Ein Abend im November am Mailänder Platz in Stuttgart: Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren geraten vor der Stadtbibliothek in Streit. Messer und Schlagstock werden gezückt - vier Beteiligte landen im Krankenhaus. Eine Messerattacke von vielen, die die Polizei 2023 im Land gezählt hat: In Summe sind es 3.104 Fälle, in denen eine Person mit einem Messer bedroht, verletzt oder gar getötet wurde. Das ist ein Plus von 13,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Deutlich mehr Straftaten mit Messern als mit Schusswaffen
Die Zahlen wurden schon vor der offiziellen Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für Baden-Württemberg diesen Donnerstag bekannt. Eine Entwicklung, die sich auch in den bundesweiten Zahlen spiegelte, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurden. Delikte mit Messern liegen im Südwesten dabei deutlich vor Taten, in denen Schusswaffen zum Einsatz kamen: 3.104 Messer- stehen 564 Schusswaffen-Delikten gegenüber. Bei Straftaten gegen das Leben wie Mord und Totschlag waren es im vergangenen Jahr 145 Messerattacken und 18 Taten mit Schusswaffen-Gebrauch.
Bei der Vorstellung der Zahlen am Dienstag erklärte Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), dass das Land mit einer ganzen "Klaviatur" an Schritten gegen die steigende Kriminalität vorgehe. Dabei geht es beispielsweise um Fahndungs- und Sicherheitstage, Videoüberwachung und kommunale Sicherheitskonzepte. Gerade mit den Städten Freiburg, Heidelberg und Stuttgart ist das Land regionale Sicherheitspartnerschaften eingegangen.
Waffenverbotszone in Stuttgart und Mannheim gegen Messergewalt
Und auch der Anstieg der Messerdelikte der vergangenen Jahre hatte in Baden-Württemberg schon Konsequenzen: Seit Februar 2023 gilt in Stuttgart eine Waffenverbotszone. Mannheim zog im Dezember als zweite Stadt im Land nach. Dort gilt die Verbotszone in weiten Teilen der Quadrate sowie rund um Wasserturm und Hauptbahnhof.
Experten warnen vor Überinterpretation Deutlich mehr Straftaten in BW registriert - Strobl: "Ein sehr sicheres Land"
Laut Kriminalitätsstatistik wurden 2023 in Baden-Württemberg fast 600.000 Straftaten registriert. Innenminister Strobl hält BW dennoch weiterhin für eines der sichersten Länder.
Prinzipiell dürfen alle Kommunen im Land solche Verbotszonen anordnen - sofern es dort besonders kriminalitätsbelastete Orte gibt. Der grün-schwarze Ministerrat hatte im September 2022 eine entsprechende Verordnung beschlossen, ausgearbeitet vom Innenministerium. Diese kommunalen Verordnungen sollen zunächst stets zwei Jahre gelten, um dann zu schauen, ob sie Wirkung zeigen.
Stadt Stuttgart zählt 71 beschlagnahmte Messer
In Stuttgart ist somit nun Halbzeit. Die Abteilung Sicherheit und Ordnung der Stadt Stuttgart hat auf Anfrage des SWR die bisherige Bilanz der Messerverbotszonen in Stuttgart in Zahlen aufgedröselt: 71 Gegenstände hätten Beamtinnen und Beamte seit Inkrafttreten der Waffenverbotszonen am 3. Februar 2023 beschlagnahmt - wobei die Polizei keine gezielten Kontrollen vornimmt: Alle Funde waren also salopp gesagt Beifang bei Personenkontrollen aus anderen Gründen.
In der Folge kommt die Stadt auf 70 Ordnungswidrigkeiten und eine Gesamtbußgeldhöhe von 10.800 Euro. "Die Zwischenbilanz fällt bisher positiv aus", sagt Albrecht Stadler, Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung. "Jedes in der Innenstadt mitgeführte Messer ist eines zu viel." Eine genaue Bewertung der Verbotszone erfolgt, wenn in einem Jahr am am 3. Februar 2025 die Verordnung ausläuft. Diese Beschränkung auf zwei Jahre schreibt das Land vor. Dann wird die Stadt über eine Fortführung entscheiden. Formal entscheidet der Oberbürgermeister über einen Folgeverordnung.
Polizei in Stuttgart sieht Erfolge und statistische Probleme
Auch die Stuttgarter Polizei sieht in der Messerverbotszone nach einem Jahr einen Erfolg: All die eingezogenen Messer, so ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart, hätten also nicht für Attacken eingesetzt werden können. Ob und wie der Erfolg in Zahlen zu fassen sei, werde man in einer Woche vorstellen, wenn auch die regionalen Kriminalitätsstatistiken folgen.
Generell allerdings erklärte der Polizeisprecher dem SWR: "Man kann noch keine genaue Tendenz erkennen, das müssen wir noch über einen längeren Zeitraum beobachten." Schließlich könnten schon einzelne Delikte dafür sorgen, dass die Zahlen stark schwanken. Letztlich brauche es eine längerfristige Beobachtung der Lage für eine gute Bewertung.
Polizeigewerkschaft werten Waffenverbotszone als Erfolg
Die zwei großen Polizeigewerkschaften berichten von einer positiven Resonanz der Polizistinnen und Polizisten auf die Einrichtung der Waffenverbotszone. "Soweit wir das mitbekommen haben, gibt es eine positive Bilanz", sagt Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Die Waffenverbotszone diene als weiteres Werkzeug vor allem neben den ohnehin schon geltenden Waffengesetzen, um das Problem der Messergewalt in den Griff zu bekommen.
Allerdings stiegen eben 2023 landesweit die Deliktzahlen bei Gewalttaten mit Messern. Deshalb müssten die Hürden für die Einrichtung von kommunalen Waffenverbotszonen gesenkt und weitere Bereiche einbezogen werden, etwa Busse und Bahnen. Zudem müsse grundsätzlich bei Strafrecht und Justiz angesetzt werden, so Kusterer: "Wenn jemand ein Messer einsetzt, dann muss darauf auch eine entsprechende Strafe folgen."
GdP: Forderung nach mehr Aufklärung in den Schulen
Gundram Lottmann, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zieht wie Kusterer eine positive Bilanz nach einem Jahr Waffenverbotszone in Stuttgart. Allerdings sieht er keinen Bedarf, die Hürden für die Einrichtung einer Waffenverbotszone zu senken. Er sieht auch keine prinzipielle Notwendigkeit zu einer Verschärfung im Straf- oder Waffenrecht - zumal die Kommunen bei den Waffenverbotszonen jederzeit nachschärfen könnten.
Dennoch sehe man die Entwicklung in der Kriminalstatistik "mit großer Sorge". Die Waffenverbotszonen würden in den Städten das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger erhöhen - wobei er es für statistisch schwierig hält, eine tatsächliche Verbesserung der Sicherheit auch in Zahlen zu fassen.
Jedenfalls stärke eine Waffenverbotszone auch die Zusammenarbeit von Polizei und Kommune. Aufgabe der Gesellschaft sei nun angesichts der steigenden Delikzahlen, generell das Gewaltpotential in der Bevölkerung zu senken. Das müsse beispielsweise in den Schulen verstärkt angegangen werden.