Kiesewetter (CDU): „Russland macht Geiseldiplomatie zum Geschäftsmodell“

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Autor/in
Jonathan Hadem

Der größte Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Krieges ist gelaufen. 26 Menschen sind ausgetauscht worden. Deutschland hat den „Tiergartenmörder“ Vadim Krassikow freigelassen. Das kritisiert der Außen- und Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter von der CDU. Er erklärt im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Jonathan Hadem, warum er befürchtet, dass auf diese Weise ein Präzedenzfall geschaffen wird.

Von der menschlichen Frage her: ganz klar eine gute Lösung

SWR Aktuell: Wie hätten Sie entschieden?

Roderich Kiesewetter: Zunächst einmal ist das aus menschlicher Perspektive völlig zu begrüßen. Der Punkt ist ja, dass die Bundesregierung eine sehr schwierige Abwägungsentscheidung hatte. Und Biden hat es heute Nacht ja auch deutlich gemacht, dass die Bundesregierung quasi über ihren Schatten gesprungen ist. Wir haben einen Mörder freigelassen. Ich weiß nicht, ich bin ja da nicht in Verantwortung, ob wir mehr hätten rausverhandeln können. Aber wichtig ist, dass auch unserer Bevölkerung klar ist: Wir bleiben ein Rechtsstaat, und es geht nicht darum, dass man auf deutschem Boden weiter morden kann - das Berliner Landgericht hat ja davon gesprochen, dass Russland ein Terrorstaat ist - und dann wird man nach einigen Jahren ausgetauscht. Das ist für mich der wesentliche Kritikpunkt. Von der menschlichen Frage her: ganz klar eine gute Lösung.

SWR Aktuell: Ihr Parteichef und Oppositionsführer Friedrich Merz hat dem Kanzler versichert, dass er mit der Entscheidung der Bundesregierung einverstanden ist. Hat Merz da ihrer Meinung nach die Lage falsch eingeschätzt?

Russland macht Geiseldiplomatie zum Geschäftsmodell

Kiesewetter:Nein, es ist ja eine schwierige Abwägungsentscheidung. Und Friedrich Merz arbeitet ja darauf hin, Bundeskanzler zu werden, und muss sich mit solchen Fragen auch intensiv beschäftigen. Ich sage als jemand, der im Parlamentarischen Kontrollgremium ist und sich seit 30 Jahren sehr intensiv mit Sicherheitspolitik beschäftigt: Russland macht Geiseldiplomatie zum Geschäftsmodell. Es ist eine Frage der Zeit, dass der nächste Auftragsmord ausgeübt wird, und dass dann durch Festnahmen auf russischer Seite wieder „Austauschpersonal“ gesammelt wird. Wir haben ja den Fall bei Belarus, den Herrn Krieger, der festgenommen wurde, ohne großen Hintergrund. Wir haben den Fall Woronesch und andere, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen und dann quasi zur Freipressung von echten Straftätern und Terroristen dienen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Und als frei gewählter Abgeordneter aus Baden-Württemberg, aus Aalen-Heidenheim, sage ich auch: Unsere Bevölkerung muss wissen, man darf in Deutschland nicht Morde ausüben, um dann hinterher seine Leute freizupressen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.

SWR Aktuell: Trotzdem noch eine Frage zu diesem Dilemma: Scholz hat es gestern auch so genannt, hat die Schutzverpflichtung gegenüber inhaftierten Deutschen erwähnt. Deswegen sei es auch gerechtfertigt, Mörder wie Krassikow auszutauschen. Wenn man Krassikow nicht freigelassen hätte, dann hätte man im Gegenzug natürlich auch niemandem zurückholen können. Da sind einem doch als Bundesregierung und als Kanzler auch ein bisschen die Hände gebunden, oder?

Kiesewetter:Es ist die Kernfrage, und Sie haben das Dilemma sehr gut beschrieben. Krassikow war die Schlüsselfigur, ein langer Kollege, Freund, Partner von Putin. Die kennen sich seit vor 30 Jahren, und Putin lag sehr daran, diesen Mann freizubekommen, weil natürlich Krassikow viel mehr weiß, als er in seinen Verhören preisgegeben hat. Er ist ein engster Vertrauter von ihm und ist jetzt belohnt worden für sein Schweigen. Das ist das Dilemma, das wir aushalten müssen. Ich kenne Kara-Mursa persönlich. Ich kenne seine Frau, ich kenne eines seiner Kinder. Ich habe auch Frau Nawalnaja kennengelernt und eines ihrer Kinder. Es ist ein Drama, wie mit diesen Menschen umgegangen wird. Und Nawalny hat ja mit dem Leben bezahlt, für seinen Mut, wieder zurückzugehen.

Russland führt einen Krieg gegen unsere Art, zu leben

Wir müssen uns im Klaren sein: Russland ist ein Terrorstaat. Man muss teilweise verhandeln. Aber entscheidend ist, dass Russland einen Krieg gegen unsere Art zu leben führt und wir deswegen sehr vorsichtig sein müssen. Wir sollten das nicht als Lichtblick sehen, sondern als notwendiges Opfer in einer schwierigen diplomatischen Frage.

SWR Aktuell: Der russische Präsident Putin hat diesen Austausch für seine Propagandazwecke benutzt und ausgeschlachtet. Wie sollten Deutschland und der übrige Westen darauf reagieren?

Kiesewetter:Wir müssen das einfach entlarven und öffentlich ansprechen. Es ist völlig klar, dass Putin das ausschlachtet. Wichtig ist bei uns, dass wir unsere Strafermittlungsbehörden stärken, dass unsere Nachrichtendienste nicht noch weiter eingeschränkt werden. Wir sind sehr abhängig von nachrichtendienstlichen Informationen von Tschechien, von USA, von Israel und anderen Partnern. Wir müssen unsere eigenen Dienste stärker befähigen, damit wir nicht ständig Hinweise bei anstehenden Katastrophen von Nachbarstaaten bekommen. Wir müssen uns selber stärker wappnen. Und wir brauchen deshalb eine „Bedrohungsgesamtrechnung“ – und keine, wie es im Koalitionsvertrag heißt, „Überwachungsgesamtrechnung“. Unsere Bevölkerung muss wissen, wie die Bedrohungslage ist. Und dann kann man auch schauen, dass, wenn die Dienste besser ausgestattet sind, unsere Sicherheitslage insgesamt verbessert. Die ist nicht gut.

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Jonathan Hadem