Es ist vielleicht Freiburgs ungewöhnlichstes Integrationsprojekt: Einmal pro Woche steht Nathan Thurlow mit seinen rollenden Holzbuden auf dem Stühlinger Kirchplatz unweit des Hauptbahnhofs. Er lädt die Menschen auf dem Platz zu einer Tasse Chai-Tee oder einem Teller veganer Suppe ein - und kommt mit ihnen ins Gespräch. Aus einem sozialen Brennpunkt wird plötzlich ein sozialer Treffpunkt.
Wenn Nathan Thurlow mit seinem sechsteiligen Fahrradgespann auf den Kirchplatz rollt, dann winken ihm die Leute auf den Parkbänken lächelnd zu. Erstaunt über das höchst skurrile Gefährt sind sie nicht - sie sehen es hier fast jede Woche. Nathan hat ein Lastenrad und mehrere Lastenhänger zu einem endlosen kleinen Güterzug umgebaut. Mit Spültheke, DJ-Pult und Toilette - liebevoll und pfiffig geschreinert bis ins Detail.
Geflüchtete und Obdachlose kochen mit
Jeden Donnerstag gibt es bei Nathan Tee, entspannte Beats und Seifenblasenwolken aus einer Kanone. Diesmal wird außerdem Kürbis- und Gemüsesuppe gekocht. Mehrere Freiwillige machen mit. Im Handumdrehen hat Nathan auch einige Geflüchtete und Obdachlose zum Schnibbeln rekrutiert. Berge von Möhren-, Kartoffel- und Kürbisstücken landen im Kochtopf. "Viele gute Sachen passieren am Esstisch, in Gemeinschaft", sagt Nathan. "Ich wünsche mir, dass es hier im Park für alle schön und familienfreundlich wird, wie in einem Wohnzimmer."
Der Kirchplatz ist Freiburgs Sorgenkind
Aber das ist noch ein ferner Traum, so scheint es. Der Stühlinger Kirchplatz ist Freiburgs krimineller Hotspot. Hier wird gedealt, getrunken, manchmal gestohlen und nicht selten geprügelt. Geflüchtete, vor allem aus Zentralafrika und aus dem Maghreb treffen sich hier, dazu obdachlose und drogenabhängige Menschen. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen innerhalb oder zwischen den Gruppen. Nachts gilt der Platz vielen als No-go-Area.
Nathan hat hier schon viel Gewalt gesehen
"Jede Minute, die ich im Park sein kann und es keine Gewalt gibt, feiere ich", sagt Nathan. Er hat hier schon viele Schlägereien erlebt. Passiert ist ihm noch nichts, obwohl er oft dazwischen geht. Denn die allermeisten kennen und schätzen ihn. Seit über acht Jahren veranstaltet der Australier hier und in anderen Freiburger Parks seine "New Heart Festivals". Bei seinen Silent Discos tanzen Hunderte mit bunt leuchtenden Kopfhörern lautlos in der Dunkelheit. Alkohol gibt es bei Nathan nicht, nur würzigen Chai-Tee.
Tanzen, Tee und Suppe statt Predigten
Ein tiefer Glaube treibt den 42-Jährigen an. Vor einigen Jahren, erzählt er, steckte er selbst in einer Krise. Nach einer Trennung war er am Boden, nahm Drogen, wusste nicht mehr weiter. Vielleicht kann er die Leute auf dem Kirchplatz auch deshalb so gut verstehen. Damals, sagt Nathan, habe ihm Gott ein neues Herz geschenkt. Eine tiefgreifende Erfahrung, die er jetzt an andere weitergeben möchte. "Ohne lange Predigten", sondern mit Nächstenliebe, Tanzen, Tee und Suppe. All das zählt zu seinem "New Heart Project".
Suppenduft und Musik schaffen entspannte Atmosphäre
An diesem Donnerstag gibt es alles gleichzeitig. Während Dutzende auf Decken, Kissen oder an der festlich gedeckten Tafel sitzen und ihre Suppe löffeln, plätschern entspannte Klavierklänge durch den Park. Kinder jagen Seifenblasen nach. Normalerweise meide sie den Stühlinger Kirchplatz, sagt Cara, die mit ihren Freunden auf der Wiese sitzt. "So ist es jetzt wirklich angenehm, man fühlt sich geborgen und sicher."
Dass es sich bei Nathan und seinen Unterstützern nicht um dubiose Missionare oder gar eine christliche Sekte handelt, hat inzwischen auch die Stadtverwaltung begriffen. Lange Zeit tolerierte sie Nathans Nächstenliebe-Events allenfalls. Doch das hat sich nun geändert. "Er ist für uns ein ganz wichtiges Puzzleteil zur Belebung dieses Platzes", sagt Ralf Schöpperle-Faller vom Amt für Soziales. Einzelne Förderungen hat Nathan von der Stadt schon erhalten. Nun hofft er, dass sein Projekt vielleicht bald auch dauerhaft finanziell unterstützt wird.
Die Menschen im Park nehmen Nathans Angebot dankbar an
Noch aber leben Aktionen wie "Soup in the Park" vor allem von den Spenden der Besucherinnen und Besucher. Für Nathan ist die Freude und Dankbarkeit der Bedürftigen aber der eigentliche Lohn. "Viele Leute hier haben ein goldenes Herz", sagt er, aber ohne Arbeit sei ihnen langweilig. Beim gemeinsamen Gemüseschnibbeln und Essen können sie ihre Not eine zeitlang vergessen.