Die Ulmerin Jana Bürgers arbeitet als Musik- und Lesepädagogin, unter anderem für die Stadtbibliothek - unterrichtet also eigentlich Babys, Kleinkinder und Erzieherinnen und Erzieher. Der Ulmer Josef Lehleiter ist 69 Jahre alt, seit drei Jahren pensioniert, davor war er Richter und Direktor am Amtsgericht Ulm. Sie beide sind Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz OSZE. Seit mehr als zwanzig bzw. zehn Jahren besuchen sie regelmäßig auf der ganzen Welt Länder vor und während ihrer Wahlen. In wenigen Tagen reisen sie in die USA zu den General Elections, während derer auch über das Präsidentschaftsamt entschieden wird. Vor ihrer Mission waren die beiden zu Gast im SWR Studio in Ulm.
SWR Aktuell: Frau Bürgers, Herr Lehleiter, wie sind Sie dazu gekommen, Wahlbeobachterin bzw. Wahlbeobachter zu werden?
Jana Bürgers: Bei mir ist es über 20 Jahre her, da habe ich gerade an meiner Doktorarbeit über die Ukraine geschrieben und da hat mein Mentor gesagt, ich sollte das Land doch mal von innen kennen lernen und nicht nur aus den Büchern und den Quellen. Er war auf dem Grenzgebiet von Politik und Wissenschaft tätig, daher wusste er von diesen Wahlbeobachtungen und hat mich da einfach eingeschleust. Dann bin ich da hängen geblieben und habe mich nach und nach mehr dafür interessiert, und irgendwann auch die Fortbildung zum Langzeitwahlbeobachter gemacht. Das mache ich jetzt seit 2014 jährlich.
Josef Lehleiter: Bei mir ist das ein bisschen über einen Umweg gegangen. Ich habe in Berlin einen "Core Course Peace-Operations"-Kurs gemacht, der dauert zwei Wochen. Das hat mich sehr interessiert, ich konnte aber durch meinen Beruf keine längere Zeit weg sein. Dann hat sich aber die Möglichkeit aufgetan, eine Schnellbleiche, wenn man so will, und ich bin 2013 das erste Mal als Wahlbeobachter nach Tadschikistan.
SWR Aktuell: Was sind dann konkret Ihre Aufgaben?
Bürgers: Tatsächlich fangen wir immer jede Mission in der Hauptstadt an. In einem gemeinsamen Briefing, wo wir über die Besonderheiten der Mission reden. Da werden wir eingeführt in die ganzen Bereiche, mit denen wir später zu tun haben: Administration, Wahlgesetzgebung, politische Grundvoraussetzungen, sicherheitsrelevante Bereiche, die Medienlandschaft, Zivilgesellschaftliches. Für diese Themen sind wir die Augen und die Ohren in der Region, in die wir dann entsendet werden. Ich sage immer verschickt, weil man weiß nie genau, wo man hinkommt. Es ist eine große Überraschung, wo man im Endeffekt landet.
Lehleiter: In diesem Beobachtungsgebiet ist man dann für die ganzen Themen zuständig. Vom Rest vom Land bekommt man unter Umständen nicht arg viel mit. Man hat eine sehr, sehr breite Basis an Gesprächspartnern, die erfreulicherweise eigentlich auch immer sehr offen sind. Wir sind nie alleine, sondern jedes Team arbeitet mit einem anderen internationalen Partner, meist einem lokalen Assistenten und einem Fahrer - also in der Regel arbeitet man in jedem Team zu viert.
SWR Aktuell: Sprechen Sie auch mit den Wählerinnen und Wählern vor Ort?
Bürgers: Ja, wenn es sich ergibt, aber es ist nicht das Hauptaugenmerk. Es geht uns vor allem darum, den Prozess und die äußeren Gegebenheiten zu verstehen und sie dahingehend zu beobachten, ob sie mit den örtlichen und den internationalen Standards übereinstimmen. Das wissen normale Wählende in der Regel gar nicht. Aber die fragt man dann zum Beispiel, wenn sie in einer Schlange vor dem Wahllokal stehen: 'Wie lange steht ihr da schon?' - Und dann fangen die vielleicht auch an zu erzählen.
