Diskussionen im Stuttgarter Gemeinderat zeigen, wie umstritten die Idee für eine zusätzliche Abgabe für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Land ist. Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) als Repräsentant der größten Kommune des Landes lehnt es "entschieden" ab, von Bürgern oder Arbeitgebern eine Gebühr zu erheben, die zu einem vergünstigten ÖPNV führen würde. Nopper rechtfertigt seine Ablehnung damit, Menschen im Land seien durch die hohe Inflation ohnehin finanziell belastet. Seine Äußerungen sorgen bei den Grünen im Gemeinderat jedoch für Kopfschütteln.
Auch landesweit gehen die Reaktionen zum Mobilitätspass auseinander: Aus der FDP-Landtagsfraktion kommt eine Warnung vor "Abzocke", der Landkreistag zeigt sich offen für das Modell. Anlass ist, dass das von Winfried Hermann (Grüne) geführte Ministerium Modellberechnungen zum sogenannten "Mobilitätspass" vorgelegt hat, der vom Ministerium und mehreren Kommunen seit 2019 entwickelt wird. Die einzelne Kommune können dabei jedes Jahr bis zu zweistellige Millionen-Beträge einnehmen, um damit den ÖPNV auszubauen. Hintergrund ist, dass Baden-Württemberg im Jahr 2040 klimaneutral sein will. Deshalb will das Land gerade beim Verkehr deutlich mehr Menschen für Bus und Bahn begeistern.
Mobilitätspass: 21 Modellkommunen testen Varianten
Das Land und 21 Kommunen - darunter auch Stuttgart und weitere Kommunen in der Region Stuttgart - haben landesweit verschiedene Modelle durchgerechnet. In diesen werden Bürger einerseits zur Kasse gebeten, andererseits wird ihnen dafür ein besserer ÖPNV geboten - und das zu einem vergünstigten Preis. Vier Varianten - angepasst beispielsweise auf Größe, Lage und ÖPNV-Ausbau der jeweiligen Städte und Gemeinden - wurden getestet:
- die "Straßenbenutzungsgebühr“, eine Abgabe für Autofahrerinnen und Autofahrer, die einer "Maut" ähnelt,
- der "Einwohnerbeitrag", eine Abgabe für alle Einwohnerinnen und Einwohner einer Gemeinde,
- der "Kfz-Halterbeitrag", ein Abgabe für Autobesitzerinnen und -besitzer und
- der "Arbeitgeberbeitrag", eine Abgabe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen.
Mobilitätsguthaben etwa für Deutschlandticket
Die Ergebnisse sollen nun einfließen in ein Landesmobilitätsgesetz. Die Idee dahinter: Wer die Abgabe für einen Mobilitätspass bezahlt, erhält dafür ein Mobilitätsguthaben in gleicher Höhe und kann es für ein ÖPNV-Abo verwenden, beispielsweise beim ab Mai kommenden Deutschlandticket. Geplant ist auch, das ganze sozialverträglich zu machen, indem Kommunen Ermäßigungen festlegen können. Für bestimmte Personengruppen könnte sogar eine Beitragsbefreiung möglich sein.
Finanziell soll es bei den Abgaben um niedrige zweistellige Eurobeträge im Monat gehen. Bei der Variante "Straßenbenutzungsgebühr" spricht das Ministerium von 25 Euro, die Autobesitzerinnen und -besitzer bezahlen müssten. Bei einem "Arbeitgeberbeitrag" in dicht besiedelten Gebieten könnten auf die Arbeitgeber zehn Euro als Nahverkehrsabgabe pro Mitarbeitenden zukommen. Das bedeutet, dass die Höhe je nach Kommune unterschiedlich ausfallen könnte.
Millionenbeträge für Ausbau von ÖPNV
Außerdem könnte je nach Region ein anderes Mobilitätspass-Modell eingeführt werden: Der "Einwohnerbeitrag" bietet sich dabei für große, weniger dicht besiedelte Landkreise im ländlichen Raum an. Dort könnten nach Einschätzung des Landes-Verkehrsministeriums die höchsten Beträge für den ÖPNV-Ausbau erzielt werden: Je nach Einwohnerzahl seien dabei Erlöse von bis zu mittleren zweistelligen Millionenbeträgen pro Jahr möglich.
Für Großstädte wie Stuttgart kommen als Varianten dagegen die "Straßennutzungsgebühr" und der "Arbeitgeberbeitrag" infrage. Auch dabei geht es um viel Geld: Den Berechnungen in den Modellkommunen zufolge kommen bei der "Straßennutzungsgebühr" zwischen 24 und 87 Millionen Euro pro Jahr zusammen, berechnet mit einer Gebühr von 25 Euro pro Monat.
Stuttgart: Streit im Rathaus um Mobilitätspass
Stuttgarts OB Frank Nopper kritisiert die Pläne: "Eine zusätzliche Abgabe käme zur Unzeit, weil die Bürgerinnen und Bürger seit einem Jahr mit der höchsten Inflationsrate seit Kriegsende und mit enormen Energiepreissteigerungen belastet sind." Für eine höhere Attraktivität des ÖPNV sorge nun ja schon das Deutschlandticket. Ein Mobilitätspass wäre bundesweit eine "Insellösung". Den Kommunen würde dabei der Schwarze Peter zugewiesen, da sie schließlich die Gebühr erheben müssten. Das Land sollte stattdessen eine "Mobilitätsgarantie" leisten - und dafür bezahlen. Doch diese Garantie könne und wolle das Land nicht erbringen, kritisiert der CDU-Politiker Nopper.
Der Einwurf ihres Oberbürgermeisters führt bei den Grünen im Stuttgarter Gemeinderat zu einer scharfen Replik: Der OB setze sich über die Beschlüsse des Stuttgarter Gemeinderates hinweg. "Ob er den Sachverhalt überhaupt verstanden hat, ist fraglich, denn nicht nur bei den Begriffen Mobilitätspass und Mobilitätsabgabe geht es durcheinander", heißt es in einer Mitteilung. Stuttgart solle lieber inhaltlich weiter über die verschiedenen Mobilitätspass-Modelle diskutieren - um so einen besseren ÖPNV und weniger Verkehrsbelastung in der Landeshauptstadt zu ermöglichen.
Landesweit Uneinigkeit über den Mobilitätspass
Neben Stuttgarts OB Nopper lehnt auch der FDP-Landtagsabgeordnete Friedrich Haag den Mobilitätspass ab und warnt vor einer "Abzocke durch Mobilitätspässe". Der Baden-Württembergische Industrie und Handelskammertag fordert, dass eine Nahverkehrsabgabe zu keinen Mehrbelastungen bei Unternehmen führen dürfe. Schließlich finanzierten die Betriebe ja schon heute über die Gewerbesteuer einen Teil des ÖPNV.
"Der Mobilitätspass kann in bestimmten Fällen ein überlegenswertes Instrument sein", schreibt hingegen der Landkreistag. Allerdings müsse sichergestellt werden, dass die Gebühr ein zusätzliches ÖPNV-Angebot schaffe. Nicht hinzunehmen sei, wenn das Geld lediglich zur Finanzierung der Grundversorgung genutzt werde.