Israel ist nach dem Hamas-Angriff im Krieg. Aber der Nahostexperte Igal Avidan hat den "kleinen Frieden" zwischen Israelis und Palästinensern erlebt, hat er SWR Aktuell-Moderator Pascal Lechler erzählt.
Der 7. Oktober, als die islamistische Terror-Organisation Hamas Israel angegriffen hat, hat die Situation im Nahen Osten grundlegend verändert. Israel befindet sich im Krieg. Trotzdem hält der Nahost-Experte Igal Avidan ein Zusammenleben von Israelis und Palästinensern für möglich. Er habe den "kleinen Frieden" erlebt. SWR Aktuell-Moderator Pascal Lechler hat mit ihm gesprochen.
SWR Aktuell: Wie groß ist jetzt noch die Bereitschaft zwischen Israelis und Palästinensern in Frieden zusammenzuleben?
Igal Avidan: Die Solidarität in der israelischen Gesellschaft - zwischen Juden und Arabern - ist gerade nach diesem furchtbaren Massaker an etwa 1.400 Menschen gewachsen. Es ist wirklich erstaunlich. Das was die Regierung oder das Militär nicht leisten, das leistet die Zivilgesellschaft - Juden und Araber zusammen. Das ist ein Hoffnungsschimmer in dieser furchtbaren Zeit.
Das friedliche Zusammenleben hängt nicht von einem Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern ab. Im Alltag gibt es viele Menschen, die versuchen, gemeinsam verschiedene Projekte zu machen, freundschaftlich miteinander umgehen. Manche heiraten einander sogar. Das ist der kleine Friede im Alltag, der nicht auf die Politiker wartet, dass sie ein Friedensabkommen schließen.
SWR Aktuell: Was hat sich gegenüber früheren Gesprächen, die Sie geführt haben, verändert?
Avidan: Ich stelle jetzt fest, dass manche Gesprächspartner, die in einer Institution arbeiten, die öffentliche Fördermittel bekommt, sehr vorsichtig sind und nicht reden wollen. Menschen, die privat agieren und auch finanziell sowie politisch unabhängig sind, reden eher.
Ich bin sehr mit Mahmoud Safadi befreundet. Das ist ein ehemaliger palästinensischer Terrorist aus Ost-Jerusalem. Es ist uns beiden wichtig, gerade jetzt im Krieg miteinander zu reden und zu sagen: Jeder Tropfen Blut auf beiden Seiten tut uns weh. Wir hoffen beide, dass sowohl die Israelis als auch die Palästinenser eine passende Führung wählen, die dann eine politische Lösung für diesen Konflikt erreicht - also keine militärische Lösung.
Ich habe auch mit Amira Badran gesprochen. Er ist Rechtsanwalt aus Jaffa. Er hat sehr schnell über 3.000 jüdische und arabische Freiwilligen versammelt, die dafür sorgen, dass es in diesem Stadtteil von Tel Aviv ruhig bleibt. Die Aktivisten tun alles gegen Gewalt und Hetze. Sie sammeln Kleidung und Lebensmittel für die Menschen, die flüchten mussten. Also jeder tut irgendwas, was ich sehr bewegend finde.
SWR Aktuell: In Israel steht das Schicksal der Geiseln im Vordergrund. Für das Leid der Menschen im Gazastreifen scheint wenig Platz in der Debatte zu sein, oder?
Avidan: Leider ja. Die meisten Israelis - Juden sowie Araber - sorgen sich um ihre Sicherheit. Leider befürworten nur etwa zehn Prozent der jüdischen Israelis, dass das Militär Rücksicht auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen nimmt. Bei den arabischen Israelis sind es 83 Prozent.
Was mich erstaunt hat, ist, dass der Optimismus in Israel gestiegen ist - vor allem in der jüdischen Bevölkerung. Trotz des Massakers der Hamas sind zwei Drittel der Israelis optimistisch, dass die Zukunft Israels besser sein wird. Ich denke, dass diese Zukunft Israels auch von der Zukunft der Palästinenser abhängt.
Es ist offensichtlich immer noch der Wunsch vorhanden und die Hoffnung sogar größer geworden, dass man am Ende zu einem friedlichen Zusammenleben mit den Palästinensern kommen kann. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, in welchem Schock die Israelis nach diesem furchtbaren Massaker gerade leben.