Bestseller-Autorin Renate Hartwig lebt im Landkreis Neu-Ulm und ist deutschlandweit bekannt geworden mit ihren kritischen Büchern über Scientology. Sie hat sich mit dem deutschen Gesundheitswesen auseinandergesetzt, Jugendbücher geschrieben und 2018 ihren jüngsten Tatsachen-Roman "Erbschleicher und sonstige Verwandte" herausgebracht. Derzeit beschäftigt sich die fünffache Oma in ihrem neuen, noch unveröffentlichten Buch "Brüchige Fassaden" mit der Entfremdung zwischen den Generationen.
SWR Aktuell: Worum geht es in Ihrem Buch? Was für eine Entfremdung, welche Konflikte sehen Sie zwischen alt und jung?
Renate Hartwig: Also ich sehe nicht die Konflikte, ich lebe die Konflikte. Weil ich mit sehr vielen älteren Menschen zu tun habe aufgrund von dem Buch „Erbschleicher und sonstige Verwandte“. Das ist ein Tatsachen-Roman, den mein Mann und ich ja selber erlebt haben. Aus diesem Grund habe ich natürlich gedacht, dass das nur uns passiert ist, was natürlich völlig falsch ist. Weil das, was nach dem Buch gekommen ist, zeigt mir, dass wir schon längst eine gespaltene Gesellschaft sind. Nur, wir reden nicht darüber. Darum heißt das neue Buch eben auch „Brüchige Fassaden“. Wir haben Fassaden aufgebaut, bei den älteren Leuten - die selber auch - und die Jungen aber auch, und dazwischen ist eine große Kluft.
SWR Aktuell: Was sind denn das für konkrete Missverständnisse, die da oft zugrunde liegen?
Hartwig: Also die Missverständnisse sind, dass man ab einem ganz bestimmten Alter heute in dieser Gesellschaft angeschaut wird, als wenn man irgendjemandem etwas wegnimmt. Zum Beispiel bei der Rente. Da heißt es: 'Schau mal, die sind jetzt daheim'. Es gibt ja Leute, die eine sehr gute Rente haben, aber natürlich auch ganz ganz viele, die ganz wenig haben. Da ist dann so ein Neidfaktor drin. Das Problem, das ich sehe, ist: Wir haben wie eine Nebelwand über unserer Gesellschaft, und da steht Angst.
Die Angst bei den Älteren: Können wir mit dieser Rente unseren Lebensabend bestreiten? Was ist, wenn wir in ein Heim müssen? Wir haben zu wenig Personal, das ist alles zu teuer. Da könnten wir eine extra Sendung darüber machen, was da alles schief läuft. Nur, jeder hat doch Angst nach einem Leben, wenn er 70, 80 und vielleicht älter wird, dass er in einem Heim leben muss, weil er nicht mehr allein leben kann. Weil die Kinder verstreut sind, weil sie auch keinen Bock haben. Und dann lebt er in einem Heim. Das ist so teuer, dass er sich das nicht leisten kann.
SWR Aktuell: Dass man quasi am Ende natürlich auch nicht in Würde alt werden kann.
Hartwig: Das ist der Punkt.
SWR Aktuell: Man kann gerne dazu sagen, sie sind selbst inzwischen 75 Jahre alt und befassen sich in verschiedener Hinsicht mit den Herausforderungen und Chancen des Älterwerdens. Was sind die größten Herausforderungen?
Hartwig: Die größten Herausforderungen sind, in dem Moment, wenn man älter wird, dass man glaubt, man kann sich zurückziehen. Und man hat jetzt seine Ruhe und man muss sich für gar nichts mehr interessieren. Aber ich kann Ihnen an meiner Person und an der Person von meinem Mann sagen: Es gibt drei Alter. Einmal das, was in meinem Geburtsschein steht. Da denke ich mir manchmal, die haben sich vertan, weil das leb' ich gar nicht...
SWR Aktuell: Sie fühlen sich nicht wie 75?
Hartwig: ... Nein, überhaupt nicht. Und dann gibt es das biologische Alter. Und da kann ich Ihnen sagen, da stecke ich so manche 40-Jährige in die Tasche. Also das ist nicht das Problem. Das Altern beginnt im Kopf, in dem Moment, wenn ich aufhöre mich zu interessieren. Wenn ich mich nur hinsetze und warte, bis der Tag rumgeht, und nichts mehr mache. Dann geht's bergab.
SWR Aktuell: Dann werden sie auch im Kopf alt.
Hartwig: Ja, das ist eine Katastrophe.
SWR Aktuell: Man hört ja jetzt auch schon aus ihrem Elan heraus: Auf so etwas wie Ruhestand haben Sie keine Lust?
Hartwig: Nein. Ich weiß nicht, was Rente ist. Und ich bin auch nicht in Rente, mein Mann auch nicht. Wir arbeiten jeden Tag, ich schreibe die Bücher, ich mache Vorträge, ich habe ununterbrochen Begegnungen mit jungen Leuten. Das ganze Schaffen mit Studenten, die mich fit gemacht haben in der digitalen Welt. Ich habe überhaupt kein Problem damit.
