Das Bootsunglück mit hunderten Toten ist eine Folge der Flüchtlingspolitik, kritisiert der Migrationsforscher Olaf Bernau im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Stefan Eich. "Die EU tut das Falsche."
Hunderte Menschen sind bei dem Untergang eines Migrantenboots vor Griechenland ums Leben gekommen. Die Suche nach Toten läuft weiter, Hoffnung auf Überlebende gibt es nicht mehr.
SWR Aktuell: Warum geschieht so wenig von der EU gegen solche Unglücke?
Olaf Bernau: Es ist nicht so, dass nichts passieren würde. Die EU setzt sehr einseitig auf Repression, auf die Abwehr von Flüchtlingen. Das kann aber nicht funktionieren und das kann man an diesem Bootsunglück sehen.
Die Boote nehmen immer längere und gefährlichere Wege. In diesem Fall haben sie versucht, von Ägypten nach Italien über das Mittelmeer zu fahren - und nicht nach Griechenland. Denn dort haben die Flüchtlinge Angst, dass sie in Haftzentren kommen und abgeschoben werden.
Deshalb muss man sagen: die EU tut das Falsche. Sie macht etwas, was solche Bootsunglücke wahrscheinlicher macht. Insofern sind es Krokodilstränen, wenn jetzt bedauert wird, dass so viele Menschen ums Leben gekommen sind.
SWR Aktuell: Die Innenminister der EU haben ausgehandelt, dass Asylbewerber künftig Schnellverfahren in Lagern an den EU-Außengrenzen durchlaufen sollen. Kann das Menschen davon abbringen, sich auf den Weg über das Mittelmeer zu machen?
Bernau: Nein. Es wird die Menschen auf gar keinen Fall davon abbringen. Man muss sich nur angucken, wie sich die Ankunftszahlen in den letzten 20 Jahren entwickelt haben. Das ist ein ständiges Hoch und Runter, obwohl es eine ständige Zunahme der migrationspolitischen Abwehrmaßnahmen gegeben hat. Man kann sehen, dass mehr Zäune nicht dazu führen, dass weniger Menschen kommen.
Die Menschen kommen ein Stück weit in Abhängigkeit von ihren ganz persönlichen Perspektiven. Migration und Flucht ist eine Frage von Perspektivlosigkeit. Geflüchtete aus Syrien machen sich auf den Weg, weil sie keine Perspektive mehr für sich und ihre Kinder sehen. Das gilt auf die eine oder andere Weise für ganz viele Länder. Einfache Stellschrauben, wie eine Verschärfung des Asylrechts, werden daran nichts ändern. Die Menschen werden ohnehin kommen.
SWR Aktuell: Das Schlagwort ist: man muss die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen. Kann das funktionieren und was müsste da geschehen?
Bernau: Es kann funktionieren, aber nur wenn die EU viel mehr Geld in die Hand nimmt, als sie es in den letzten Jahren gemacht hat. Bislang war es immer eine Art Gießkannenprinzip. Wir bauen einen Brunnen, eine Schule oder ein Ausbildungszentrum. Aber das hilft der Masse der Menschen überhaupt nicht. Das kommt nur bei einzelnen an. Da profitieren hier mal 100 oder dort mal 500 Leute. Aber wir reden über Millionen.
Außerdem muss man sich noch einen zweiten Punkt vor Augen führen: Es ist so, dass mehr Geflüchtete kommen, wenn Menschen mehr Ressourcen haben, wenn es ihnen also ein bisschen besser geht. Die Menschen kommen nicht aus den ärmsten Ländern der Welt, also global betrachtet zum Beispiel von den Philippinen, aus Mexiko oder aus Ägypten. Dort geht es den Menschen im Schnitt ein bisschen besser. Das bedeutet, dass Europa eine Zuwanderungspolitik braucht, die es Leuten möglich macht, auf legalem Weg einzureisen.
SWR Aktuell: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich nach dem Bootsunglück erschüttert gezeigt. Trotzdem scheint es so, als wollten Politik und Bürger die Flüchtlinge weit weg von Deutschland halten. Wie passt das für Sie zusammen?
Bernau: Eigentlich passt es überhaupt nicht zusammen. Ich möchte nicht ausschließen, dass Frau Faeser und viele andere Menschen Mitleid haben. Aber es erinnert an die Strategie eines kleinen Kindes, das sich hinter einem Stuhl versteckt und glaubt nicht gesehen zu werden.
Man kann die Flüchtlinge nicht aus der Welt schaffen. Man muss einerseits konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Leute aufzunehmen und andererseits dafür sorgen, dass sie gar nicht erst aufbrechen. Wenn die Leute aufgebrochen sind, werden sie sich nicht abhalten lassen. Wenn man jetzt an den EU-Außengrenzen haftähnliche Unterbringungsbedingungen schafft, wird das dazu führen, dass sich dort Tausende stapeln. Das ist ein hässliches Wort, aber genauso wird es sein. Das wird keine Lösung sein.
Selbst wenn ein Land wie Tunesien sich bereit erklärt, einen Teil der Flüchtlinge wieder zurückzunehmen, werden die Menschen erneut aufbrechen. Denn in Tunesien haben sie auch keine Perspektive. Das ist ein Verschiebebahnhof, der geschaffen wird. Europa muss Konsequenzen ziehen, wenn man eine nachhaltige Lösung will. Und vor allem, wenn man nicht möchte, dass bis zu 750 Menschen ums Leben kommen und davon etwa 100 Kinder, die sich im Bauch des Bootes befunden haben sollen.
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