Auf kommunaler Ebene ist der Anteil an Frauen in politischen Ämtern nach wie vor deutlich kleiner als der Anteil der weiblichen Bevölkerung. Der Versuch, das zu ändern, dauert inzwischen Jahrzehnte. Gemeinderäte und Kreistage sind dennoch weit entfernt von der Parität. Nach Interviews mit Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern aus dem Kreis Heidenheim, einer Gleichstellungsbeauftragten, dem Landesamt für politische Bildung und der Lektüre einiger Untersuchungen ist klar: Eine leichte Antwort auf das "Warum" und das "Wie ändern" gibt es nicht.
- Gaby Streichen: Frauen brauchen Vorbilder - und Durchhaltevermögen
- Elisabeth Diemer-Bosch: Frauen gehören in die Kommunalpolitik
- Margit Stumpp: Jahrzehntelanger Kampf um Gleichberechtigung
- Matthias Kraut: Viele Absagen von Frauen für eine Kreistagskandidatur
- Norbert Bereska: Über Engagement und Ehrenamt in die Politik
Gaby Streicher: Frauen brauchen Vorbilder - und Durchhaltevermögen
Das Interview mit Gaby Streicher findet kurzentschlossen auf einer Bank in der Giengener Innenstadt statt. Immer wieder grüßen Passantinnen und Passanten die 67-jährige Lokalpolitikerin. Seit inzwischen 20 Jahren ist sie im Gemeinderat in Giengen an der Brenz, seit zwölf Jahren als Fraktionsvorsitzende der SPD und 2. stellvertretende Oberbürgermeisterin.
Beim dritten Anlauf hat es 2004 mit der Wahl geklappt, erzählt sie. Ihr politischer Werdegang ist nicht untypisch: Ein frühes politisches Interesse, ehrenamtliches Engagement in Giengen. Schließlich sei sie von einer engagierten SPD-Politikerin gefragt worden, ob sie sich eine Kandidatur vorstellen könnte.
Schon Jahre zuvor hatte sie eine Gemeinderatssitzung besucht, aus Interesse, sagt sie. Damals erinnerte sie die Zusammensetzung an ein "Gruppenbild mit Dame". Das Bild hat sich deutlich gewandelt. Heute sitzen im Rat der 20.000-Einwohner-Stadt zwölf Frauen und 14 Männer. Alle Fraktionsvorsitzenden sind weiblich. Wie ist das gelungen?
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Frauen brauchen Vorbilder
"Durch positive Vorbilder", sagt Gaby Streicher. Es habe Powerfrauen gegeben, die einfach mitmischten und sich nicht auf Heim und Herd beschränken ließen. Irgendwann war der Bann gebrochen und dann sei es ein Selbstläufer gewesen. Man müsse sehr aktiv sein, fügt sie hinzu, der Aufgabe den richtigen Stellenwert einräumen.
Suche nach Kandidatinnen für die Kommunalwahl - warum sagen Frauen ab?
Die Suche nach neuen Frauen und auch Männern für die Listen der Parteien und Wählervereinigungen für die Kommunalwahl sei dieses Mal schwerer gewesen als sonst. Das sagen alle befragten Politikerinnen und Politiker aus dem Kreis Heidenheim. Nach den Gründen für Absagen bei Frauen gefragt, hieß es, dass der Zeitaufwand zu groß sei. Kinderbetreuung und dazu häufig noch eine berufliche Tätigkeit und vielleicht schon ein Ehrenamt, da wollten sich viele nicht noch ein Mandat ans Bein binden. Manche hatten es auch schon versucht und waren nicht gewählt worden. Andere trauten sich die Aufgabe nicht zu, und wieder andere wollten sich einem härter werdenden öffentlichen Diskurs nicht aussetzen.