Lehleiter: Wir werfen einen Blick darauf, ob der Wähler den Wahlprozess versteht, ob er Zugang zu Informationen und so hat. Insofern kann das Gespräch auch ganz interessant sein. Aber wie gesagt, das ist nicht der Schwerpunkt. Schwerpunkt sind der Prozess und alle Personen, die in irgendeiner Form am Vorgang der Wahl oder am Wahlkampf beteiligt sind.
SWR Aktuell: Was ist die Motivation für Sie beide jedes Jahr in ein anderes Land zu reisen und da die Wahlen zu beobachten?
Bürgers: Meine Motivation ist die Leute, die an die Demokratie glauben und daran, dass die Wahlen wirklich eine Veränderung bringen können, zu unterstützen und ihnen einfach den Rücken zu stärken. Persönlich finde ich es unglaublich spannend. Ich bin ein neugieriger Mensch und bin sehr, sehr gerne in vielen verschiedenen Ländern und ich lerne jedes Mal so viel und erlebe so viel.
Lehleiter: Ich bin ein großer Fan der Demokratie. Ein Satz, den wir vielleicht vor ein paar Jahren gar nicht hätten sagen können oder zu sagen wagten, weil das ja Selbstverständlichkeit ist. Heutzutage ist das leider nicht mehr so ganz selbstverständlich, deswegen ist es mir ein großes Anliegen tatsächlich demokratische Bewegungen, demokratische Institutionen in der Welt zu stützen. Natürlich habe ich auch eine persönliche Motivation, weil es gibt keine Möglichkeit ein Land innerhalb von doch überschaubarer Zeit so intensiv, so genau und so detailliert kennenzulernen, wie auf diese Weise.
SWR-Aktuell: Verdienen Sie Geld auf so einer Mission?
Lehleiter: Früher, als ich berufstätig gewesen bin, war ich ausschließlich als Kurzzeitbeobachter tätig. Der Kurzzeitbeobachter kriegt kein Geld. Die Kosten werden vollständig übernommen, aber ein Salär gibt es nicht. Das gibt es dann erst als Langzeitbeobachter und auch das in Deutschland seit noch nicht allzu langer Zeit.
Bürgers: Ich hab zu Zeiten angefangen als Langzeitwahlbeobachterin, da hab ich ein Tagegeld gekriegt, um mir was zu essen zu kaufen, die Hotelkosten wurden übernommen und das war es. In der Zwischenzeit ist es ein bisschen besser geworden. Mit dem Job funktioniert es bei mir, weil ich freiberuflich tätig bin und zum Glück so verständnisvolle Arbeitgeber oder Kooperationspartner habe, dass ich denen sagen kann: Ich bin im Oktober wahrscheinlich nicht da, lass uns mal erst ab Dezember wieder planen.
SWR Aktuell: Wo waren Sie schon überall im Einsatz?
Bürgers: Also bei mir reicht es tatsächlich von mehreren Staaten in Zentralasien über Russland, die Ukraine, den Balkan, den Kaukasus bis eben in die USA. Und ich war auch einmal für die EU in Kenia.
Lehleiter: Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan. Eine ganz spannende Reise war 2016 in die USA, als Trump überraschend das erste Mal gewählt wurde oder 2018 die Wahl in Russland. Der Balkan, Albanien, ist natürlich auch immer dabei. Die vielleicht insgesamt spannendste und vielleicht auch für mich die einflussreichste Reise, war die EU-Mission letztes Jahr in Guatemala.
SWR Aktuell: Haben Sie sich während einer Ihrer Missionen auch schon mal unsicher gefühlt?
