Die Neuausrichtung der Bundeswehr fordert die Militärseelsorge heraus. Sie müsse sich auf einen "Großschadensfall" einrichten, sagt der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg. Für den Begriff "kriegstüchtig" zeigt er Verständnis.
Wenn der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg Bundeswehrstandorte besucht, stellt er bei den Soldatinnen und Soldaten bei aller Professionalität eine Angespanntheit fest. Dass sie "jetzt an der NATO-Ostflanke in Einsatzübungen sind und quasi direkt (…) Verteidigung üben, das macht die Ernsthaftigkeit der Situation deutlich", sagt Felmberg im SWR Interview der Woche.
Die Situation sei für viele anstrengend, auch für die Familien. Das Szenario der Bündnisverteidigung habe eine andere Intensität als die Auslandseinsätze der Bundeswehr, beobachtet der evangelische Militärbischof: "Wenn man sich vorstellt, was passieren würde, wenn Russland die NATO angreifen würde, dann sprechen wir über viele Verletzten- und Todeszahlen. Und das fasst natürlich die Menschen auch an. Keine Frage."
Nachfrage bei der Militärseelsorge steigt
Die Nachfrage nach Seelsorge bei der Bundesehr hat laut dem evangelischen Militärbischof seit Beginn des Ukraine-Krieges stark zugenommen. Die 104 evangelischen Militärgeistlichen erreichten viele Menschen bei der Bundeswehr, auch über soziale Medien – aber nicht alle. "Dafür sind wir personell zu schwach aufgestellt", beklagt Felmberg.
Die Militärseelsorge sei aber auch gefordert, sich auf neue Einsatzszenarien und auf einen möglichen "Großschadensfall" einzustellen, um seelsorgerisch handlungsfähig zu sein. Nach vielen Jahren der Einsatzbegleitung nach Afghanistan, Mali und an andere Orte, wo die Aufgabe der Militärseelsorge klar gewesen sei, stehe sie nun vor neuen Herausforderungen.
"Brauchen ein Bewusstsein für Verteidigung"
Bernhard Felmberg sieht keine Notwendigkeit für mehr Jugendoffiziere der Bundeswehr an Schulen, wie es Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) angeregt hatte. Nötig sei aber ein Bewusstsein in Gesellschaft und Politik dafür, wie Deutschland seine Verteidigung organisiere.
Pazifismus innerhalb und außerhalb der Kirche hält Felmberg weiterhin für wichtig, plädiert aber für einen differenzierteren Blick: "Ich glaube auch, dass die evangelische Kirche in Deutschland und die Gliedkirchen und viele Christinnen und Christen da inzwischen anders draufschauen. Indem man jetzt sagen kann: Es ist gut, dass wir verteidigungsfähig sind, dass Menschen da sind, die in der Bundeswehr dienen und für die Freiheit sorgen – in der Hoffnung, dass Gewaltanwendung wirklich als Ultima Ratio gesehen wird und nie angewendet werden muss."
Kriegstüchtigkeit? "Ein schillernder Begriff"
Den von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und Generalinspekteur Carsten Breuer verwendeten Begriff "kriegstüchtig" findet der evangelische Militärbischof "schillernd". Aus seiner Sicht sollte der Begriff aufrütteln. Mit Blick auf die Fähigkeiten der Bundeswehr ist er für Felmberg insofern angemessen, "als dass man sagt, ihr müsst in der Lage sein, wirklich zu verteidigen." Wesentlich sei zugleich, dafür einzutreten, friedensfähig zu bleiben. Das sei auch die Aufgabe der Kirchen.
Einfrieren des Ukraine-Kriegs "keine Option"
Den Ukraine-Krieg in der aktuellen Lage "einzufrieren", wie es u.a. SPD-Fraktionschef Mützenich ins Spiel gebracht hatte, hält der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg nicht für eine Option. Er begründet das zum einen mit der unveränderten Haltung des russischen Präsidenten Putin, zum anderen unterstreicht er mit Blick auf mögliche Friedensverhandlungen: "Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind diejenigen, die entscheiden müssen, wann welcher Zeitpunkt gekommen ist."
Felmbergs Sorge: "Diejenigen, die den Schnellschuss im wahrsten Sinne des Wortes machen, wenn es um einen eingefrorenen Frieden geht, riskieren, dass in einer späteren Zeit Revanche wieder hervorkommt. Und das, finde ich, gilt es auf jeden Fall zu verhindern." Felmberg ist überzeugt, "dass ein echter Frieden, der auch hält, über die Zeit hinaus Recht, Freiheit und Gerechtigkeit nicht ausblenden darf, sondern beinhalten muss." Ein gerechter Frieden müsse einer sein, der der Ukraine wirklich auch gerecht werde.