Am Pragfriedhof in Stuttgart gibt es einen Ort zur Trauer für Eltern, deren Kinder starben, bevor sie wirklich gelebt haben - für sogenannte Sternenkinder. Hier werden sie "die Kleinsten der Kleinen" genannt. Zweimal im Jahr finden dort anonyme Trauerfeiern statt. Betreut werden diese von der Seelsorge der Stuttgarter Krankenhäuser und dem Garten-, Friedhofs- und Forstamt der Stadt Stuttgart. Hier werden "Sternenkinder" in Urnen in einer Gemeinschaftsgrabanlage beigesetzt.
Tod- und Fehlgeburten, aber auch Kinder, die bereits kurz nach der Geburt versterben, werden als "Sternenkinder" bezeichnet.
Windrädchen und bunter Schmuck auf Gräbern
Das Grabfeld "der Kleinsten der Kleinen" ist das einzige, auf dem Angehörige auch Geschenke, Schmuck und Andenken ablegen können. Deshalb sind diese Gräber häufig sehr bunt geschmückt.
Nach einer Totgeburt oder einem Schwangerschaftsabbruch, wenn das Gewicht des Kindes beziehungsweise des Fötus unter 500 Gramm liegt, besteht in Baden-Württemberg keine Bestattungspflicht. Jedes lebend geborene Kind, das nach oder während der Geburt stirbt, muss allerdings bestattet werden. Doch wie das Friedhofsamt in einem Schreiben mitteilt: "Ein Gesetz kann aber den Verlust und den Trauerschmerz der Mutter und des Vaters nicht verhindern." Deshalb ist, selbst wenn das Geborene leichter ist, eine Bestattung auf dem Pragfriedhof möglich.
"Eltern haben das Recht ihr Kind selber zu bestatten", erklärt die katholische Klinikseelsorgerin vom Klinikum Stuttgart, Christine Kaier. "Davon machen manche Gebrauch. Selbst wenn das Kind nur sieben Zentimeter klein ist", sagt sie. Dann allerdings auf eigene Kosten.
Drei neue Urnen wurden kürzlich beigesetzt
Bei der jüngsten Trauerfeier vor wenigen Tagen waren rund 120 Angehörige mehrerer sogenannter Sternenkinder. Junge Eltern zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. Eltern von absoluten "Wunschkindern", erzählt Kaier - sie hat die Trauerfeier gemeinsam mit einer evangelischen Kollegin vom Rems-Murr-Klinikum geleitet. "Ich habe in so viele Augen geschaut, in so viel Trauer und Schmerz und Tränen. Das rührt mich immer sehr an", so Kaier weiter. "Auch weil da so viele da stehen. Das sind ja so viele Einzelfamilien. Es ist gut zu spüren und zu erleben: Man ist nicht allein mit diesem Schicksal."
Drei neue Urnen wurden hier kürzlich beigesetzt: Eine aus der Frauenklinik Stuttgart, eine aus dem Marienhospital und eine aus dem Robert Bosch Krankenhaus. Bei der letzteren sind auch "Sternenkinder" aus der Bad Cannstatter Annaklinik und der Rems-Murr-Klinik dabei. Denn diese werden in den jeweiligen Pathologien der Stuttgarter Krankenhäuser gesammelt und schließlich am Pragfriedhof eingeäschert.
Grabstätte für "Sternenkinder" 2003 am Pragfriedhof Stuttgart errichtet
Im Jahr 2003 wurde die Grabstätte für "die Kleinsten der Kleinen" am Pragfriedhof errichtet. Eine Steinskulptur einer Frau mit einer Taube auf dem Arm steht im Zentrum eines Halbkreises. Man blickt als Besucher in einen Horizont, eine Sonne aus Stein ist erkennbar. Ihre Strahlen bilden die Gräber der sogenannten Sternenkinder.
Stefan Bossert ist Leiter der Abteilung Friedhöfe bei der Stadt Stuttgart, er kümmert sich auch um diese Anlage. Er ist selbst Betroffener, hatte einst ein "Sternenkind". Er kennt die Situationen der hinterbliebenen Eltern zu gut: "Es ist ein sehr schwerer Gang. Es beruhigt aber einfach zu sehen, dass man nicht alleine ist."
In seiner Tätigkeit als Friedhofsaufseher habe er Trauerfeiern für "Sternenkinder" erlebt, an denen bis zu 180 Personen teilgenommen hatten. "Man ist überrascht, wie viele Menschen das gleiche Schicksal haben, wobei jedes ein Einzelfall ist." Außerdem tue es gut, "dass man ab und zu an einen Ort gehen kann und weiß: da ist etwas".
Seit 20 Jahren ist das Vorgehen in Baden-Württemberg geregelt. Demnach ist die Klinik verpflichtet, das sogenannte Sternenkind auf würdige Weise zu bestatten, wenn die Eltern nicht selbst bestatten wollen. Die Stadt Stuttgart übernimmt, wenn die gesetzliche Regelung greift, die Kosten. Für das Garten-, Friedhofs- und Forstamt bedeutet das Ausgaben für Grabstellen, Beisetzung und Grabpflege. Diese belaufen sich auf rund 5.000 Euro pro Jahr.
Die Einrichtung der Grabstellen wurde damals unternommen, da man sich bewusst wurde: Auch Hinterbliebene von sogenannten Sternenkindern benötigen einen Ort zur Trauer. Zuvor wurden etwa Totgeburten in der Regel nicht bestattet, sondern einfach entsorgt.
20 bis 30 Prozent der Schwangerschaften gehen laut Pro Familia verfrüht zu Ende, die meisten Fehlgeburten finden innerhalb der ersten sechs Wochen statt. Rechtlich gibt es eine feine Linie zwischen Tot- und Fehlgeburten. Von einer Totgeburt spricht man, wenn das Kind vor oder nach der Geburt stirbt und mindestens 500 Gramm wiegt. Fälle, in denen das Baby vor der 24. Schwangerschaftswoche stirbt und weniger als 500 Gramm wiegt, zählen als Fehlgeburt.