Die gebürtige Ulmerin Leni Breymaier ist seit 1982 Mitglied der SPD. Sie wurde 2009 erst stellvertretende, 2016 dann Landesvorsitzende ihrer Partei in Baden-Württemberg. Seit 2017 sitzt die heute 64-Jährige für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim im Bundestag. Ihre Themen sind unter anderem soziale Gerechtigkeit, Integration und Chancengleichheit. Ein weiteres Mal antreten will sie nicht. Ganz aus der Politik werde sie sich aber nicht zurückziehen, wie sie im Interview mit SWR Aktuell erzählt.
SWR Aktuell: Frau Breymaier, am Dienstag war der letzte Sitzungstag im Bundestag für Sie, wie war es?
Leni Breymaier: Ich bin schon mit einem bewussten Gefühl, vielleicht auch ein bisschen wehmütig reingegangen und habe zum letzten Mal unterschrieben auf der Anwesenheitsliste. Ich bin bewusst in den Plenarsaal gegangen, weil da ja tatsächlich nur Abgeordnete und Mitglieder des Bundesrates reindürfen. Später kommt man da nicht mehr rein. Der Schlagabtausch war wie zu erwarten. Da gab es nichts Besonderes, fand ich. Was mir gefehlt hat, war tatsächlich noch eine politische Maßnahme: nämlich die Abstimmung über den Paragraphen 218. Und das war für mich schon total ärgerlich.
SWR Aktuell: Warum haben Sie sich dazu entschieden, nicht mehr anzutreten?
Breymaier: Also ich werde im April 65. Ich habe mit 16 angefangen zu arbeiten. Ich finde, das reicht. Ich war auch in der Wahlrechtskommission und habe mich erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Bundestag deutlich reduziert wird. Wir werden in dieser Legislaturperiode das Parlament dauerhaft von 736 Abgeordneten auf 630 Abgeordnete verkleinern. Und ich finde, dann können auch Leute wie ich, die quasi nahtlos in Rente gehen können, einfach aufhören. Da muss ich nicht noch jungen Menschen Platz wegnehmen. Alle, die mein Alter haben, wissen, dass die Kraft auch endlich ist. Und das ist hier ja ein Job mit Nachtarbeit und 7-Tage-Woche. Das ist schon auch sehr herausfordernd.
SWR Aktuell: Haben Sie alles erreicht, was Sie wollten? Oder bleibt noch viel offen?
Breymaier: Ich glaube, niemand, der jetzt aufhört, kann am Ende des Tages sagen, ich bin fertig. Ich habe vieles erreicht, was ich wollte. Und alles, was jetzt noch ansteht, da muss ich halt gucken, dass ich das außerparlamentarisch hinkriege.
SWR Aktuell: Das heißt, Sie bleiben in der Politik?
Breymaier: Ich bin in Eislingen an der Fils Mitglied des Gemeinderats. Das hatte ich bisher ein bisschen auf Sparflamme gehabt, weil eben Berlin sehr fordernd war. Ich bin auch im Vorstand von "SISTERS". Das ist ein Verein, der Frauen in der Prostitution beim Ausstieg hilft. Ich habe auch noch Ehrenämter, die ich weitermachen werde. Und ansonsten muss ich auch nach mir gucken. Es gibt hier den Satz: Pro Legislatur legst du eine Kleidergröße zu. Also bei mir stimmt es auf jeden Fall. Und da muss ich mal wieder auf "normal" kommen. Und ich glaube, mit mehr Zeit kann man sich mehr um sich selber kümmern und sich gut tun.
SWR Aktuell: Was war ihr Highlight in den letzten sieben Jahren?
Breymaier: Ich habe es tatsächlich Ende der letzten Legislaturperiode hingekriegt, dass wir im Bereich der Prostitution die Vorsätzlichkeit der "Benutzung" von Zwangsprostituierten umwandeln konnten in Leichtfertigkeit. Ich finde es immer noch sehr bedeutend, auch wenn ich noch keine Strafverfahren dazu kenne. Aber dass wir in dem Punkt das Strafgesetzbuch verändern konnten, finde ich richtig klasse. Und das ist so etwas, von dem ich denke, das habe ich gemacht. Zum anderen war ich auch bei den letzten Koalitionsverhandlungen dabei und habe viel reinverhandelt bekommen. Das Gewalthilfegesetz konnte noch verabschiedet werden. Der Bund wird sich an der Finanzierung der Frauenhäuser beteiligen. Das ist toll.
SWR Aktuell: Gibt es etwas, das Sie bedauern?
Breymaier: Was mich wirklich schmerzt ist, dass ich gedacht habe, hey 80 Prozent der Bevölkerung sind dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden. Verflixt, das muss doch zu machen sein. Die Versorgungslage in Süddeutschland, in Bayern, in Bayern Württemberg wird immer elender. Und da hätte ich mir wirklich gewünscht, dass wir das noch hinkriegen. Das empfinde ich auch als persönliche Niederlage.
