Viele Schulleiterinnen und Schulleiter in Baden-Württemberg sind unzufrieden. Einer Umfrage zufolge klagen sie über zu viel Bürokratie und zu wenig Verständnis von der Politik. Fast die Hälfte von ihnen würde den eigenen Beruf nicht weiterempfehlen. Kaum verwunderlich also, dass sich auf die 259 offenen Stellen im Land laut Kultusministerium nur 213 Lehrkräfte beworben haben.
Wie lässt sich das ändern? SWR Aktuell hat mit drei Rektorinnen und Rektoren gesprochen, die sich trotz Widrigkeiten immer wieder für die Schulleitung entscheiden würden und ihren Beruf sehr gerne machen. Sie schildern ihre Motivation, ihren Alltag und mögliche Lösungen für das Nachwuchs-Problem:
- Grundschulrektor: "Ich bekomme unheimlich viel zurück"
- Rektor einer sonderpädagogischen Schule: Zeitmanagement ist alles
- Rektorin am Gymnasium: Teams an der Spitze möglich machen
Grundschulrektor: "Ich bekomme unheimlich viel zurück"
Mitten in der Corona-Zeit hat Johannes Bodemer die Leitung der Grundschule Simonswald (Kreis Emmendingen) übernommen. "Es war nicht die leichteste Zeit, aber wann ist schon der richtige Zeitpunkt dafür?", fragt er vier Jahre später. Er will etwas verändern, brennt für seinen Beruf. Wenn er von seiner Arbeit erzählt, ist er kaum zu bremsen. Für Bodemer war der Schritt damals die richtige Entscheidung.
Grundschulkinder verbringen mehr als den halben Tag in der Schule. Deshalb sollten sie sich dort wohlfühlen, Spaß haben und ihr Wissensdurst müsse gefördert werden, ist Bodemer überzeugt. "Wenn ich das erreiche - und das kann ich als Schulleiter beeinflussen - dann lernen die Kinder auch lieber." Das ist ihm mehr wert als Geld.
Stundenlohn eines Rektors niedriger als der eines Lehrers
Sein Stundenlohn sei gesunken, seit er die Schulleitung übernommen hat, sagt Bodemer. Er arbeitet mehr, als er eigentlich sollte. Seine Tage fangen manchmal vor 6 Uhr an und enden nach 22 Uhr. Oft fährt er den Computer wieder hoch, sobald seine Kinder im Bett sind. "Was wir in den vergangenen Jahren geschaffen haben, bestärkt mich aber, weiterzumachen. Ich bekomme unheimlich viel zurück."
Unruhige Nächte hat er vor allem, wenn mehrere Lehrkräfte krank sind. Dann müssen entweder andere Lehrkräfte oder er selbst einspringen - obwohl alle schon mit ihren Stunden ausgelastet sind. "Das ist so, als würde die erste Fußball-Bundesliga spielen und es säße niemand auf der Ersatzbank. Dann verletzt sich jemand und der Trainer muss mit auf den Platz", sagt Bodemer. Er selbst als Rektor müsse dann in Klassen unterrichten, in denen er nie sei. "Das ist auch für mich eine ungewohnte Situation."
Schulen in kleinen Gemeinden als Chance
Im Hinblick auf Nachwuchsrekrutierung in Sachen Rektorinnen und Rektoren sieht sich Bodemer auch als "Scout" im eigenen Kollegium. Er will potenziell geeignete Lehrkräfte fördern und ermutigen. "Bei uns gibt es zum Beispiel eine fantastische Lehrerin, die ich an der Spitze einer Schule sehe", sagt er. Falls sie sich dafür entscheide, verliere er sie zwar als geschätzte Kollegin, für eine andere Schule könne sie aber eine große Bereicherung sein. Viele geeignete Lehrerinnen hätten aber Bedenken, dass eine Leitungsrolle nicht mit dem Familienleben zu vereinbaren sei, sagt Bodemer.
Der Grundschulrektor spricht auch immer wieder mit Lehrkräften, die sich zwar eine Leitungsrolle vorstellen können, aber nicht überall. Vielen seien die Wege in kleinere Schwarzwaldgemeinden zu weit. "Es hat aber durchaus seinen Charme, auch außerhalb von Städten nach Stellen zu suchen", sagt Bodmer. Dort könne man richtig gestalten und komme einfacher ins Gespräch mit Entscheidungsträgern wie Bürgermeistern.
Rektor einer sonderpädagogischen Schule: Zeitmanagement ist alles
"Ich war sehr gerne einfach nur Lehrer", sagt Michael Hirn. Dann sei die Stelle der Schulleitung frei geworden und das habe ihn zum Nachdenken gebracht. "Ich habe gemerkt, dass ich gerne Verantwortung für die ganze Schule übernehmen möchte." Hirn ist seit 2008 Schulleiter an der Stuttgarter Helene-Fernau-Horn-Schule, einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Sprache. Als Schulleiter möchte er gute Bedingungen für Schülerinnen und Schüler schaffen, damit sie etwas erreichen könnten.
