Kinder von suchtkranken Eltern

Max Mutzke: "Meine Mama war anders als die anderen Mütter"

Stand
Autor/in
Robert Wolf
Onlinefassung
Jasmin Bergmann

Max Mutzke ist bekannt als entspannter Sänger. Doch seine Kindheit war alles andere als entspannt: Seine Mutter war alkoholkrank. Im Interview erzählt er, wie das für ihn war.

Max Mutzke ist Schirmherr der bundesweiten Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien, die am Montag gestartet ist. Untersuchungen zeigen, dass die Auswirkungen auf die Kinder immens sein können, wenn deren Eltern suchtkrank sind. Ein Drittel der Kinder laufen selbst Gefahr suchtkrank zu werden. Ein weiteres Drittel kann psychische oder soziale Störungen entwickeln. Und nur ein Drittel kommt demnach unbeschadet ins Erwachsenenleben.

Sänger Max Mutzke, gebürtiger Schwarzwälder aus Waldhut-Tiengen, hat es geschafft. Seine Mutter war alkoholkrank. Im Interview erzählt er darüber und auch über seine Arbeit bei der "National Association for Children of Addicts" (NACOA) in Deutschland - also der Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien.

SWR4-Moderator Robert Wolf im Interview mit Max Mutzke:

SWR Aktuell: Wie haben Sie die Krankheit Ihrer Mutter erlebt?

Max Mutzke: Als Kind, wo man noch nicht in der Lage ist intellektuell zu begreifen, dass da eine Krankheit herrschen könnte - hat man trotzdem längst begriffen, dass es da ein Problem gibt. Weil meine Mama einfach anders war als die anderen Mütter. Es war zum Glück nur meine Mutter davon betroffen. Viele Kinder aus suchtkranken Familien sind oft mit beiden Elternteilen konfrontiert. Durch meinen Vater hatten wir trotzdem alle Rituale, wie Weihnachten, Geburtstage und so weiter. Es wurde sehr viel aufgefangen.

Nichtsdestotrotz war dieses Mutterbild ein ganz verschobenes. Auch wenn meine Mutter total lustig und sehr intelligent war, hat man sich manchmal eine ganz andere Mama gewünscht. Viele, die von außen zu uns kamen, hatten das Gefühl: Hey, das ist ja die coolste Frau der Welt. Aber sobald dann die Türe zu geht und du dann alleine bist, dann kommen diese Schatten hoch. Das ist schon eine krasse Sache damit aufzuwachsen. Für viele Menschen, die damit aufwachsen, bedeutet das auch, dass sie Bindungsschwierigkeiten entwickeln. Weil sie mit den wichtigsten Bezugspersonen in ihrem Leben keine Beziehung aufbauen können.

Max Mutzke erzählt im SWR-Interview über seine Kindheit und über die Alkoholkrankheit seiner Mutter.
Max Mutzke erzählt beim Interview im SWR-Studio über seine Kindheit und über die Alkoholkrankheit seiner Mutter.

Mir ist es tatsächlich gelungen, eine Resilienz zu entwickeln. Ich wollte nicht zuhause sein, ich wollte mich nicht dem ausliefern und habe mir jeden Tag überlegt, wie ich es mir schön machen kann. Ich war immer bei Freunden zuhause und hatte unglaublich viele Hobbies: Motocrossfahren, Klettern, Skaten, Gleitschirmfliegen - es hatte immer mit Adrenalin zu tun. Wir waren immer draußen.

SWR Aktuell: Sie sind jetzt selbst Vater von vier Kindern. Welche Rolle spielen da denn Ihre eigenen Erfahrungen als Kind?

Mutzke: Das spielt eine große Rolle, vor allem weil das Wichtigste in unserer Kindheit war, dass wir Sicherheit haben. Und mir ist klar, dass vor allem eine Sicherheit schaffen kann, nämlich: Rituale. Das fängt damit an, dass man die Kinder morgens weckt, ihnen über den Kopf streichelt, sie anzieht und an den Frühstückstisch bringt. Das sind alles Rituale, die eine ganz hohe Sicherheit geben und daran konnte ich mich als Kind festhalten, weil diese gab es durch meinen Vater bei uns zum Glück trotzdem. Die sind auch manchmal weggebrochen und dann merkte ich, wie schlimm das ist. Und das gelingt uns auch als eine sehr hohe Priorität - relativ unverkrampft - im Leben meiner Kinder.

Das gibt mir lustigerweise auch eine totale Sicherheit. Das ist auch für meinen Job so schön, weil ich weiß: Die Familie ist das Wichtigste in meinem Leben - das steht alles, das läuft. Und dann sind meine Grundbedürfnisse so befriedigt, dass ich in der Karriere auch entspannt sein kann. Die Karriere ist nur ein Ast - die Familie ist der Stamm.

Nahaufnahme von Max Mutzke
Max Mutzke ist Sänger, Songwriter und Musiker. Für Deutschland nahm er 2004 am Eurovision Song Contest teil und belegte den achten Platz.

SWR Aktuell: Ihre Mutter ist 2013 gestorben. Wie denken Sie heute über sie?

Mutzke: Die Alkoholsucht als Krankheit zu verstehen ist mir Zeit ihres Lebens nicht gelungen, weil ich zu stark davon betroffen war. Und weil wir immer gesagt haben: Wie kann es sein, dass du sechs Kinder hast und einen liebenden Ehemann und wir es angeblich nicht Wert sind, damit einfach aufzuhören. Ich dachte immer, wenn du diesen Vorsatz [eine neue Schnaps-Flasche zu kaufen, d. Red.] einfach weglässt, dann kannst du diese ganze Familie wieder retten. Weil sie das aber nicht geschafft hat, habe ich das immer sehr persönlich genommen.

Jetzt erst nach ihrem Tod ist mir durch einen sehr schlauen Menschen, der mir das mal gesagt hat, bewusst geworden: Bei alldem, was wir gemacht haben – mit all der Zuneigung und aber auch Ablehnung, die wir ihr gegenüber hatten – das hat ja alles nichts gebracht. Er sagte: "Vielleicht müsst ihr akzeptieren, dass das der einzige Lebensweg deiner Mama war. Ihr hattet keine Schuld daran." Das ist ja auch ganz wichtig, dass Betroffene das verstehen. Und dann kann man auch begreifen, dass die Schuld in der Krankheit liegt. Dann sieht man den Menschen wieder mit ganz anderen Augen.

Max Mutzke und die SWR Big Band
Max Mutzke und die SWR Big Band

SWR Aktuell: Sie sind Schirmherr von NACOA Deutschland. Was macht denn NACOA?

Mutzke: Die machen Aktionswochen. Es geht darum, dass die Kinder nicht in der Lage sind, zu erklären, wie ihr Leben ist. Und kein Mensch von außen sieht das. Suchtkranke Menschen sind sehr gut darin, das zu verschleiern. Die NACOA-Vereinigung sagt, dass die hilfslose, schutzlose Gruppe von Kindern kein Gehör hat. Das Thema Alkohol ist eh ein großes Tabuthema.

Diese kleinen Menschchen, die nichts machen können, auch zu schwach sind und dem vollkommen ausgeliefert sind, die brauchen eine Stimme. Und das passiert in Deutschland nach wie vor viel zu wenig. Es wird sich in Deutschland noch viel zu wenig um das Umfeld suchtbelasteter Menschen gekümmert. Das müssen wir aber machen, weil [sonst] ein großer Teil selbst Alkoholiker wird, weil das ihr vorgezeichneter Lebensweg ist. Davor muss man die Kinder retten.

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