Die Fälle von Gewalt in Partnerschaften haben im vergangenen Jahr etwas abgenommen. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden für 2021 rund 143.000 Fälle registriert. Das sind zweieinhalb Prozent weniger als im Jahr davor. Vier von fünf Tatverdächtigen waren Männer, genau so hoch ist der Anteil der Frauen unter den Opfern häuslicher Gewalt. Dabei geht Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) von einer hohen Dunkelziffer aus. Paus sagte im SWR: "Gut zwei Drittel der weiblichen Opfer gehen auch nach schwerster Gewalterfahrung nicht zur Polizei." Für sie gelte es mehr und niedrigschwellige Hilfsangebote zu machen. Wichtig sei aber auch, dass das Umfeld aufmerksam beobachte, den Opfern helfe und sie unterstütze, so Paus.
SWR: Frau Paus, die Zahlen sind im Vergleich zu 2020 leicht zurückgegangen. Zugleich melden Frauenhäuser und Beratungsstellen mehr Hilfesuchende. Wie belastbar sind die Zahlen aus ihrer Sicht?
Lisa Paus: Die Zahlen sind die offiziellen Zahlen der Kriminalstatistik. Von daher sind sie belastbar. Aber wir wissen, dass gerade beim Thema Partnerschaftsgewalt das Dunkelfeld sehr hoch ist. Gut zwei Drittel der weiblichen Opfer gehen auch nach schwerster Gewalterfahrungen nicht zur Polizei. Und deswegen wundert mich nicht, dass die Zahlen etwas auseinander gehen.
SWR: Die Dunkelziffer scheint ein Riesenproblem zu sein. Wie bekommt man mehr Frauen dazu, zur Polizei zu gehen oder sich Hilfe zu suchen? Offenbar sind die Hürden ja sehr groß!
Paus: Das Beratungsangebot muss niedrigschwellig sein, gerade beim Thema Gewalt. In der Partnerschaft stellen wir fest, dass viele über Monate und Jahre dieser Gewalt ausgesetzt sind. Das ist natürlich eine ganz besonders harte Situation. Ich kann einfach nur noch mal darüber informieren, dass es ein Hilfetelefon gibt, bundesweit, das rund um die Uhr erreichbar ist und Beratungsangebote in verschiedensten Sprachen anbietet.
SWR: Brauchen wir nicht nur niederschwellige Einrichtungen, sondern auch einfach mehr Einrichtungen?
Paus: Da haben Sie völlig Recht. Es gibt in Deutschland rund 350 Frauenhäuser und auch 100 Schutzwohnungen. Dazu mehr als 600 Beratungsstellen, von denen man weiter vermittelt wird. Das ist zu wenig, wenn man sich die Summe und die regionale Verteilung anschaut. Deswegen haben wir uns als Ampelkoalition darauf verständigt, einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, um die Situation zu verbessern. Ich bin auch noch in diesem Monat mit den Ländern im Gespräch, um zu schauen, wie wir dieses Gesetz gestalten, damit jede Frau in Deutschland das Recht auf Schutz vor Gewalt auch tatsächlich bekommen kann.
SWR: Das geht wohl nur mit mehr finanziellen Mitteln: "Wir brauchen mehr Geld", sagte hier im SWR die Vorsitzende des Verbandes Frauenhaus-Koordinierung, Kathrin Frank.
Paus: Das stimmt. Wenn wir mehr Frauenhäuser haben wollen, dann kostet es auch mehr Geld. Genau darüber werden wir mit den Ländern reden. Aber wichtig ist auch, dass wir das in einem gesetzlichen Rahmen tun. Damit Frauen sich darauf verlassen können, dass ihr Recht auf Schutz in Deutschland Wirklichkeit wird.
SWR: Die Hilfe basiert vor allem auf freiwilligen Leistungen der Länder und Kommunen. Kann das mit diesem neuen Gesetz geändert werden?
Paus: Darüber sind wir schon länger mit den Ländern im Gespräch. Aber in dieser Legislaturperiode wollen wir endlich mit Nägel mit Köpfen machen.
SWR: In den Frauenhäusern gibt es mehr Kinder als Frauen. Wie kann bei diesem Problemen geholfen werden?
Paus: Das ist jetzt erstmal kein Problem. Dafür sind ja gerade die Frauenhäuser da. Und es ist ja völlig absurd, sich vorzustellen, dass Frauen gehen, aber ihre Kinder schutzlos in der Gewaltsituation zurücklassen. Deswegen raten wir immer dazu, dass Frauen ihre Kinder in die entsprechenden Einrichtungen mitnehmen. Aber richtig ist, dass wir in Deutschland zu wenig Plätze haben.
SWR: Stichwort Dunkelziffer. Gewalt in der Partnerschaft geschieht meist im Verborgenen. Wie wichtig ist die Öffentlichkeit?
Paus: Sie ist wichtig: Jeder Nachbar und jede Nachbarin, jede Freundin und jeder Freund sind gut beraten, genauer hinzuschauen. Gewalt in der Partnerschaft ist kein Phänomen, das wir nur am Rand der Gesellschaft finden. Es zieht sich durch alle Schichten und geschieht in der Mitte unserer Gesellschaft. Und es sind vor allem Frauen davon betroffen. 80 Prozent der Opfer sind Frauen. Jede vierte Frau hat in ihrem Leben Gewalterfahrungen machen müssen. Deswegen braucht es zum einen Hilfeangebote für die Opfer. Aber wir alle können gemeinsam etwas tun, damit so etwas in Deutschland seltener passiert.
SWR: Zugleich ist es ein Tabuthema!
Paus: Das stimmt. Ich habe darauf hingewiesen, dass viele Opfer davor zurückschrecken, ihre Peiniger anzuzeigen. Es ist tatsächlich oft so, dass andere Menschen die Anzeigen machen. Von daher ist auch das Umfeld gefragt, um die Opfer zu unterstützen. Wichtig ist aber auch, dass die Opfer selbst den Mut fassen. Und deswegen nutzen Sie die Möglichkeiten der Hilfe, dann auch tatsächlich Anzeige zu erstatten! Nur dann können die Täter zur Verantwortung gezogen werden!