SWR Aktuell: Sie sind 1994 deutschlandweit bekannt geworden mit einem Bestseller über Scientology "Ich klage an", in dem Sie die Verstrickungen der Sekte in der Wirtschaftswelt offenlegten. Frau Hartwig, wirkt diese Zeit eigentlich noch nach? Werden sie noch darauf angesprochen?
Hartwig: Ja, täglich. Die wirkt deshalb nach, weil diese ganzen Strukturen, vor denen ich immer gewarnt habe - es geht ja um Manipulationstechniken - diese Manipulationstechniken sind inzwischen in der Wirtschaft Gang und Gebe. Und jeder kommt dann und sagt: 'Das, was ich da gerade erlebe, könnte das das sein?' Es geht einfach nur um die Manipulation, wohin fährt dieser Wirtschaftszug? Und da muss ich Ihnen wirklich sagen: Die haben nicht geschlafen, die Scientologen, in der Zeit. Die finden wir jetzt im Internet. Die sind natürlich digitalisiert, da waren die schon immer sehr schnell.
Und ich habe zum Beispiel erlebt, dass junge Leute mich angeschrieben haben. Wir haben uns da auf ein Treffen eingelassen, und auf einmal standen die da mit dem Dianetik-Buch. Wenn Sie mich jetzt fragen: Wirkt das nach? Dann kann ich Ihnen sagen: Die elf Jahre wirken nach. Wir haben mit unserer Familie elf Jahre in einem Ausnahmezustand gelebt.
SWR Aktuell: Also Sie meinen jetzt, die elf Jahre, während Sie sich mit Scientology beschäftigt haben, während Sie kritisiert haben. Was war das für ein Ausnahmezustand, was hat das mit ihnen gemacht?
Hartwig: Ich habe sieben Bücher darüber geschrieben. Ich bin natürlich öffentlich geworden, dank aktiver Journalisten, auch vom SWR. Und dadurch, dass es öffentlich geworden ist, ist die Politik dann auch aufmerksam geworden. Und in dieser Zeit war der Ausnahmezustand. Und die Scientologen haben sich das ja nicht gefallen lassen. Ich meine, ich habe mich angelegt mit so einer Weltorganisation.
SWR Aktuell: Sie wurden bedroht?
Hartwig: Bedroht? Ja natürlich wurde ich bedroht - ununterbrochen. Das ging bis zum Polizeischutz - unser Haus hat auch deshalb eine Mauer. Sie kommen bei uns nicht bis an die Haustüre, bis heute noch nicht. Da muss ich Ihnen sagen, dass diese elf Jahre schadlos an mir vorbeigegangen sind, dass ich nach wie vor ein Optimist bin, dass ich nach wie vor glaube, man kann in der Welt was drehen, man muss es nur probieren. Das hat wahrscheinlich etwas mit meiner Erziehung zu tun. Das heißt, es fängt im Kindesalter an, ob man auch im Alter etwas bewegen will.
SWR Aktuell: Schauen wir mal noch ein bisschen bei Ihnen ins Private hinein. Sie wohnen in Straß, 2.700 Einwohner, Teilgemeinde von Nersingen. Am Eingang zu ihrem Haus haben Sie auch ein kleines Schild angebracht: "Künstlerhaus". Wie leben Sie da, wie sieht da Ihr Alltag mit Ihrem Mann Paul aus?
Hartwig: So klein ist das Schild gar nicht. Und das Haus sieht von außen vielleicht klein aus. Man meint, es ist ein Einfamilienhaus, aber es ist viel größer. Wir haben ein offenes Künstlerhaus. Mein Mann malt, macht auch Ausstellungen, hat tausend Ideen, macht auch Skulpturen, hat auch ganz andere Ideen... und ich schreibe. Diese zwei Dinge zusammen, die beinhalten Kreativität. Und diese Kreativität, wenn man die hat, dann funktioniert es auch, dass die Leute zu uns kommen.
SWR Aktuell: Also Sie haben gerne Gäste, Sie führen gerne Gespräche?
Hartwig: Wir haben zum Beispiel immer am ersten Samstag im Monat Begegnungen. Da reden hier alle über unseren Zustand, über das, was uns stinkt. Ob das jetzt politisch oder privat ist, oder wie wir leben, und über Rente und Gesundheit. Aber das war mir zu wenig. Nein, wir müssen die Jungen mit reinholen. Und jetzt machen wir Begegnungen bei uns im Haus. Mit jungen Leuten, mit älteren Leuten, wer halt kommt. Wir kochen gern, und mein Mann backt wahnsinnig gern. Und die Leute kommen auch, da heißt es: Wir gehen jetzt zu Hartwigs. Es ist so und es bleibt so.
SWR Aktuell: Klingt so, als dass da viele schöne Stunden stattfinden bei Ihnen im Haus?
Hartwig: Ja, Sie können gerne mal vorbeikommen.