Spätestens seit der Silvesternacht wird über Angriffe auf Rettungskräfte und deren Schutz vermehrt diskutiert - am Dienstagabend auch bei einem Sicherheitsgipfel in Stuttgart. Schnelligkeit ist bei allen Einsätzen der Rettungsdienste Trumpf, auch beim Deutschen Roten Kreuz in Ulm und Tübingen. Sobald der Piepser sich meldet, haben die Rettungskräfte eigentlich nur noch eine Aufgabe: Patientinnen und Patienten versorgen und manchmal auch deren Leben retten. Dabei werden die Helfenden aber immer wieder von Menschen angegangen, die für die Einsätze kein Verständnis zeigen.
Rettungskräfte bei Verkehrsunfall in Ulm gefordert
Einen dieser Einsätze hat ein SWR-Kamerateam am Montagvormittag in Ulm begleitet und befand sich gleich inmitten eines dramatischen Geschehens: Überall ist Blaulicht. Mitten auf der Wielandstraße in Ulm steht ein verlassener Rollator mit mehreren Einkaufsbeuteln darin. Daneben ein Kleinwagen. Die Windschutzscheibe ist geborsten. An dieser Stelle hatte das Auto einen 92-jährigen Fußgänger erfasst. Auf der Straße liegen noch die Decken, mit denen die Polizei den Verunglücken vor neugierigen Blicken geschützt hat, während die Notärztin noch auf der Straße mit der Reanimation begonnen hatte. Der Mann liegt mittlerweile im Rettungswagen, wo Notfallsanitäter Max Diemer und andere Rettungskräfte der DRK Rettungswache in Ulm um sein Leben kämpfen. Das ist auch von außen zu sehen. Der Rettungswagen wippt im Rhythmus der Herzdruckmassage. Später wird der 92-jährige Fußgänger im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erliegen.
Autofahrer hupt und will sich an Polizeiwagen vorbeidrücken
Währenddessen hupt es mehrmals wenige Meter daneben. Ein Autofahrer versucht sich an einem Polizeiwagen vorbeizudrücken, an der Straßensperrung vorbei auf den Parkplatz eines Supermarkts. Zwei Polizisten müssen eingreifen und bringen den verständnislosen Fahrer zum Wenden. "Alltag", sagt Max Diemer nach diesem Einsatz. Pöbeleien von Passanten oder Gaffer, die die Arbeit der Rettungskräfte behindern, kennt er. Aber kalt lässt es ihn nicht. "Es ist schon teilweise beängstigend. Das führt ganz häufig zu Frust. Dass man sich fragt: Warum sind die Leute so? Warum gehen die so mit uns um?"
Auch bei der DRK Rettungswache Tübingen kennt man verbale Attacken
Ortswechsel: Nachtschicht beim Deutschen Roten Kreuz in Tübingen. Notfallsanitäter Robert Hickmann wurde zu einer Frau mit Atemnot gerufen. Er misst ihren Blutdruck, der ist in Ordnung, aber die Sanitäter bringen die schwer atmende Patientin in die Klinik. Ein Routineeinsatz ohne Zwischenfälle. Aber auch Robert Hickmann kennt es anders: "Vor allem verbale Gewalt erfährt man immer wieder. Dass man wirklich physische Gewalt erfährt, ist zumindest im Landkreis Tübingen eher selten, aber ich weiß von Kollegen aus dem großstädtischen Bereich, dass es da schon mehr zu solchen Übergriffen kommt."
Dass Rettungskräfte tatsächlich körperlich angegriffen werden, das sei weder im Landkreis Tübingen noch im Bereich des DRK Heidenheim-Ulm an der Tagesordnung. An Silvester zum Beispiel gab es keine physischen Angriffe, erzählt Tobias Zoller, Fachbereichsleiter Personal beim DRK Heidenheim-Ulm. Aber: Die Deeskalation spielt in der Ausbildung der Rettungskräfte mittlerweile schon eine größere Rolle als früher, erzählt er. Und wenn die Situation wie zum Jahreswechsel etwa in Berlin so eskaliert, dann müsse das auch Konsequenzen haben: "Helfende Hände, egal von welcher Organisation, ob Rettungsdienst oder Feuerwehr, greift man nicht an. Ich erwarte auch, dass diese Straftaten lückenlos aufgeklärt werden und die Leute zur Rechenschaft gezogen werden."
Innenminister Strobl trifft bei Sicherheitsgipfel Einsatzkräfte
Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) will sich am Dienstagabend auch mit Rettungskräften wie Max Diemer und Robert Hickmann bei einem Sicherheitsgipfel treffen, um über Angriffe in deren Arbeitsalltag zu sprechen und wie sich das in Zukunft verhindern lassen könnte. Max Diemer sieht den Schlüssel in der Aufklärung: "Wenn wir eine Straße zumachen müssen, dann machen wir das nicht aus Boshaftigkeit. Wenn wir da stehen, stehen wir da und können meistens auch nicht weg." Da müsse ganz viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, um solche Übergriffe in Zukunft zu vermeiden.