Elisabeth Diemer-Bosch: Frauen gehören in die Kommunalpolitik
Elisabeth Diemer-Bosch sitzt im Büro ihrer Brauerei - ein Familienunternehmen, in dem sie auch mit 70 noch mitarbeitet. Sie ist die Fraktionsvorsitzende der CDU im Giengener Gemeinderat und 1. stellvertretende Oberbürgermeisterin. In ihrer Fraktion habe es vor fünf Jahren einen Wechsel gegeben, der auch ein Grund für die gute Frauenquote ist. Politische Persönlichkeiten seien altershalber ausgeschieden. Sie sei damals sehr aktiv auf Frauen zugegangen, um die Plätze wieder zu füllen.
Sie erzählt, dass sie als Kind die Erfahrung gemacht hat, dass ihre Mutter und ihr Vater gleichberechtigt über Politik sprachen. Auch sie war ehrenamtlich in Giengen aktiv, als sie gefragt wurde, ob sie nicht kandidieren möchte - das ist etwa 30 Jahre her. Beim zweiten Anlauf klappte es. Heute möchte sie Frauen in die Politik bringen.
Es ist wichtig, die Stimme der Frauen zu hören, sagt die Kommunalpolitikerin. Ob Themen wie Kinderbetreuung und Schule oder auch das Einkaufen - auch heute noch seien es häufig die Frauen, die sich hier kümmern - und damit das Fachwissen haben. Die Themen vor Ort machen die Kommunalpolitik aus, und das seien eben noch Frauenthemen. Frauen seien prädestiniert für diese politische Ebene.
Frauenanteil in Gemeinderäten wächst langsam
Der hohe Anteil an Frauen im Gemeinderat in Giengen an der Brenz ist noch eine Ausnahme. Das Statistische Landesamt in Baden-Württemberg hat die Kommunalwahl 2019 ausgewertet, mit Blick auf den Erfolg der Frauen. Dabei stellte sich heraus, dass der Anteil der Frauen zumindest in den Gemeinderäten leicht gestiegen ist, aber immer noch bei knapp 27 Prozent liegt. In den Kreistagen bewegt sich noch weniger. Und der Kreistag in Heidenheim steht landesweit besonders schlecht da - mit eine Frauenquote von 13 Prozent.
Margit Stumpp: Jahrzehntelanger Kampf um Gleichberechtigung
Woran liegt das? "Wenn ich das wüsste, hätten wir das schon längst geändert", antwortet Margit Stumpp von den Grünen am Telefon auf die Frage. Seit 25 Jahren ist sie nicht nur in der Kommunalpolitik im Kreis Heidenheim aktiv, sie war auch Abgeordnete im Bundestag. Heute sitzt sie im Kreistag, ist dort Fraktionsvorsitzende der Grünen und erklärt, dass es vielleicht auch am allgemeinen politischen Klima liegt, wenn sich Frauen heute nicht engagieren.
Sie erzählt, wie sie sich anfangs, als Gemeinderätin in Königsbronn im Kreis Heidenheim, durchbeißen musste. Das Klima war rau, sie habe sich als Frau einiges anhören müssen. Es habe lange gebraucht, bis auch männliche Gemeinderäte aufgestanden seien und gesagt hätten, dass so ein Umgang miteinander nicht gut sei.
Frauen im Kreistag sind wichtig
Margitt Stumpp nennt ein Beispiel, warum mehr Frauen in den Kreistag gehören: Kürzlich sei es in einem Gremium im Kreis Heidenheim um Radwege gegangen. Zwei Frauen und 20 Männer hätten da diskutiert, so die Politikerin. Die Alltagswege mit dem Fahrrad zum Kindergarten, zur Schule, zum Einkaufen - die machen jedoch Frauen. Wenn deren Sicht nicht einfließe, ändere sich strukturell auch nichts für sie.
Schlechtes Arbeitsklima und ungleiche Listen
Das Klima für Frauen habe sich nach und nach verbessert. Aber, ergänzt sie, man müsse im politischen Alltag schon etwas aushalten und dürfe nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Mit Blick auf ihre Arbeit im Bundestag und auf die Sozialen Medien sagt sie aber auch, dass der Ton aktuell wieder schlimmer geworden sei.
