Geht Landwirtschaft auch anders? Diese Frage stellt sich anlässlich der Bauernproteste der vergangenen Tage. Für Lukas Dreyer in Stuttgart-Möhringen heißt die Lösung: Solidarische Landwirtschaft. Jede Woche kommen rund 1.000 Menschen auf den Reyerhof und holen Obst und Gemüse. Welche Mengen die Kunden bekommen, ist vorher abgesprochen.
Der Reyerhof liegt mitten in Stuttgart-Möhringen. Knapp 50 Hektar bewirtschaftet Lukas Dreyer dort gemeinsam mit einer Kollegin. Neben dem Anbau von Gemüse gibt es dort auch Kühe und Hühner. Im Gegensatz zu anderen Landwirtschaftsbetrieben ist der Reyerhof nicht abhängig vom Weltmarkt. Er wird nach dem Prinzip einer solidarischen Landwirtschaft betrieben. Ein Konzept, das für Landwirt und Verbraucher aufgeht.
Solidarische Landwirtschaft: So funktioniert's
Seit 2013 beliefert der Reyerhof immer mehr Menschen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie ihre Lebensmittel erzeugt und verteilt werden. Der Reyerhof gehört zur Solidarischen Landwirtschaft Stuttgart - einer Gemeinschaft von Menschen, die besonderen Wert auf Regionalität und geringe Lebensmittelverschwendung legt.
Das Budget des Reyerhofs wird gemeinsam besprochen. Danach wird geplant und angepflanzt. Nach der Ernte bekommt jedes Mitglied der Solidarischen Landwirtschaft Stuttgart (SolawiS) wöchentlich Kartoffeln, Gemüse, Getreide, Mehl und Brot. Was er anbauen muss und wie viel, weiß Lukas Dreyer schon ein Jahr im Voraus.
"Es handelt sich um eine Gruppe von Verbrauchern, die sich um einen Hof bildet", sagt Lukas Dreyer, der den Reyerhof 2015 übernommen hat. "Man setzt sich einmal im Jahr zusammen, und die Gemeinschaft gibt an, wie viel Lebensmittel sie benötigt. Als Landwirt legt man dann offen, was das für ein Jahr kostet, und die Mitglieder der SolawiS teilen die Kosten unter sich auf", so Dreyer. "Jedes Mitglied bietet anonym einen Geldbetrag an, den er oder sie beitragen möchte. Ist das Konzept finanziert, muss ein Jahr lang nicht mehr über Geld gesprochen werden."
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Kein diktierter Marktpreis, frische Lebensmittel und glückliche Bauern. Gibt es denn so etwas überhaupt? In der „Solidarischen Landwirtschaft“ (Solawi) ist das bereits Alltag.
Landwirt kann besser planen
Dem Landwirt bietet die Kooperation vor allem Planungssicherheit. "Ein normaler Bauer muss über ein Jahr in Vorleistung gehen", so Lukas Dreyer. "Ich weiß dagegen schon im November, wie das nächste Jahr aussehen wird. Wenn ich meine Anbauplanung mache, weiß ich, was gewollt ist und ich kann bedürfnisorientiert anbauen."
Außerdem schätzt Dreyer die Transparenz und Ehrlichkeit: "Es wird alles verteilt, was geerntet wird, auch wenn die Ernte mal nicht so gut ist oder das Gemüse äußere Mängel hat. So werden Verluste minimiert." Ein weiterer großer Vorteil ist laut Dreyer die enge Bindung von Betrieb und Kunde. "Die Menschen identifizieren sich viel mehr mit ihrem Bauern oder Gärtner." Einige Mitglieder der SolawiS würden sich auch an Hofeinsätzen beteiligen und mitarbeiten. Derzeit versorge der Reyerhof rund 1.000 Menschen.
Einmal in der Woche gibt es Gemüse, Brot und Milch zum Abholen
Jede Woche bekommen die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft Stuttgart eine Wunschliste mit Lebensmitteln. "Dort kann man eintragen was man möchte oder auch rausstreichen, was man nicht mag", erklärt Andreas Maichel, Mitglied der SolawiS.
Zwei Tage später könne man seine Bestellung auf dem Hof abholen. Auch Maichel schätzt das Konzept: "Man zahlt einmal im Jahr, und jeder gibt so viel, wie er kann und möchte. Außerdem brauche ich nur fünf Minuten zu Fuß hier her. Regionaler geht es nicht."
Nicht vom Weltmarkt abhängig
Dadurch, dass die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft schon ein Jahr lang im Voraus einen festen Preis zusagen für das Gemüse, das sie abnehmen, ist Lukas Dreyer mit seinem Reyerhof nicht so sehr vom Weltmarkt abhängig wie andere Landwirtschaftsbetriebe.
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Die geplante Streichung der Subventionen für die Landwirte treffe ihn nicht so stark wie andere, so Dreyer. Das habe aber auch mit der Struktur seines Hofes zu tun. Er sei weniger auf landwirtschaftliche Maschinen angewiesen wie andere Bauern. "Für mich würde die Streichung der Subventionen im Jahr ein Minus von rund 2.000 Euro bedeuten", so Lukas Dreyer.