie ein Elektrofahrzeug haben, da wird sich niemand drüber unterhalten. Haben Sie da jetzt ein Bosch-, Panasonic- oder LG-Motor drin? Da rücken andere Dinge in den Fokus. Der Klang eines Motorrads ist den Fahrern bislang meistens wichtig, manchen sogar sehr wichtig. Aber das Problem, das sie ansprechen, das ist tatsächlich eine Minderheit, also vielleicht fünf bis zehn Prozent der Fahrer aktuell fahren nur lärmauffällig. Das liegt dann an zu hohen Drehzahlen, an manipulierten Auspuffanlagen, auch andere Auspuffanlagen, die werkseitig eher auf der lauteren Seite unterwegs sind - zwar legal, aber eben im Messbereich legal. Und wenn der Sound komplett wegfällt, also wenn das Elektromotorrad nicht klingt wie eine alte Münchner Straßenbahn, dann öffnet das tatsächlich eine Tür in ein neues Erlebnis. Das lautlose Fahren -und übrigens auch das Fahren ohne Schalten und Kuppeln- macht irgendwas frei im Gehirn, wobei genau das vielleicht auch das Problem ist: Die meisten Motorradfahrer wollen schalten und kuppeln- Aber wenn man das mal nicht muss, sondern das Fahrzeug übernimmt das für einen, dann konzentriert man sich anders auf die Landschaft, auf das Wahrnehmen des Umfelds, was ist um mich rum, aber auch vielleicht auf Linienwahl und Bremspunkt. Also: Der elektrische Antrieb kann theoretisch meiner Meinung nach die Wahrnehmung auch fokussieren und intensiver machen.

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Jonathan Hadem