Bürgers: Sicherheit spielt eine große Rolle. Wir werden in dem Briefing auf Dinge hingewiesen, seien es Naturkatastrophen oder politische Dinge. Das oberste Ziel ist "Safety First". Also wenn wir uns irgendwie unwohl fühlen, sei es bei einer Wahlkampfveranstaltung, sei es im Straßenverkehr oder sonst was, heißt es einfach: meiden, wegfahren, rausgehen. Wirklich unsicher gefühlt habe ich mich nie. Bei größeren Wahlkampfveranstaltungen gucke ich schon, dass ich immer am Rand in der Nähe der Tür bin und man guckt, dass man das Auto so parkt, dass man es gut und schnell wieder erreicht.
Lehleiter: Eine wirklich gefährliche Situation habe ich eigentlich nicht erlebt in der ganzen Zeit. Es ist natürlich so, wenn man in einem südamerikanischen Land anfängt zu arbeiten, in dem die Mordrate um das zehn- oder fünfzehnfache höher ist als in Deutschland, da geht man erstmal vorsichtig auf die Straße, geht abends heim. Man bekommt aber ein Gefühl dafür, wo es sicher ist und wo Probleme sein könnten. Am Schluss habe ich mich da völlig wohl gefühlt, also auch überhaupt nicht bedroht in irgendeiner Form. Man aber geht mit Respekt und mit der nötigen Vorsicht an die Sache ran.
SWR Aktuell: Und wann geht's los in die USA?
Lehleiter: Am 3. Oktober fliegen wir nach Washington. Dann werden wir zwei Tage in Washington sein. Dort wird das Briefing stattfinden und dann geht es in die jeweilige Observationsregion. Wohin es dann genau geht, erfahren wir erst sehr kurzfristig.
SWR Aktuell: Warum so früh - die Wahlen sind erst am 5. November?
Bürgers: Weil wir als Langzeitwahlbeobachter den Prozess und auch die Vorbereitungen beobachten sollen. Um eben dieses Gespür auch für das Land, für die Atmosphäre dort, für die Situation, die Stimmung mitzukriegen, ist es schon hilfreich wirklich längere Zeit vor Ort zu sein. Wir haben ein großes Pensum an Aufgaben. Je nachdem in welchem Staat man im Einsatz ist, sind die Entfernungen sehr groß. Als ich letztes Mal in Georgia im Einsatz war, hatte ich insgesamt 14 verschiedene Unterkünfte, weil wir durch den ganzen Staat gereist sind, hin und her.
In der Regel ist es in den USA immer so eine Art Roadtrip und dann ist man auch einfach mal schlicht und ergreifend damit beschäftigt Unterkünfte ausfindig zu machen und sein Leben irgendwie auf die Reihe zu bringen. Und dann die ganze Fülle an Gesprächspartnern. Das ist auch manchmal nicht ganz einfach an die heranzukommen. Man muss erstmal auch ein Gefühl für den Bundesstaat kriegen, in dem man dann ist, muss schauen wie ist da die Atmosphäre, wie ist da die Struktur, auch weil das Wahlgesetz und die Wahladministration tatsächlich in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat und teilweise auch noch mal von County zu County unterschiedlich sind.
SWR Aktuell: Sie waren vor vier, beziehungsweise acht Jahren, schon bei der Wahl in den USA. Wie war es damals vor Ort?
Lehleiter: Es war tatsächlich anders. Einerseits deswegen, weil man keine lokale Unterstützung hat, das heißt, wir fahren selber und wir haben natürlich auch keinen Assistenten, Übersetzer sowieso nicht. Die Missionen laufen so oder so immer auf englisch. Und eben auch anders, weil da der Bekanntheitsgrad von der OSZE sehr viel geringer ist als in anderen Ländern. Anders auch, weil es viel emotionaler ist als in anderen Ländern.
Bürgers: Also tatsächlich sind die Amerikaner schon stark auf sich selbst bezogen und die Organisation für die wir arbeiten, ist auch selbst bei Leuten in der Wahladministration häufig nicht bekannt. Toll ist es dann, wenn man ehemalige Kollegen trifft, weil Amerikaner sind auch häufig auf anderen Missionen dabei. Dann hat man natürlich ein Heimspiel, weil dann wissen die auch genau, was wir wissen wollen und helfen einem auch, die entsprechenden Gesprächspartner zu finden. Aber manchmal ist es richtig schwierig erstmal überhaupt an irgendjemanden ranzukommen, weil einfach auch die Kommunikation in diesem Land anders funktioniert. Deswegen sind Kirchen und religiöse Vertreter eine tolle Anlaufstelle, weil die dann wiederum gut in den Communities vernetzt sind und da haben wir auch letztes Mal in Georgia ganz tolle Gespräche geführt. Wenn sich das dann auch noch kombiniert mit Minderheitenvertretungen und Bürgerrechtsbewegungen sind es sehr, sehr spannende Gespräche.
