Momentan hat man den Eindruck, in Stuttgart stagniert sehr vieles: Bauprojekte, Sanierungsmaßnahmen, die Digitalisierung. Es gibt Ankündigungen der Kommunalpolitikerinnen und -politiker, es werden von Fraktionen Anträge gestellt, der Gemeinderat beschließt vieles - und dann tut sich nichts mehr. Dabei scheitert es nicht am Geld, sondern an anderen Dingen. Sechs Beispiele des vermeintlichen und tatsächlichen Stillstands in Stuttgart:
Seit 2010 nur jede zweite Baumaßnahme in Schulen umgesetzt
Das Problem: Stuttgarts Schulgebäude sind veraltet. Geld für Sanierungen ist da, wird aber nicht ausgegeben. 830 Millionen Euro könnte die Stadt Stuttgart in Schulen stecken: Seit 2010 hat der Gemeinderat kontinuierlich Geld für marode Schulgebäude und die Verbesserung von Brand- und Klimaschutz in Schulen freigegeben. Fast 2.000 kleine und große Maßnahmen sind das, vor allem zur Sanierung von veralteten Schulgebäuden, wie die Stadt Stuttgart auf SWR-Anfrage mitteilt. Aber nur 1.135, also etwa die Hälfte dieser geplanten Sanierungsmaßnahmen, sind seit 2010 fertiggestellt worden.
Daran liegt es: Es gebe zu viele Nöte, heißt es von Seiten der Stadt Stuttgart. Vor allem zu wenig Personal auf den Ämtern und zu wenig Baumaterial würden die Sanierungen verzögern. Es gibt aber auch noch andere Probleme. So würden bei manchen Standorten Klagen von Anwohnerinnen und Anwohnern gegen die Schul-Baustellen Sanierungen ausbremsen. Hinzu komme, dass es immer mehr kaputte Schulen gibt - und damit also eine Art Sanierungsstau. Und es würden immer mehr Bauvorschriften auferlegt. Viele davon sind beispielsweise zum Brandschutz entsprechend Vorgabe von Land und Bund.
Das Ergebnis: Geplante Schul-Sanierungen starten oft viel später als geplant, wenn überhaupt.
Die Digitalisierung der Stadtverwaltung stockt
Das Problem: Die wenigsten Dienste bei der Stadtverwaltung kann man wirklich digital nutzen. E-Akten liegen oft nicht vor, die Bürokratie arbeitet vielerorts noch analog. Die Digitalisierung der Stadtverwaltung ist gewollt, aber sie stockt. Dabei wurde vor gut zwei Jahren sogar ein Amt für Digitalisierung neu geschaffen. Und auch eine Digitalisierungsstrategie gibt es. Denn seit Ende 2022 verpflichtet das sogenannte Onlinezugangsgesetz Bund, Länder und Kommunen, Bürgerinnen und Bürgern Verwaltungsleistungen digital anzubieten. Stuttgart muss also langsam mal in die Gänge kommen. Bis 2026 sollen, einschließlich Personal, rund 175 Millionen Euro in die Digitalisierung der Stadtverwaltung investiert werden.
Das Amt für Digitalisierung trägt den schönen Namen "DO.IT". Aber "jetzt mal machen" ist nicht so einfach. Nicht mal erste Online-Services laufen reibungslos. Zum Beispiel bei der Online-Terminvergabe der Kfz-Zulassungsstelle oder bei der Ausländerbehörde.
Daran liegt es: Bürokratie im Rathaus sei vor allem auf Rechtssicherheit und wenig Risiko aus, weniger auf Effizienz und leichte Online-Nutzung. Dazu kommt: Vorgaben für die Verwaltung - etwa für neue Pässe - machen Bund und Land. Die Stuttgarter Stadtverwaltung selbst kann nur umsetzen, was anderswo beschlossen wurde. "Jede der über 10.000 Kommunen in Deutschland muss sich selbst überlegen, wie man digitalisiert", sagt Amtsleiter Thomas Bönig. Es gebe keine einheitlichen digitalen Systeme oder Planungen. Die Systeme und die Software kommen zwar von dem IT-Dienstleister Komm.One, der in gemeinsamer Trägerschaft des Landes und der Kommunen in Baden-Württemberg gegründet wurde, um die kommunale Verwaltung bei der Digitalisierung zu unterstützen. Aber diese Firmen können nicht mit international agierenden großen Digitalkonzernen mithalten, mit denen Unternehmen und Online-Händler ihre Angebote gestalten.
