Leiden Tiere, damit wir Milch haben? SWR-Film „Die Spur der Kälbchen“

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Autor/in
Andreas Böhnisch

Milch ist eines unserer Grundnahrungsmittel. Kühe geben aber nur Milch, wenn sie regelmäßig Kälber zur Welt bringen. Damit hat die Milchwirtschaft aber ein Problem: Jedes Jahr werden etwa drei Millionen Kälber geboren, für die es keinen Markt gibt. Gerade männliche Kälber zu verkaufen, ist oft schwierig. Deshalb werden diese Tiere oft weit über die Grenzen der EU hinaus transportiert. Wie es dabei zugeht, das erzählt SWR-Reporter Edgar Verheyen im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch- und im Film "Die Spur der Kälbchen - Die Schattenseite der Milchindustrie".

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SWR: Was passiert denn mit so einem Kalb, mit dem der Landwirt auf dem eigenen Hof nichts anfangen kann?

"Die Kälber verursachen eigentlich nur Kosten"

Edgar Verheyen: Die Tiere dürfen seit dem 1. Januar erst verkauft werden, wenn sie 28 Tage alt sind. Solange muss der Landwirt sie behalten. Bis dahin verursachen diese Kälber eigentlich nur Kosten. Dann versucht der Landwirt, sie so früh wie es eben geht, loszuwerden, gibt sie an einen Viehhändler, und bekommt dafür einen recht geringen Betrag. Die Summen liegen zwischen 50 und 120 oder 150 Euro je nach Art des Kalbes. Dann werden die Tiere vom Viehhändler mitgenommen, meistens an einen weiteren Viehhändler verkauft. Und dann gehen viele dieser Tiere auf eine lange Reise. Mehr als 600.000 Kälber aus Deutschland werden nach Holland exportiert. Dort bleiben sie aber zum Teil gar nicht, sondern gehen wieder weiter. Viele werden dann bis nach Spanien transportiert. In Spanien werden sie gemästet, werden zehn bis zwölf Monate alt. Nach dieser Zeit gehen wiederum sehr, sehr viele Tiere bis in den Nahen Osten, wo sie am Ende als Schlachtvieh geschächtet werden. Schächten bedeutet: Ihnen wird die Hauptschlagader aufgeschnitten, ohne Betäubung. Das ist die Schlachtmethode in den arabischen Staaten.

SWR: Also das ist ein ziemliches Martyrium für diese Kälber. Wie könnten solche Tiertransporte überflüssig gemacht werden?

Verheyen: Zum einen müssten sie stärker kontrolliert werden. Wir haben herausgefunden, dass im Grunde immer nur der nächste Schritt interessiert: Der Bauer verkauft das Tier an den Viehhändler 1. Der Viehhändler 1 verkauft sich wiederum an den Viehhändler 2. Mehr interessiert ihn auch nicht. Es ist immer nur der nächste Schritt. Wir haben auch eine diffuse Rechtslage, die im Grunde dieses Verfahren erst möglich macht. Tiertransporte unter acht Stunden zum Beispiel müssen in Deutschland nicht genehmigt werden. Aber wenn ein Viehhändler jetzt mehrere Kurzzeittransporte aneinanderhängt und dann daraus einen langen Transport macht, wird das im Grunde nicht überprüft. Eine NGO, die „Animal Welfare Foundation“, mit der ich gesprochen habe, hat herausgefunden, dass es Tiertransporte gibt, bei denen Kälber bis zu 70 Stunden lang nicht versorgt werden. Das sind Dinge, die stärker überwacht werden müssten. Und wenn das nicht ernst genommen wird, geht es halt so weiter.

"Landwirte bemühen sich sehr, gesunde Tiere zur Welt zu bringen"

SWR: Nun habe ich als Stadtkind die vielleicht naive Vorstellung, dass die Bauern durchaus ein Interesse an ihren Tieren haben, dass ihnen das nicht egal ist, was mit denen passiert, auch mit diesen Kälbern. Wie stehen die Landwirte zu dieser Praxis?

Verheyen: Das ist auch so. Die Landwirte bemühen sich sehr, gesunde Tiere zur Welt zu bringen, stecken da wahnsinnig viel Energie rein. Aber was danach mit den Tieren passiert, haben sie nicht in ihrer Hand. Danach sind es eben andere Viehhändler oder andere Mastbetriebe, die wiederum dann das Geschehen steuern.

SWR: Sie sind nun schon seit vielen Jahren als Dokumentarfilmer aktiv und haben auch immer wieder über Missstände in der Lebensmittelwirtschaft berichtet. Sie haben also schon einiges gesehen, einiges erlebt. Was hat Sie denn bei der Recherche für diesen Film „Die Spur der Kälbchen, die Schattenseite der Milchindustrie“ am meisten berührt?

"Ein einziger Blutrausch"

Verheyen: Im Grunde das, was am Ende mit den Tieren geschieht. Denn wenn die Tiere erst mal in Spanien sind, dann werden sie auf ein Schiff verladen und bis in den Nahen Osten gebracht. Und wir haben Bilder aus dem Libanon bekommen, wo deutsche Jungbullen dann geschächtet wurden, also ohne Betäubung getötet wurden. Und diese Aufnahmen sind schlichtweg eine einzige Blutorgie, ein Schreckensszenario. Die Tiere werden mit Gewalt auf den Boden geschmissen, sind gefesselt ein Schlachter stürzt sich mit einem Messer auf das Tier und schneidet ihm die Hauptschlagader auf - und das ist ein einziger Blutrausch. Diese Bilder, die bleiben einem schon im Kopf hängen.

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Andreas Böhnisch