Das Museum Ulm hat am Freitag fünf Kunstwerke an die Erben des aus Laupheim (Kreis Biberach) stammenden jüdischen Kunsthändlers Siegfried Lämmle zurückgegeben. Es war allerdings ein symbolischer Akt. Tatsächlich behält das Museum die Werke und zahlt als Ausgleich eine vierstellige Summe. Zuvor war drei Jahre lang in den Museumsbeständen geforscht worden.
Vorsichtig hebt Kuratorin Eva Leistenschneider einen mit Luftpolsterfolie umhüllten Karton auf einen Tisch. Mit Samthandschuhen packt sie das Paket aus. Nach und nach ist eine beschriftete Platte aus dunklem Holz zu erkennen.
"Das ist ein Epitaph, ein Gedächtnismal an eine verstorbene Ulmerin", sagt sie, während sie vorsichtig über die zerbrechliche Oberfläche des Kunstwerks streicht. Das Werk stammt aus der Sammlung des jüdischen Kunsthändlers Siegfried Lämmle aus Laupheim, dem Bruder des Hollywood-Filmproduzenten Carl Laemmle.
Von den Nazis gezwungen, Kunst billig zu verkaufen
Von den Nationalsozialisten wurde Siegfried Lämmle wegen seines jüdischen Glaubens zunehmend unter Druck gesetzt und verfolgt. Ab 1935 hatte er keine andere Wahl, als seinen Antiquitätenhandel in München aufzulösen und Kunstwerke zu Schleuderpreisen abzugeben - auch an das Museum Ulm.
Der damalige Museumsleiter kaufte neben dem hölzernen Epitaph eine Zeichnung des Ulmer Malers Andreas Schuch sowie drei Siegel von Ulmer Zünften. Er habe Lämmles Notlage ausgenutzt, um die Preise in Nachverhandlungen abermals schamlos zu drücken. "Es ist nicht unüblich, dass Preise verhandelt werden, aber die damalige Museumsleitung wusste sehr genau in welcher Situation sich Lämmle befand", erklärt Eva Leistenschneider. "Ihm wurde ein Berufsverbot auferlegt und er musste so schnell wie möglich seine Sachen loswerden. Selbst bei Objekten, die keinen hohen Wert hatten, wurde deshalb bei den Preisen gezockt."
Nur für die Zeichnung bekam Lämmle von Ulmer Museum den angefragten, bereits niedrigen Preis von 25 Reichsmark. Für das Epithaph erhielt er 60 Reichsmark, für die Zunftsiegel 40. Dennoch verkaufte er. "Heute sind die Objekte um einiges mehr wert", sagt Eva Leistenschneider. Das habe ein Gutachter berechnet.
Gestapo beschlagnahmt Sammlung bei Auswanderung
Im Jahr 1938 wandert Siegfried Lämmle mit seiner Familie in die USA aus. Ein Teil seiner Privatsammlung hatte er zuvor einlagern lassen. Diese sollte mit einer Spedition in die USA gebracht werden. Doch die Kunstwerke kamen nie an. "Die Gestapo beschlagnahmte die Werke", erklärt Provenienzforscherin Anna-Lena Schneider vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte München. "Die Werke wurden 'verwertet', also in den Münchener Kunsthandel gegeben für niedrige Preise. Nachdem ihm dann auch die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen wurde, ging sowieso sein gesamtes Vermögen an den Staat", so Schneider. Wie viele Kunstwerke Lämmles noch in den Museen Deutschlands schlummern, ist unklar.
Siegfried Lämmles Urenkelin ist dankbar für Forschungen
Das Museum Ulm zahlt jetzt eine vierstellige Summe an Lämmles Erben - als Ausgleich für das erzwungene Geschäft von damals. Die Werke bleiben dafür in Ulm. Nina McGehee ist eine der Erben. Die Urenkelin lebt, wie so viele seiner Nachkommen, in den USA. Der materielle Wert der Kunst ist für sie eher nebensächlich. In einer Videobotschaft an die Provenienzforscher in Ulm sagt sie: "Ihre Arbeit ist so wichtig. Sie helfen nicht nur einer Familie, ihre geraubten Habseligkeiten zurückzuholen. Sie stellen damit die Familiengeschichte und ihre Identität wieder her."
"Für jede Generation unserer Familie hat die Rückgabe der Kunstwerke eine unterschiedliche Bedeutung", sagt McGehee und kommt ins Schwelgen: "Für meinen Vater, der von einer jüdisch-polnischen Familie der Oberschicht kam, flüchten musste und fast alles verloren hat, bedeutete es Gerechtigkeit. Bei meiner Mutter kamen liebevolle Erinnerungen ihres Großvaters zurück und positive Kindheitserinnerungen an Deutschland."
Nina McGehee und ihre Schwestern würden jetzt das Trauma ihrer Mutter aus der NS-Zeit besser verstehen. "Es hat auch dazu geführt, dass wir Deutschkurse genommen haben, die Spaß gemacht haben", sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht.
Forschung in Ulm geht weiter: 32.000 NS-Briefe digitalisiert
In einem dreijährigen Forschungsprojekt hat das Museum Ulm untersucht, welche Werke in der Nazizeit angekauft wurden und ob Raubkunst darunter war. Das Projekt "Provenienzforschung in den Beständen des Museum Ulm" wurde vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) gefördert. Die Forschung in Ulm ist aber noch nicht zu Ende. Als Nächstes sollen tausende Akten aus der NS-Zeit digitalisiert und so zugänglich gemacht werden.
Dabei geht es um den Schriftverkehr von Ulmer Museumsleitern mit Kunsthändlern, anderen Museen sowie Institutionen des NS-Staates. Es geht um Preise und Preisentwicklungen von Kunstwerken oder ganzen Sammlungen, auf insgesamt 32.000 Briefseiten. Nur ein kleiner Teil der in den Schreiben verhandelten Werke wurde tatsächlich von Ulm angekauft, vieles fand seinen Weg in andere öffentliche Sammlungen.