Die Kommunalpolitikerin nennt einen weiteren Grund, warum der Frauenanteil in der Kommunalpolitik so klein ist: Die Listen. Der Anteil der Grünen-Politikerinnen sei deswegen so hoch, weil die Partei die Regel habe, auf den Wahllisten die ungeraden Plätze an Frauen zu vergeben. Also auch den prominenten Platz 1. Und außerdem sagt sie: "Frauen müssen auch Frauen wählen."
Eine Umfrage unter Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern in Nordrhein-Westfalen aus dem vergangenen Jahr hat gezeigt, dass die Politikerinnen häufig unter der Gremienkultur, der Sitzungsleitung, den Kommunikationsformen leiden. Das sagt Bea Dörr von der Landeszentrale für politische Bildung. "Muss jeder alles sagen?"
Das Statistische Landesamt hat in einer Untersuchung der Kommunalwahl 2019 auch einen Blick auf die Listen der Wahlvorschläge im Land geworfen. Wurde bei der Kreistagswahl das so genannte Reißverschlussprinzip eingehalten, also abwechselnd Männer und Frauen auf den Listen? Und wie viele Frauen waren auf den vorderen, aussichtsreichen Plätzen? Das Fazit: Die Grünen schnitten bei der Berücksichtigung von Frauen am besten ab. Es folgte die SPD. FDP und CDU hatten einen deutlich geringeren Frauenanteil auf den vorderen Listenplätzen. Auch Bea Dörr von der Landeszentrale für politische Bildung bestätigt, dass gute Listenplätze für Frauen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Parität seien.
Matthias Kraut: Viele Absagen von Frauen für eine Kreistagskandidatur
"Die Frauen bringen sich genauso ein wie die Männer", sagt Matthias Kraut. Er ist Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Heidenheimer Kreistag, war lange Jahre Bürgermeister in Sontheim an der Brenz. Die Frage, warum im Kreis Heidenheim so wenig Frauen im Kreistag sitzen, lasse sich schwer beantworten, sagt der Kommunalpolitiker.
Man habe auch dieses Mal bei der Suche nach möglichen Kandidaten genauso viele Frauen wie Männer angesprochen. Doch zwingen könne man niemanden, wenn wegen der Familienplanung, des Jobs oder des schon bestehenden Ehrenamtes ein politisches Engagement abgelehnt wird. Matthias Kraut ruft die Frauen auf, sich mehr zu engagieren - sich ein Amt in der Kommunalpolitik zuzutrauen.
Müssen sich die Frauen ändern? Oder das System?
Bei den Frauen setzt zunächst auch ein Projekt der Europäischen Agentur für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Kooperation mit dem Deutschen LandFrauenverband an. Ein Aktionsprogramm, an dem auch der Kreis Konstanz teilgenommen hat. Es wurden Mentorings und Fortbildungen für Frauen angeboten, um sie fit für die Kommunalpolitik zu machen. Die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Petra Martin-Schweizer erklärt, dass dadurch mehr junge Frauen für die kommunalpolitische Arbeit gewonnen werden konnten.
Doch das einjährige Projekt habe auch gezeigt, dass Frauen seltener als Männer gefragt werden, ob sie politisch aktiv werden wollen. Der politische Raum sei nach wie vor männlich dominiert. Darüber hinaus seien weibliche Kandidaten oft unbekannter als ihre männlichen Kollegen. Es brauche, so ein erstes Ergebnis des Aktionsprogramms, nicht nur die Fortbildung und Motivation der Frauen. Es brauche auch kürzere Sitzungstermine zu familienfreundlichen Zeiten. Und eine Entschädigung oder ein Angebot der Kommune für eine Kinderbetreuung während der Sitzung.