Das Ergebnis: Digitalisierung läuft nur in Mini-Schritten an. Einen Termin beim Standesamt soll man dieses Jahr noch online buchen können. Um das Aufgebot zu bestellen, muss man aber immer noch persönlich aufs Amt. Bis zu drei Jahre könnte es noch dauern, bis es bei allen Ämtern mit der Online-Terminvergabe klappt. Beratung bei manchen Ämtern soll in den nächsten Jahren immerhin per Videocall möglich sein. Einige Gänge ins Bürgerbüro könnten dann wegfallen. Aber bis Akten in Stuttgart digitalisiert sind, damit beispielsweise die Ausländerbehörde reibungsloser und schneller arbeiten kann, wird es wohl noch lange dauern.
Am Neckarufer sollte es schon vor Jahren schöner werden
Das Problem: Der Neckar fließt zwar durch Stuttgart, aber die Ufer sind wenig einladend. Seit Jahren soll sich das ändern, aber wenig passiert. "Stadt am Fluss" - Stuttgart mit einem Neckarufer, an dem man sich gerne aufhält - das hatte schon der frühere Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) versprochen.
Daran liegt es: Den Neckar von einem Transportweg für die Industrie zu einem Ort für Freizeit zu verwandeln, dauert. Planungsrechtlich ist das laut Stadt komplexer als erwartet, zum Beispiel, weil so viele Anwohnerinnen und Anwohner mitreden dürfen und weil so viele einzelne Schritte geplant werden müssen. Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) räumte deshalb schon vor einem halben Jahr ein, "dass der Weg von der Projektidee bis zur Realisierung länger und steiniger ist als erwartet und von zahlreichen fachlichen Herausforderungen und rechtlichen Hürden gepflastert ist". Aber die Bemühungen würden sich lohnen.
Besonders viel Engagement entfalten dagegen die Bürgerinnen und Bürger. Im Bürgerhaushalt waren Vorschläge für eine Neckarwelle zum Surfen regelmäßig besonders beliebt. Und der Verein "Neckarinsel" möchte vor allem die Stadtentwicklung am Neckar vorantreiben. Hier hinkt die Stadt den vielen Vorschlägen aus der Bürgerschaft oft hinterher.
Beteiligung höher als in den Vorjahren Stuttgart: Ergebnisse des Bürgerhaushalts 2023 stehen fest
Die Ergebnisse des siebten Stuttgarter Bürgerhaushalts stehen fest. Knapp 18.000 Stuttgarterinnen und Stutgarter beteiligten sich in diesem Jahr.
Das Ergebnis: Bis wir in Stuttgart am Neckar flanieren können wie am Main in Frankfurt oder in München an der Isar, kann es noch Jahre oder gar Jahrzehnte dauern.
Marode Brücken: Wie wahrscheinlich sind Crashs in Stuttgart?
Das Problem: Viele Brücken in Stuttgart sind kaputt. Jahrelang wurde an Reparaturen gespart. Daran schließt sich jetzt aber das nächste Problem: Durch Brückensperrungen oder jahrelange Baustellen wird der Verkehr in der Innenstadt ausgebremst.
"Tempo 30 wegen Brückenschäden" auf der B27 von der Innenstadt bis zum Pragsattel - Dieses Schild steht schon seit mehreren Jahren an der Löwentorbrücke. Hätte man die kaputte Brücke in der Zeit nicht längst reparieren können? Die Reparatur wird mindestens 10 Jahre dauern. So lange bleiben Autofahrerinnen und -fahrer genervt.
Daran liegt es: Die meisten Brücken in Stuttgart stammen aus der Nachkriegszeit. Jahrzehntelang wurden sie vernachlässigt. Tiefbauamtsleiter Jürgen Mutz kämpft im Gemeinderat seit Jahren um mehr Geld für Sanierungen von Straßen und Brücken. Erst für die letzten Haushalte mit Erfolg: Nun gibt es 23 Millionen Euro dafür statt wie jahrelang nur acht Millionen Euro. Zu lange seien viele nötige Reparaturen nicht angegangen worden, weil der Gemeinderat kein Geld dafür bewilligt hatte, so Mutz.
Doch bis auch Geld für die Reparatur der Löwentorbrücke am Pragsattel ausgegeben sein wird, kann es mindestens 10 Jahre dauern. Das liegt vor allem an Planungsfristen, etwa wegen der Stadtbahn. Drei Jahre im Voraus müsse eine Beeinträchtigung angekündigt werden. Sollte sich die avisierte Bauzeit verändern, verfalle die Genehmigung. Hinzu kommt: Ausschreibungen kosten Jahre. Und auch Ausschreibungen müssen Monate und Jahre im Voraus geplant werden. Wenn die Löwentorbrücke in zehn Jahren repariert ist, dann sei es schnell gegangen, so das Tiefbauamt. Und bis dahin wird der Verkehr auf Tempo 30 gebremst.