SWR Aktuell: Was erwarten Sie in diesem Jahr?
Lehleiter: Ich erhoffe mir einen friedlichen Wahlkampf und was ich mir ganz besonders erhoffe ist, dass es ein klares Ergebnis gibt und dass dieses klare Ergebnis auch akzeptiert wird. Das ist aber eine Hoffnung, an der ich ganz erhebliche Zweifel habe - es kann also durchaus sein, dass es in den USA, insbesondere kurz vor und nach der Wahl, durchaus sehr unruhig werden kann.
Bürgers: Ich glaube, dass deswegen unsere Anwesenheit dieses Jahr noch mal eine ganz andere Rolle spielt als sonst. Weil, wenn tatsächlich einzelne Gruppen den Wahlprozess insgesamt diskreditieren und Zweifel hegen und das immer wieder in Frage stellen, ist es umso wichtiger, dass eine unabhängige Organisation da ist und sagen kann, wir haben aber das und das gesehen. Das spielt natürlich auch in Ländern wie Russland oder der Ukraine eine große Rolle, wo man den örtlichen Beobachtungsorganisationen damit auch den Rücken stärken kann. Aber ich glaube, dass das eben dieses Jahr tatsächlich in den USA auch eine andere Gewichtung bekommen wird als bislang.
SWR Aktuell: Was passiert mit den Ergebnissen zu denen Sie kommen?
Lehleiter: Noch am Tag danach gibt die Mission ein Statement heraus, in dem der Ablauf und die Qualität der Wahl beurteilt wird. Einige Wochen danach, das kann auch mal Monate dauern, gibt es einen finalen Report und in dem stehen dann Verbesserungsvorschläge. Das sind aber nur Vorschläge. Die Mission und die OSZE ändern an sich gar nichts, sondern das muss in der nationalen Gesetzgebung geschehen und das hängt natürlich wiederum sehr davon ab, wie die Beteiligten in den Parlamenten oder Regierungen bereit sind, Änderungen vorzunehmen. Da kann sein, dass überhaupt nichts passiert, aber zum Beispiel in der Ukraine sind sehr viele Vorschläge der OSZE seinerzeit umgesetzt worden.
SWR Aktuell: Ist nebenbei noch Raum für Freizeit oder wird die ganzen nächsten fünf Wochen hart gearbeitet?
Lehleiter: In den USA wird nicht viel Zeit bleiben. In Guatemala habe ich dann tatsächlich mal zwei Sonntage gehabt an denen ich wenig getan habe und eben auch Gelegenheit hatte zu wandern.
Bürgers: In der Regel haben wir offiziell eine Sechs-Tage-Woche, haben also nur einen einzigen Tag frei, an dem aber häufig Wahlkampfveranstaltungen stattfinden und man dann doch wieder im Einsatz ist. Manchmal kann man, gerade in den USA, wo man viel unterwegs ist, sagen: Okay am Sonntag haben wir frei und wir versuchen mal das so zu regeln, dass wir dann da irgendwo sind, wo man was angucken kann. Aber das ist wirklich total im Hintergrund, weil wir einfach zu beschäftigt sind. Wenn man mal irgendwo an einem schönen Kloster vorbeifährt, nimmt man sich eine halbe Stunde, um es anzuschauen, aber tatsächlich ist man so beschäftigt und auch so müde, dass man nicht mehr allzu viel Kapazitäten für Sightseeing hat.
SWR Aktuell: Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihren Besuch und eine gute Reise!
Das Interview führte Jannik Volz aus dem SWR Studio Ulm.