Was heute in den USA cool ist, ist morgen wahrscheinlich auch bei uns im Trend. Das gilt auch für Negativtrends. Und einer der gefährlichsten davon ist die wachsende Abhängigkeit der Amerikaner von Opioiden. Fentanyl, Oxycodon, Morphin, Codein - alles Schmerzmittel, die eine nationale Krise in den USA ausgelöst haben. An den Folgen des Opioidmissbrauchs sterben dort rund 100.000 Menschen pro Jahr - Tendenz stark steigend. Wie verbreitet Opioide unter jungen Menschen in Deutschland sind, das hat das Zentrum für Drogenforschung in Frankfurt untersucht. Was in der Studie steht, erklärt Mitautor Bernd Werse im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Jan-Fréderic Willems.
SWR Aktuell: Müssen wir in Deutschland wie in den USA eine Opioid-Epidemie befürchten?
Bernd Werse: Nein. Das kann ich mit einem ziemlich klaren Nein beantworten, weil hierfür die Voraussetzungen, die wir hier haben, einfach völlig andere sind. In den USA wurde diese Opioid-Krise ja vor allen Dingen dadurch ausgelöst, dass massenhaft Opioide, und zwar auch relativ starke Opioide, für alle möglichen Arten von Schmerzen verschrieben wurden, was dann Hunderttausende beziehungsweise Millionen in die Abhängigkeit getrieben hat, die dann mittlerweile auf illegale Opioide umgestiegen sind. Und so was gibt es hier einfach in dem Maße überhaupt nicht.
SWR Aktuell: Trotzdem nimmt der Opioid-Missbrauch auch in Deutschland zu. Haben Sie in Ihrer Studie herausfinden können, warum?
Werse: Was wir in unserer Studie untersucht haben, ist im Grunde genommen ein recht spezielles Phänomen: Dass unter anderem Opioide, auch Benzodiazepine, also andere medizinische Beruhigungsmittel, seit einigen Jahren insbesondere von Rappern propagiert wurden - und es damit sozusagen in die jugendliche Drogenkultur Einzug gehalten hat. Und das ist eigentlich auch so eines der wesentlichen Ergebnisse: Es sind in erster Linie junge Leute, Jugendliche und junge Erwachsene, die sowieso eine gewisse Affinität zu Drogen haben. Die meisten von denen haben nicht nur Cannabis, sondern auch noch Kokain, Ecstasy und ähnliche Stoffe ausprobiert und haben das dann quasi in ihr Repertoire aufgenommen. Das ist auch tatsächlich, zumindest, was wir jetzt hier aus unseren repräsentativen Daten in Frankfurt beobachten können, in den letzten Jahren angestiegen. Aber es ist trotzdem jetzt nicht so, dass wir uns jetzt Sorgen machen müssten, dass große Teile der Jugendlichen Probleme damit bekommen können. Es ist weiterhin eine kleine Minderheit.
SWR Aktuell: Jetzt ist die der Anlass, Drogen zu nehmen, die eine Sache. Auf der anderen Seite müssen die Drogen ja überhaupt erst da sein, in diesem Fall die Opioide. Sie haben skizziert, wo die in den USA hergekommen sind. Wo kommen die in Deutschland her?
Werse: Wenn wir hier von Opioiden reden, sind das erstmal relativ schwache Opioide - relativ gesehen. Das bedeutet, dass sie immer noch relativ starke Wirkung haben. Aber es sind eben solche Stoffe wie Tilidin oder auch Codein, die relativ häufig verschrieben werden, meistens etwas älteren Leuten. Insofern ist das dann auch die Quelle für die jungen Leute, oft zum Beispiel Diebstähle bei Eltern oder Großeltern. Zum Teil sind es aber auch Dealer, die auf irgendeinem Umweg das über die Medizin bekommen und weiterverkaufen. Teilweise sind es aber auch Stoffe, die den jungen Leuten selbst verschrieben werden. Das ist jetzt keine totale Seltenheit, dass auch Jugendliche Tilidin verschrieben bekommen.
SWR Aktuell: Sie haben gesagt, wir sind in Deutschland noch nicht an der Schwelle einer Krise wie in den USA. Trotzdem: Was muss in der Prävention jetzt getan werden, um das zu verhindern, dass es so weit kommt?
Werse: Da reden wir eigentlich von zwei unterschiedlichen Phänomenen: Einmal das, was wir jetzt in unserer Studie nicht untersucht haben, die klassischen, offenen, harten Drogenszenen. Da zeichnet sich seit einigen Jahren ab, dass es da in vielen Städten zu Verschärfungen kommt. Das hat allerdings auch nicht unbedingt etwas mit Opioiden, sondern zum großen Teil mit Crack zu tun. Aber auch da steigen seit einiger Zeit die Drogentoten an. Das hat wahrscheinlich auch einfach etwas mit der krisenhaften Situation in der Gesellschaft zu tun. Zum anderen gibt es aber eben dieses Phänomen bei den jungen Leuten, das vor allen Dingen über die Jugendkultur vermittelt wird. Da habe ich ja jetzt auch schon mal so ein kleines bisschen Entwarnung gegeben, dass es vor allen Dingen die sind, die sowieso schon gewisse psychische Probleme mit sich bringen. Und um die muss man sich auch ganz besonders kümmern, dass man da vernünftige Therapien findet und unter Umständen auch eine vernünftige Medikation, dass solche Leute eben nicht sich selber medikalisieren. Das andere ist gerade bei sehr jungen Leuten, die solche Drogen vielleicht mal ausprobieren: Da sollte man zusehen, dass man ihnen Botschaften vermittelt, dass damit einfach nicht zu spaßen ist, dass man davon körperlich abhängig werden kann. Und das war vielen von diesen Jugendlichen vorher nicht bewusst, bevor sie das ausprobiert haben. Das sind auf jeden Fall Botschaften, die es zu vermitteln gilt.