Der Großteil von Hirns Tag besteht aus Unvorhergesehenem. "Es ist immer ein Risiko, wenn ich mir Sachen vornehme", sagt er. Meist komme er nämlich nicht dazu. "Dann klopft es an der Tür, das Telefon klingelt oder ich bekomme eine wichtige E-Mail." Er müsse sich oft spontan mit Fragen oder Problemen auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Manchmal sei er gar nicht für die Anliegen zuständig, trotzdem landeten sie in der Regel erstmal bei ihm.
Schulleiter Hirn arbeitet 60 Stunden in der Woche
Es sei völlig unmöglich, allem gerecht werden zu wollen. Damit hat sich Michael Hirn aber längst abgefunden. Er geht seine Tage ruhig und pragmatisch an. Es gehe darum, zu priorisieren. Manche Dinge blieben auch liegen, aber "die waren dann wahrscheinlich sowieso nicht so wichtig", sagt er.
In einer durchschnittlichen Schulwoche arbeitet Hirn um die 60 Stunden. "Wer seinen Job als Schulleiterin oder Schulleiter gut machen will, der kommt mit der Jahresarbeitszeit, die uns das Land zur Verfügung stellt, auf gar keinen Fall aus", sagt er. Seine Arbeitsbelastung würde er trotzdem nicht als "übermäßig hoch" beschreiben. Das hänge damit zusammen, dass ihm die meisten seiner Aufgaben Spaß machten.
Je größer eine Schule ist, desto weniger müssen Rektorinnen und Rektoren neben ihrer Leitungszeit unterrichten. Nach Ansicht von Hirn ist die Lage an kleineren Schulen oft "völlig inakzeptabel". "Die Schulleitungen dort müssen die gleichen Aufgaben machen, haben aber weniger Zeit dafür. Teilweise sind sie sogar noch Klassenlehrerin oder Klassenlehrer nebenher", sagt Hirn. Das sei absurd.
Weniger Bürokratie und mehr Unterstützung notwendig
Nach Ansicht von Hirn schrecken drei Dinge Lehrkräfte davon ab, sich für die Schulleitung zu bewerben: zu viel Bürokratie, zu wenig Unterstützung und der Lehrkräftemangel. "Man müsste bürokratische Verwaltungsvorgänge deutlich entschlacken", sagt er. Dann hätten Schulleitungen wieder mehr Zeit für die wichtigen Dinge und ihr Job wäre deutlich erfüllender. Helfen könnte laut Hirn auch, wenn es mehr Verwaltungspersonal in Schulen gäbe, das Rektorinnen und Rektoren Aufgaben abnehmen könne.
Rektorin am Gymnasium: Teams an der Spitze möglich machen
"Lehrkräfte entscheiden sich für ihren Beruf, weil sie Pädagogen sein wollen. Sie wollen vor der Klasse stehen, unterrichten", ist Verena König überzeugt. Sie ist seit 2008 Rektorin am Gottlieb-Daimler-Gymnasium in Stuttgart. In der Funktion der Schulleitung mache das Unterrichten oft nur noch einen kleinen Teil der Arbeit aus. Es kämen weitere Aufgaben hinzu, die viele nur bedingt interessant fänden - zum Beispiel Verwaltungsaufgaben. Außerdem müssten Rektorinnen und Rektoren konfliktfähig sein.
Schulleitung rechnet sich für viele nicht
Lehrkräfte erlebten jeden Tag wie anspruchsvoll, sowohl zeitlich als auch emotional, der Beruf der Schulleitung sei, sagt König. "Viele rechnen sich aus: Wie viel mehr Geld bekomme ich? Und das steht aus meiner Sicht in keinem Verhältnis." Emotional belastend sind für sie zum Beispiel die Schicksale geflüchteter Schülerinnen und Schüler. "Wenn Eltern mit ihren Kindern zu mir kommen und es geht um die Aufnahme an der Schule oder um die Schulentwicklung, dann spielen in diesen Gesprächen Fluchterfahrungen eine große Rolle." Sie müsse anschließend entscheiden, was zu tun sei und stehe in der Verantwortung - den Familien und ihren Lehrkräften gegenüber.
"Natürlich müssen Schulleitungen Entscheidungen treffen. Dafür sind sie da", sagt König. Das mache manchmal aber auch einsam. Denn man müsse damit allein umgehen.
Rektorinnen und Rektoren brauchen Unterstützung
Für König gibt es eine einfache Lösung für das Nachwuchs-Problem. "Man müsste Schulleitungen ermöglichen, im Team zu arbeiten", sagt sie. Überall sonst sei es möglich, sich eine Leitungsstelle zu teilen. Nur für Schulen habe der Gesetzgeber das ausgeschlossen.
Außerdem müssten Rektorinnen und Rektoren von Anfang an das Gefühl haben, unterstützt zu werden. "Sie brauchen Ansprechpartner, an die sie sich mit ihren Sorgen und Nöten wenden können", sagt sie. Es dürfe nicht nur darum gehen, dass Schulleitungen sich um alle anderen kümmerten, aber selbst zu kurz kämen.
König ist trotz allem gerne Rektorin. "Ich bin stolz darauf, was wir an der Schule erreicht haben", sagt sie. Ohne die Unterstützung ihres Kollegiums wäre aber vieles nicht möglich gewesen. Sie hat das Gefühl, als Rektorin wirklich etwas für Schülerinnen und Schüler bewegen zu können.