SWR Aktuell: Der Ton im Bundestag ist in den vergangenen Wochen und Monaten rauer geworden. Was geben Sie Ihren nachfolgenden Bundestagsabgeordneten mit auf den Weg?
Breymaier: Also ich wünsche mir Solidarität im Parlament, und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Es ist beim letzten Sitzungstag so gewesen, dass Frau Weidel sich empört hat über Zwischenrufe. Und das fand ich schon besonders drollig, weil exakt ihre Fraktion nicht müde wird, reinzupöbeln. Das Übliche ist: Es geht eine Frau ans Mikro, es wird von rechts gepöbelt. Es geht eine junge Frau ans Mikro, es wird von rechts gepöbelt, ja, es werden Zoten gerissen. Es ist unerträglich, wenn eine junge Frau mit Migrationshintergrund ans Mikro geht, dann kriegen die sich nicht mehr ein. In solchen Situationen wünsche ich mir die Solidarität aller anderen, die dann klarmachen: So geht das nicht! Die da vorne mag zwar im Moment nicht meine Meinung haben, aber sie ist gewählte Abgeordnete und hat unser aller Respekt verdient. Also dass man sich da wieder einkriegt, das wünsche ich wirklich allen Beteiligten, dass das Parlament seiner Würde wieder gerecht wird.
SWR Aktuell: Was ist ihr Eindruck: Sind die Fronten zu verhärtet oder ist beispielsweise eine schwarz-rote Koalition noch möglich?
Breymaier: Ich kann mir eine Koalition mit Herrn Merz gerade überhaupt nicht vorstellen. Aber genau diese "Ausschließeritis" führt zum absoluten Chaos in diesem Land. Und dann hat uns die AfD genau da, wo sie uns haben will, in einem völlig chaotischen Land, das nicht mehr regierungsfähig ist. Und deshalb denke ich, als SPD kann man nichts ausschließen. Man kann Wünsche haben. Ausschließen kann man ausschließlich eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen.
SWR Aktuell: Werden Sie im Wahlkampf in ihrem Wahlkreis Aalen-Heidenheim zu sehen sein?
Breymaier: Also wir haben als SPD im Wahlkampf im Wahlkreis 270 Aalen-Heidenheim eine tolle Kandidatin mit Cornelia True. Und sie macht ihren eigenen Wahlkampf. Da muss ich nicht danebenstehen. Aber natürlich mache ich Wahlkampf. Ich will, dass die SPD stark wird, sowohl im Wahlkreis Aalen-Heidenheim wie auch im Land Baden-Württemberg und überhaupt. Ich bin ein politischer Mensch.
SWR Aktuell: Wie wichtig ist Ihnen, dass der regionale Bezug aus ihrem Wahlkreis in den Bundestag getragen wird, also dass Abgeordnete aus der Region in Berlin sitzen?
Breymaier: In meiner ersten Legislaturperiode waren wir zu dritt aus Aalen-Heidenheim im Bundestag (Anm. d. Red.: zusammen mit Margit Stumpp, Grüne und Roderich Kiesewetter, CDU). Dieses Mal waren wir zu zweit (Anm. d. Red.: Kiesewetter, CDU). Ich glaube, es ist immer gut, wenn man aus einer Region tatsächlich mehrere Abgeordnete hat. Weil man die regionalen Interessen von unterschiedlichen Richtungen einbringen kann. Wir reden alle dauernd mit dem Haushaltsausschuss. Wenn es um Gelder-Verteilung und so etwas geht, ist es echt hilfreich. Man hat da seine Drähte zu den Leuten. Wenn es halt dann am Ende nur eine oder einer wäre, dann fehlt eine wichtige Stimme. Und zwar völlig wurscht, ob es Regierung oder Opposition ist. Man muss den Leuten klarmachen, wie wichtig beispielsweise die Elektrifizierung der Brenzbahn ist und solche Sachen. Da ist hilfreich, wenn ein paar unterwegs sind. Unser Standort braucht einfach ein starkes Lobbying auch in Berlin und zwar von den verschiedenen Parteien in den verschiedenen Ausschüssen, in den verschiedenen Landesgruppen. Das wünsche ich mir sehr.
SWR Aktuell: In zwei Wochen ist der Wahlkampf vorbei. Was machen Sie dann, wenn Sie mehr Zeit haben?
Breymaier: Ich habe mir jetzt ein neues Fahrrad bestellt und habe vor, mehr unterwegs zu sein. Franz Müntefering hat mal als Vorsitzender des Seniorenrats gesagt: Man muss im Alter laufen, lachen, lernen. Also beweg' dich, hab' Spaß und schau, dass du was fürs Hirn zu tun bekommst. Das will ich beherzigen. Und ich hoffe, ich kriege das hin und freue mich einfach auf mehr Zeit mit all den Menschen, die ich die letzten Jahre sehr, sehr vernachlässigt habe.