Das Ergebnis: Brücken- und andere Reparaturen verzögern sich oft sehr lange. Vor allem, weil lange keine Geld dafür da war, ein Sanierungsstau an Brücken ist die Folge. Vorschriften für Baustellen verlängern Bauzeiten zusätzlich.
Zu viele oder zu wenige E-Lade-Säulen in Stuttgart?
Das Problem: E-Autos laden kann man in Stuttgart zwar besser als anderswo. Aber schnell laden wie an der Autobahn - das geht in der Stadt kaum.
Daran liegt es: Eigentlich herrscht Stolz in Stuttgart vor: Es gibt mehr öffentliche E-Ladesäulen als in jeder anderen Großstadt in Deutschland pro Einwohner. Klar, als Autostadt will Stuttgart auch Vorreiter sein, auch bei der E-Mobilität. Doch für die, die nur kurz in Stuttgart in der Innenstadt sind und schnell das E-Auto aufladen wollen, fehlt es an Schnellladepunkten, sogenannten High Power Chargern (HPC). Diese gibt es an Autobahnen überall an den Tankstellen. Martin Körner, Chefstratege im Rathaus, sagt: "So etwas gehört eigentlich auch in der Stadt an die normale Tankstelle." Doch da tut sich nichts.
Tankstellen sind meist in Privatbesitz. Und für Ladehubs fehlen Flächen. Wie mühsam es ist, einen Tankstellenpächter zu bewegen, neben Benzin auch schnelles Strom-Tanken zu ermöglichen, zeigt sich bei einer Tankstelle nahe des Klinikums Stuttgart. Hier gehört die Fläche der Stadt, mit dem Pächter laufen jetzt Verhandlung für eine schnelle Stromtankstelle. Auch E-Bike-Radlerinnen und -Radler sagen, in der Innenstadt fehlten Stationen zum schnellen Laden von Fahrrädern, am besten mit vielen Anschlüssen.
Das Ergebnis: Stuttgart hat viel in die E-Ladestruktur investiert. Doch um wirklich Vorreiter in E-Mobiltät zu sein, fehlt noch sehr viel.
Vergleich von Großstädten Private E-Autos: Warum Stuttgart Vorreiter in Deutschland ist
In keiner deutschen Großstadt fahren so viele Menschen privat ein Elektroauto wie in Stuttgart. E-Autos bleiben allerdings selbst hier eine Ausnahme.
Der Leuzeknoten: Wird die Baustelle jemals fertig?
Das Problem: Wer vom Rems-Murr-Kreis nach Stuttgart fährt, muss seit über zehn Jahren durch die Riesen-Baustelle nahe der Wilhelma - bereits doppelt so lang wie ursprünglich geplant. Das heißt: Stau und Ärger für Autofahrerinnen und -fahrer. Seit über zehn Jahren wird am Leuzeknoten gebaut. Die Baustelle an B29 und B10 nach Stuttgart rein wirkt wie ein Dauerzustand. Warum wird sie nicht fertig?
Daran liegt es: Seit 2013 wird gebaut. Schon am Anfang waren sechs Jahre Bauzeit geplant, 2019 sollten die Bauarbeiter abziehen. Nun sind sie am Ende doppelt so lange da. Bis alles fertig ist, sollen noch mindestens zwei Jahre vergehen. Und warum? Weil man den Verkehr hat weiter fließen lassen, heißt es. Jedoch hat es wohl Probleme bei der Bausubstanz gegeben, hört man aus dem Tiefbauamt. Und weil man sich immer wieder neu einstellen musste auf das, was man da so bei den Renovierungen entdeckte, habe es so lange gedauert. Hinzu kam noch Ärger mit einem ausführenden Unternehmen, der schließlich vor Gericht landete.
Das Ergebnis: Am Ende werden die Tunnel und die Ein- und Ausfahrten erst bis 2025 fertig sein. Und erst im Frühjahr 2026 werden alle Bauarbeiten abgeschlossen sein - natürlich nur, wenn nicht neue Überraschungen hinzu kommen.
Was bewegt Stuttgart und die Region sonst noch? Welche kommunalen Themen sind überall im Land bei den bevorstehenden Kommunalwahlen relevant? Mehr dazu in unserem Special zu den Wahlen.
SWR Aktuell Wahl-Special Kommunalwahl 2024
In unserem Online-Special finden Sie alle Informationen rund um die Kommunalwahl am 9. Juni 2024 in Baden-Württemberg.