Lautes Johlen, Polizeikräfte in Kampfmontur und eine aufgeheizte Stimmung: Vor zwei Wochen hatte die AfD in der Stuttgarter Innenstadt demonstriert, was auch viele Gegendemonstrationen auf den Plan gerufen hat. Solche Situationen sieht der Einzelhandel in Stuttgart als Problem. "Da geht niemand gerne einkaufen", sagt Thomas Breuninger dem SWR. Er führt das Haushaltswaren-Geschäft Tritschler am Marktplatz gegenüber des Stuttgarter Rathauses.
Händler: Demonstration führt zu Einbußen im Handel
Am 12. November hatte die AfD eine Kundgebung auf dem Stuttgarter Marktplatz veranstaltet. Diese rief eine Vielzahl an Gegendemonstranten auf die Straße. Lautstark protestierten Hunderte gegen die AfD. Die Polizei setzte auf starke Präsenz, um für Sicherheit zu sorgen.
Zu Ausschreitungen kam es nicht. Doch kaum ein Kunde besuchte die Geschäfte ringsum. "Seit die Vorbereitungen für die Demonstration losgingen, hatten wir nur noch rund 50 Prozent der Kunden, die wir sonst haben", sagt Thomas Breuninger. "Und das an einem superwichtigen Verkaufssamstag mitten im November."
Er fragt sich, ob diese Demonstration nicht an einen anderen Ort hätte verlegt werden können. Bereits im Voraus hatte er in einem Schreiben an die Stadt vorgeschlagen, die Demonstration auf den Cannstatter Wasen zu verlegen.
Stadt Stuttgart: Verantwortung liegt bei Veranstaltern
Die Rechtslage erlaube es allerdings nicht, die Demonstration an einen anderen Ort zu verlegen, entgegnet die Stadt. Im SWR-Interview erklärte der Stuttgarter Sicherheitsbürgermeister Clemens Maier, dass eine Verlegung der Demonstration an einen anderen Ort ein Teilverbot darstellt. Dies sei ein schwerer Eingriff ins Versammlungsrecht. Bereits kurz nach der Demonstration hatte sich Maier unglücklich gezeigt über Zeitpunkt und Ort, an dem die Demo stattfinden sollte.
Die Stadt spreche zwar mit den Veranstaltern darüber, welcher Ort in Frage käme - auch im Hinblick auf Störungen für Anlieger. Schlussendlich liege die Verantwortung aber bei den Veranstaltern. Diese müssten Rücksicht auf Anlieger nehmen. Die Polizei stehe dabei insbesondere in Situationen wie der am 12. November vor der Aufgabe, Demonstranten wie Gegendemonstranten ihr Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewähren.
IHK und Breuninger fordern klares Signal der Stadt
Die Auffassung, dass die Stadt machtlos ist, teilt Thomas Breuninger nicht. Für die Verwaltung sei es möglich, zumindest zu versuchen, die Änderung des Veranstaltungsorts juristisch zu erwirken. "Und dann müssen eben Richter entscheiden", sagte Breuninger. Zumindest der Versuch würde aus seiner Sicht ein Zeichen an den Händlerinnen und Händler in Stuttgart senden. "Dann hat man sich zumindest positioniert."
Diese Ansicht teilt auch IHK-Geschäftsführerin Susanne Herre. Für sie und Breuninger ist die zusätzliche Belastung durch häufige Demonstrationen aber nur ein Problem von vielen. Auch die Menge an Baustellen sowie fehlende oder zu teure Parkplätze würden die Innenstadt unattraktiv für Kunden machen. Auch im öffentlichen Personennahverkehr werde nicht genug getan. All das sorge dafür, dass die Situation für den Einzelhandel in Stuttgart noch angespannter werde.
Einzelhandel: Weihnachtsgeschäft entscheidend für Jahresumsatz
Gerade in den Krisenzeiten, in denen sich der Einzelhandel befindet, sei das Weihnachtsgeschäft wichtig. "Das entscheidet darüber, ob wir positiv aus dem Geschäftsjahr herausgehen", sagte Breuninger. "In den eineinhalb Monaten vor Weihnachten machen wir ein Drittel unseres Jahresumsatzes." Ohne das Weihnachtsgeschäft gäbe es keinen Einzelhandel. In dieser Zeit auch nur einzelne Tage zu verlieren, stelle Händler im Moment vor existenzielle Bedrohungen.
IHK Stuttgart fordert Krisen-Unterstützung für Einzelhandel
"Uns erreichen verzweifelte Hilferufe", sagte IHK-Chefin Susanne Herre. Die Lage für den Einzelhandel sei mehr als angespannt. Viele seien noch durch die Einbußen in der Pandemie geschwächt. Zusätzlich sorge die Inflation dafür, dass weniger eingekauft werde.
Wie dramatisch die Lage ist, wird durch Geschäftsaufgaben deutlich: Kürzlich hatte Spielwaren Reiterle, das zuvor Spielwaren Kurtz hieß, angekündigt, dass es noch im November schließen wird. Es wird nicht der letzte Traditionsgeschäft sein, das schließen muss: Das Wäschegeschäft Maute Benger, das seit über 180 Jahren in Stuttgart besteht, soll im Sommer 2023 schließen.