Norbert Bereska: Über Engagement und Ehrenamt in die Politik
Was die Betreuung angeht, das sei schon geregelt, sagt Norbert Bereska. Er ist parteiloser Bürgermeister in Nattheim und gehört im Heidenheimer Kreistag der CDU-Fraktion an. Es gebe einen Anspruch auf eine Erstattung der Betreuungskosten, sowohl bei der Pflege von Eltern als auch für die Betreuung der Kinder.
Die Sitzungen zu verändern, das sieht er kritisch. Dass Kreistagsmitglieder beispielsweise auch online teilnehmen könnten, sei keine gute Lösung, es brauche für eine echte Teilnahme und auch für die Abstimmungen die persönliche Anwesenheit, meint der 66-Jährige. Die Sitzungen seien zumindest im Kreis Heidenheim auch nicht zu lang.
Sein Eindruck sei, dass sich für die Kreispolitik noch weniger Frauen interessieren als für den Gemeinderat. Und auch dort seien ja mehr Kandidaten männlich. Dass einige der Kreistagsmitglieder außerdem Bürgermeister waren oder sind, sieht er nicht als Problem. Bekanntheit zu erlangen, dass sei auch aus anderen Ämtern heraus möglich, beispielsweise in einem Ehrenamt. Dafür, sagt er, müsse man sich eben engagieren.
Frauen müssen sich engagieren, sich trauen, Wählerinnen und Wähler müssen auch Frauen wählen - das ist sicher ein Teil der Lösung. Doch alles ist es nicht, sagt Bea Dörr von der Landeszentrale für Politische Bildung. Sie sagt, dass sich auch die Gremien, die Kreistage, Gemeinderäte und die Ausschüsse verändern müssen, damit auch Frauen hier ihren Platz finden. Die Sitzungslänge sei ein Punkt. Ein anderer sei die Sitzungskultur. Die sei häufig von einem "so haben wir es doch schon immer gemacht" geprägt. Für Frauen sei es nach wie vor schwer, sich Gehör zu verschaffen.
Es liege aber nicht nur an den Frauen, etwas zu verändern oder zu erkämpfen. Es brauche beispielsweise auch andere Sitzungsstrukturen. Versuche mit Redezeitbegrenzungen haben gezeigt, dass die Ergebnisse die gleichen sind - ob über ein Thema drei oder fünf Stunden gesprochen wurde, so Dörr.
Die Umfrage der EAF Berlin führt einen weiteren, wichtigen Punkt auf: Das Kommunikationsverhalten gegenüber Frauen. Viele der aktiven Kommunalpolitikerinnen haben demnach angegeben, dominantes Redeverhalten von Männern zu erleben, herabsetzende oder unangemessene Bemerkungen und Sprüche, respektloses Verhalten. Hier sei der Handlungsbedarf groß.
Fazit: Es braucht den klaren Willen - auch den der Männer
Was bringt mehr Frauen nicht nur in den Heidenheimer Kreistag? Zusammengefasst ist es wohl eine Mischung aus weiblichen Vorbildern, besseren Listenplätzen, familienfreundlichen Sitzungszeiten und eines freundlichen Klimas in Ausschuss- und Ratssitzungen. Dafür braucht es den Willen aller - der Frauen natürlich, aber auch den der Männer. Und den der Wählerinnen und Wähler.
Der Unterschied zwischen dem Kreistag in Heidenheim und dem Gemeinderat in Giengen an der Brenz zeigt, dass es möglich ist, die Frauenquote zu erhöhen. Auch unter den aktuellen Bedingungen.
Im Kreis Heidenheim haben sich für die Kommunalwahl in diesem Jahr 289 Menschen für den Kreistag aufstellen lassen - 85 von ihnen sind Frauen. Das ist ein Anteil von 29 Prozent, teilt das Landratsamt mit. Genauso wie bei der Wahl vor fünf Jahren. Es bleibt abzuwarten, ob in diesem Jahr mehr von ihnen gewählt werden.