Die Kindergrundsicherung ist aktuell das größte Streitthema in der Ampel-Koalition. Finanzminister Lindner wird sie zu teuer, Familienministerin Paus sagt: der Kampf gegen die Kinderarmut ist es wert.
Ampel-Zoff um die Kindergrundsicherung. Seit Wochen streiten sich FDP und Grüne über eines der zentralen Projekte im Koalitionsvertrag. Es geht darum, die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) hat 12 Milliarden dafür gefordert, Finanzminister Christian Lindner (FDP) hält das für übertrieben. Das Interview der Woche mit Lisa Paus hat SWR-Hauptstadtkorrespondentin Eva Ellermann geführt.
Fast jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht. Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, dass sie mit der Kindergrundsicherung diesen Kindern helfen wollen. Es gibt zwar schon viele Hilfen vom Staat, aber die sind unübersichtlich und es ist sehr bürokratisch, an sie heranzukommen. Außerdem kritisieren Familien- und Sozialverbände, Gewerkschaften und Experten seit Jahren, dass das Geld nicht ausreicht. Mit der Kindergrundsicherung sollen ab 2025 alle Familien einen Garantiebetrag bekommen und bedürftige Familien einkommensabhängig eine zusätzliche Unterstützung. Über eine Webseite sollen die Hilfen außerdem unkompliziert an die Berechtigten gelangen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat 12 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung gefordert, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hält das für völlig überzogen.
„Zum Nulltarif ist das nicht zu haben“
Bundesfamilienministerin Lisa Paus weist im Interview der Woche darauf hin, dass viele Leistungen, wie etwa der Kinderzuschlag, nicht bei allen Bedürftigen ankommen. Deshalb sei die Bündelung und Vereinfachung wichtig. Die Rechnung von Finanzminister Lindner geht aus ihrer Sicht nicht auf. Wenn allein alle Berechtigten bekämen, was ihnen heute schon zusteht, werde es teurer. Darüber hinaus gebe es aber eine strukturelle, verfestigte Armut. "Und deswegen haben wir im Koalitionsvertrag ja verankert, dass wir auch das soziokulturelle Existenzminimum uns noch mal gemeinsam anschauen wollen, weil es aus unserer Sicht zu niedrig ist.", sagt die Ministerin. Gemeint ist damit eine grundlegende Berechnung, was ein Kind zum Leben, Wohnen, für seine Bildung und kulturelle Teilhabe braucht.
Woher sollen die 12 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung kommen?
"Die Wahrheit ist schlicht, der Finanzminister möchte das Geld für andere Dinge ausgeben", kritisiert Familienministerin Lisa Paus ihren Kabinettskollegen Christian Lindner von der FDP. Und erinnert ihn an die Koalitionsvereinbarung. "Und da ist die Kindergrundsicherung eben die Top-Priorität als das sozialpolitische Projekt dieser Ampel. Und das lässt sich auch nicht wegdiskutieren. Und dann sind eben andere Projekte, die teilweise auch gar nicht im Koalitionsvertrag stehen, die aber der FDP-Minister gerne machen möchte, die stehen dann eben aus meiner Sicht klar hintenan." Paus drängt auf den Start des Gesetzgebungsverfahrens, "weil ansonsten, in der Tat, wird es bis 2025 nichts werden. Und dann wären wir alle ziemlich belämmert, weil das ist – glaube ich – nichts, was eine Koalition gut vertragen kann. Das wäre ein Fiasko für die gesamte Ampel-Regierung."
Wird Familienpolitik wieder nur "Gedöns"?
Der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, hat in dieser Woche Bundeskanzler Olaf Scholz "dröhnendes Schweigen" zur Kindergrundsicherung vorgeworfen. Auf die Frage, ob sie sich vom Regierungschef mehr Unterstützung wünscht, sagt Lisa Paus im Interview der Woche: "Ich erlebe Olaf Scholz sehr, sehr gesprächsbereit in diesem Thema. Er ist wirklich engagiert und von daher bin ich zuversichtlich. Aber richtig ist, bei den Finanzen, da sind wir noch nicht zusammen. Und das wird noch ein schwieriger Gang." Aus Sicht der Ministerin wäre es fatal, wenn angesichts multipler Krisen Familienpolitik wieder als "Gedöns" angesehen würde. "Die Familien sind ja nun mal Abbild und zentraler Kern der Gesellschaft. Und wir haben es in der Corona-Zeit, bereits erlebt, dass wenn sich zurückgezogen wird, was das auch für eine Brüchigkeit für die Gesellschaft bedeutet, dass der Kitt, den wir alle miteinander brauchen, dass der fehlt." Und Paus sieht außerdem ein Risiko für die Demokratie. "Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen, permanent, denen die Chancen genommen werden. Wie sollen die ein positives Verhältnis zu unserer Demokratie finden? Von daher ist es wirklich so wichtig, diese so verfestigte Armut zu ändern!"