Eine Fehlgeburt ist für viele Paare extrem schwer zu verkraften, die wenigsten sprechen offen darüber. Etwa 12 bis 24 Prozent aller Schwangerschaften enden mit einer Fehlgeburt, meist in den ersten drei Monaten. Und auch danach versterben Kinder noch im Bauch der Mutter, bei der Geburt oder kurz danach.
Schätzungen gehen von jährlich 8.000 bis 9.000 so genannten stillen Geburten hierzulande nach der 12. Schwangerschaftswoche aus. Offizielle Zahlen gibt es nur für Totgeburten ab der 24. Woche – und das waren im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt rund 3.400 Kinder. Unbewältigte Trauer kann - das ist nachgewiesen - die körperliche und seelische Gesundheit dauerhaft schädigen.
Die Geschichte von Alyia
Auch Alyia D. gehört zu den betroffenen Frauen. Im Januar, in ihrer 15. Schwangerschaftswoche, brachte sie ihr Kind in der Freiburger Uniklinik zur Welt. Es war nur so groß wie ihre Hand.
Seine Diagnose war das so genannte Syndrom der kurzen Nabelschnur. Die Bauchdecke war offen, ein Beinchen und der Unterkörper fehlten, das Geschlecht war nicht eindeutig erkennbar. In ein Körbchen gebettet, eingewickelt in ein Strampelsäckchen, das die Fehlbildungen verhüllte – so bekam Aliya D. ihr Kind nach der Geburt in den Arm.
Aliya D. wird all diese Details nie vergessen, denn sie hat ihr Baby kurz nach der Geburt von einem Fotografen der Initiative „Dein Sternenkind“ kostenlos fotografieren lassen. Im Jahr 2021 wurden die Fotografen 4.255 Mal zu stillen Geburten gerufen, quer durch Deutschland – fast dreizehn Mal häufiger als noch vor fünf Jahren.
Erinnerungsschätze helfen bei der Trauerbewältigung
Trauer-Forscherin Kerstin Lammer überrascht die wachsende Nachfrage nicht. Für verwaiste Eltern, sagt sie, sei es nämlich sehr wichtig, dass das gewesene Leben und der Verlust des Kindes bestätigt und gewürdigt wird. Und das kann man auf verschiedene Weisen tun.
Zum einen mit Sternenkind-Fotos. Aber auch durch Hand- und Fußabdrücke des verstorbenen Babys etwa. Das helfe Eltern, den Tod ihres Kindes zu begreifen – und sich seiner zu erinnern, sagt Lammer, Professorin für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Seelsorge, früher an der Evangelischen Hochschule Freiburg, heute an der Uni Münster. Beides – das Begreifen und das Erinnern – seien wesentliche Aufgaben während eines Trauerprozesses.
Auch ein Mützchen, eine Decke oder das Armbändchen aus dem Krankenhaus können solche Erinnerungsschätze sein. Ebenso eine Trauerfeier – und natürlich ein Grab. Meist werden Sternenkinder in speziellen Sammelbestattungen beigesetzt. Ein solches Gemeinschaftsgrab sei ihnen in Freiburg angeboten worden, erzählt Aliya D. - aber das habe sich nicht stimmig angefühlt. Schnell sei für sie klar gewesen, dass sie das nicht so machen möchte, sondern ihr Kind lieber in ihrer Gemeinde beerdigen möchte. Ziel ist es, dass die Familie immer dort hingehen kann und auch zukünftige Geschwister das Grab besuchen können.
Kommunikation mit den Eltern sei wichtig
Beistand von Freunden und Verwandten – auch das ist für trauernde Eltern wichtig. Dass Menschen da sind und die Situation mit aushalten anstatt sich abzuwenden und zu verstummen. Oft aber sei das soziale Umfeld nach dem Tod eines Babys völlig überfordert, sagt Lammer und sage dann Dinge, die gut gemeint, aber verletzend seien. Wie "Naja, du hast ja noch andere Kinder" oder " Du kannst ja noch viele Kinder haben".
Sein Beileid zu bekunden, empfiehlt Kerstin Lammer – genau wie bei älteren Verstorbenen. Und wenn man einfach keine passenden Worte findet, dann empfiehlt die Expertin das auch auszusprechen.
Stille Geburt?
Gerade Sternenkind-Fotos einer kleinen Hand oder eines Füßchens könnten dem sozialen Umfeld eine Brücke zu den verwaisten Eltern bauen: Das beobachtet Oliver Wendlandt, Sprecher der Fotografen-Initiative „Dein Sternenkind“, immer wieder. Oft hätten Freunde, Kollegen oder Verwandte nämlich keinerlei Vorstellung davon, was eine stille Geburt für die Eltern tatsächlich bedeute.
Der abstrakte Begriff wird dann mit dem Bild von diesem Kind verständlich gemacht. Das Umfeld gehe dann anders um mit den Eltern. Das Umfeld verstehe dann auch, warum die Eltern trauerten, sagt Wendlandt.
Aliya D. ist sehr dankbar für ihre Sternenkindfotos. Täglich, sagt sie, schaue sie die Bilder an – auch wenn das jedes Mal wieder weh tue. Es braucht Zeit den Tod ihres Kindes zu verarbeiten. Und irgendwann will sie die Bilder auch Freunden und Verwandten zeigen. Denn ihr Sternenkind bleibe für immer ihr erstes Kind.