Frühere Botschafterin im Vatikan zum Tod von Benedikt XVI.

Annette Schavan: "Es ist eine Ära, die jetzt zu Ende geht"

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Volker Wüst
Volker Wüst

Für die in Ulm lebende Annette Schavan geht mit dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt "eine Ära zu Ende". Wie sie ihn als Botschafterin im Vatikan erlebt hat, schildert sie im Interview.

Die ehemalige Bundesbildungsministerin und Botschafterin Deutschlands am Heiligen Stuhl, Annette Schavan (CDU), sagte am Samstagvormittag im Gespräch bei tagesschau24, Benedikt habe “in großer Liebe zur Kirche” gelebt und “ein umfangreiches wissenschaftliches Werk” abgeliefert. Schavan war von 2014 bis 2018 im Vatikan tätig und lebt heute in Ulm.

tagesschau24: Wie haben Sie die Rolle des Papstes im Ruhestand erlebt? 

Annette Schavan: Ich habe ihn erlebt als einen Mann, der an den Entwicklungen in Kirche und Welt großen Anteil nahm. Wenn wir uns begegnen konnten, dann ging es häufig um politische Fragen. Es waren vor allen Dingen Fragen nach Europa: "Wie wird dieses Friedenswerk Europäische Union weitergehen?" Und deshalb denke ich heute: Es ist eine Ära, die jetzt zu Ende geht. Ein Leben in großer Liebe zur Kirche, ein Leben der Wissenschaft. Das alles war bis in seine letzten Jahre hinein spürbar. Auch die Sorge um die Kirche und immer wieder auch der Versuch, Vernunft und Glaube miteinander zu verbinden. 

tagesschau24: Hatten Sie auch Gelegenheit zu persönlichen Begegnungen mit Papst Benedikt? 

Schavan: Ich hatte manche Gelegenheit zu persönlichen Begegnungen, schon in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation. Dann natürlich in diesen vier Jahren. Ich habe ihn hin und wieder besucht, natürlich zu Beginn. Aber auch meinen Abschiedsbesuch im Sommer 2018 habe ich in sehr genauer Erinnerung, weil es eben ein so großes Interesse gab an dem, was sich in der Welt tut. Seine Liebe galt der Kirche, seine Liebe galt all dem, was die Kirche vor negativen Einflüssen der Welt schützen kann. Aber er wusste auch sehr genau, was in der Welt los ist. 

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tagesschau24: Wie haben Sie als Katholikin seine Rolle als aktiver Papst gesehen? 

Schavan: Seine Wahl 2005 folgte ja auf ein langes Pontifikat, 25 Jahre Papst Johannes Paul II., ein Papst mit einer politischen Vision, die in die Wiedervereinigung Europas und den Niedergang des Kommunismus mündete. Das war die große Vision dieses Papstes in einem langen Pontifikat, an dem der emeritierte Papst als Präfekt der Glaubenskongregation einen großen Anteil hatte. Und dann, so scheint mir, war im Konklave die Vorstellung, wir brauchen jetzt ein Pontifikat, das sich stärker um die Stabilisierung der Kirche kümmert und nicht vor allen Dingen um politische Projekte. Und dem hat er Rechnung getragen. Das ist sein großes Lebenswerk, dieser Kirche zu dienen. Er hat gesagt, die Kirche ist meine Familie, ist mein Zuhause, sie ist mein Ein und Alles. Das war die Signatur seines Pontifikates.

"Er schaute mit großer Liebe auf Deutschland, vor allen Dingen auf seine bayerische Heimat, aber auch mit einer gewissen Strenge."

tagesschau24: Viele hielten Papst Benedikt XVI. für zu konservativ und kommunikativ nicht auf der Höhe der Zeit. Wie bewerten Sie diese Kritik? 

Schavan: Vom jetzigen Papst Franziskus stammt der Satz: Die Kirche hat am Pfingsttag begonnen. Damals hat sie sich für Vielfalt entschieden - und zu dieser Vielfalt gehören Konservative wie Liberale. Jene, die sich ganz und gar konzentrieren auf die Stabilisierung der Kirche. Natürlich ist es immer auch verbunden mit der Frage: Wie weit trägt die Tradition in die Zukunft, ohne dass wir Neues zulassen und die anderen, die vor allen Dingen vom Neuen von den neuen Wegen her denken? Der emeritierte Papst hatte eine klare Position, die zu Konflikten geführt hat, auch mit Deutschland. Er schaute mit großer Liebe auf Deutschland, vor allen Dingen auf seine bayerische Heimat, aber auch mit einer gewissen Strenge, weil er fand, dass wir nicht immer dem Rechnung tragen, wie er sich die katholische Kirche vorgestellt hat. 

tagesschau24: Als eines der dunkelsten Kapitel zählt sicherlich der Missbrauchsskandal, auch in der Vita von Joseph Ratzinger. In seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising gab es Vorwürfe gegen einen Priester. Benedikt räumte im Zuge der Aufklärung ein, versehentlich eine Falschaussage gemacht zu haben. Steht insofern auch Benedikt für das Versagen der Hierarchie im Umgang mit sexueller Gewalt innerhalb der Kirche? 

Schavan: Der emeritierte Papst hat als Papst Opfer von sexualisierter Gewalt besucht. Er hat zuletzt, als das Missbrauchsgutachten in München erschien, noch einmal einen bewegenden Brief geschrieben. Und im Übrigen denke ich, hat er sich verhalten, wie sich eine ganze Generation und viele Generationen vorher in der Kirche verhalten haben. Das ist gleichsam auch die Kehrseite der Einstellung "die Kirche geht über alles". Und wir Jüngeren haben jetzt vor allen Dingen die Frage zu beantworten, wie wir innerhalb der Gesellschaft und ganz besonders der Kirche dazu beitragen, dass sexualisierte Gewalt nicht zur Realität gehört. 

Annette Schavan bei ihrer Amtseinfürhung im Jahr 2014 als deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl mit Papst Franziskus. (Archivbild)
Annette Schavan bei ihrer Amtseinführung im Jahr 2014 als deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl mit dem Nachfolger Benedikts, Papst Franziskus. (Archivbild)

tagesschau24: Am Ende sind es manchmal nicht die ganz großen Auftritte, die einem in Erinnerung bleiben. Woran denken Sie im Zusammenhang mit Benedikt? 

Schavan: Ich denke an die ganz frühen Jahre als Begleiter des Kölner Kardinals Frings in Rom beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Ich denke an das 1968 erschienene Buch "Einführung in das Christentum", das für uns junge Studierende ein ganz wichtiges Buch gewesen ist. Und natürlich denke ich an das Weltjugendtreffen in Köln. Ich denke an seine Besuche in Israel. Es ist ja nicht nur die Zeit des Pontifikates. Wenn man bedenkt, dass er 1977 von Papst Paul dem Sechsten ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde, dann ist es eine lange Phase. Eine Ära, die auch mit vorsichtigen Schritten verbunden war, dem Rechnung zu tragen, dass sich die Weltkirche in einer globalen Situation befindet. Das war für einen Theologen, der aus Europa kam, der aus Deutschland kam, nicht so einfach aufzunehmen, was sich auf anderen Kontinenten theologisch entwickelt hat und in diese Weltkirche aufgenommen werden muss.

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