Urteile könnten angezweifelt werden

Wahl der Schöffen in BW: Umstrittene Bewerber und Probleme im Ablauf

Stand
Autor/in
Natalie Meyer
Kai Laufen

Bei der Schöffenwahl in BW ist es nach SWR-Recherchen zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Zudem haben offenbar politische Extremisten versucht, sich als Kandidaten aufstellen zu lassen.

Fünf Jahre ist die letzte Schöffenwahl her und offenbar hat sich seitdem einiges verändert in Deutschland: Herrschte damals noch ein Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern, berichten dieses Jahr viele Kommunen Baden-Württembergs auf SWR-Anfrage vom Gegenteil: So umfasst beispielsweise die in Karlsruhe ausgelegte Vorschlagsliste 701 Namen - zu besetzen sind aber nur 150 Schöffenämter. Nun obliegt es den Wahlausschüssen der zuständigen Amtsgerichte, im September die passenden Kandidatinnen und Kandidaten von den Vorschlagslisten auszuwählen.

Um einem möglichen Mangel an Bewerbern zuvorzukommen, hatte die Stadt Karlsruhe die Bevölkerung öffentlichkeitswirksam aufgefordert, sich zur Wahl zu stellen oder Vorschläge einzureichen - und das Interesse am Amt des Laienrichters ist offenbar wieder gewachsen. Oder sind die vollen Listen das Ergebnis der Werbekampagnen von sogenannten Querdenkern und rechtsextremistischen Kreisen, sich auf das Schöffenamt zu bewerben?

Zweifel an Verfassungstreue der AfD-Kandidaten in Offenburg

Auch in Offenburg hatte man noch bei der letzten Wahl vor fünf Jahren Mühe, alle zu vergebenden Ämter zu besetzen. Doch anders als in Karlsruhe hatte die Stadtverwaltung hier vor allem die Fraktionen im Gemeinderat dazu aufgefordert, Kandidatinnen und Kandidaten vorzuschlagen. Dem kamen die Fraktionen auch nach - inklusive der AfD, die eine Liste mit sechs Namen einreichte.

Aber weil die Verwaltung diese Liste entgegen den Wahlvorgaben schon veröffentlicht hatte, bevor der Gemeinderat über sie beraten hat, kamen die Namen der drei AfD-Kandidaten an die Öffentlichkeit und riefen Protest hervor - sowohl aus der Zivilgesellschaft, als auch von Gemeinderäten - denn es wurden Zweifel an der Verfassungstreue der AfD-Kandidaten laut. So hatte sich einer von ihnen zum sogenannten Flügel der AfD bekannt, ein weiterer hatte sich während der Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit mit einem Judenstern mit der Aufschrift "ungeimpft" gezeigt, während der Dritte zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er als Mediziner falsche Maskenatteste ausgestellt hatte. Verfassungstreue ist aber eine Grundvoraussetzung für das Schöffenamt, das hat das Bundesverfassungsgericht 2008 bestätigt.

Stadt Offenburg widerspricht Darstellung

In Reaktion auf die SWR-Berichterstattung, weist die Stadt Offenburg die Darstellung zurück, sie hätte die Kandidatenliste erst veröffentlichen dürfen, nachdem sie vom Gemeinderat beschlossen wurde: "Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wer aus ihrer Gemeinde zum Schöffen berufen wird und wie diese Entscheidung zustande gekommen ist. Die veröffentlichten reduzierten Informationen (Name/Wohnort/Beruf/Alter) entsprechen dabei den Kriterien des Gerichtsverfassungsgesetzes und dienen dazu, die Ratsmitglieder, aber auch die Öffentlichkeit, darüber zu informieren, wer Schöffe werden möchte."

Andreas Höhne, Sprecher des Bundesverbands der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter hält das Vorgehen der Offenburger Stadtverwaltung für problematisch: "Die Gefahr ist da ganz klar: Wenn sich die Leute bewerben, dann haben wir solche Leute auch auf den Sesseln sitzen. Auf den Kommunen liegt schon eine richtige Verantwortung, denn die schauen drüber: Ist der als Schöffe denn tragbar?"

Anti-Rassismus-Bündnis äußert sich besorgt

Das Bündnis "Aufstehen gegen Rassismus" warnt im SWR-Magazin "Zur Sache Baden-Württemberg" (Donnerstag, 15.6., 20:15 Uhr, SWR Fernsehen): "Wenn solche Leute dann aufgrund ihres Schöffenamts Einsicht bekommen in Akten, in Adressen, in familiäre Situationen, in finanzielle Situationen von Angeklagten, dann gibt das ein Stück weit Macht."

Wegen der öffentlichen Kritik hat der Offenburger Gemeinderat die Abstimmung über die Kandidatenliste verschoben. Vorfälle wie in Offenburg sind bundesweit kein Einzelfall. Auch in Emmerich in Nordrhein-Westfalen stehen zwei AfD-Kandidaten auf der Vorschlagsliste.

Die rechtsradikale Partei "Freie Sachsen" ruft ihre Anhänger bei Telegram dazu auf, sich als Schöffen zu bewerben.
Die rechtsradikale Partei "Freie Sachsen" hat ihre Anhänger bei Telegram dazu aufgerufen, sich als Schöffen zu bewerben.

Aufrufe rechter Gruppierungen in Social-Media-Kanälen

Bereits vor der Wahl hatten rechte Gruppierungen in Social-Media-Kanälen Mitglieder dazu motiviert, Schöffin beziehungsweise Schöffe zu werden. So riefen die "Querdenker Schwäbisch Hall“ auf Telegram dazu auf, sich für das Schöffenamt zu bewerben. Auf der Telegram-Seite "Stuttgart Widerstand", die unter anderem für Demos der "Querdenker" wirbt, wurden entsprechende Wahlaufrufe der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen" geteilt.

Ein Aufruf des Anwalts Markus Haintz an die Mitglieder der Telegram-Gruppe Querdenken (791 - Schwäbisch Hall), sich als Schöffen zu bewerben.
Auch der "Querdenker"-Anwalt Markus Haintz rief bei Telegram dazu auf, sich als Schöffe zu bewerben.

Tatsächlich berichten viele Gemeinden von deutlich höheren Bewerberzahlen als bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren. Ein direkter Zusammenhang mit den Aufrufen in bestimmten politischen Kreisen ist aber nicht erkennbar. Claudia Kitzig vom Landesverband der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen e.V. glaubt an den Erfolg der eigenen Werbekampagne, die unter dem Motto "Wir schöffen das" lief. Die langen Vorschlagslisten stellten die Kommunen in diesem Jahr "vor neue Herausforderungen".

Unsicherheiten beim richtigen Wahlverfahren

Insgesamt müssen in Baden-Württemberg rund 7.000 Stellen für Laienrichterinnen und -richter neu besetzt werden. Das Wahlverfahren sieht vor, dass den Gemeindeverwaltungen Vorschläge genannt werden, die diese dann auf die Mindestanforderungen hin überprüfen. So müssen Kandidatinnen oder Kandidaten in der jeweiligen Gemeinde gemeldet sein, sie dürfen nicht jünger als 25 und nicht älter als 70 Jahre alt sein, dürfen nicht zu Freiheitsstrafen von mehr als sechs Monaten verurteilt und ihre Amtsfähigkeit nicht verloren haben. Nach der formalen Prüfung durch die Verwaltung beschließt der Gemeinderat die Kandidatenliste, die danach öffentlich ausgelegt wird. Erfolgt kein Widerspruch, geht die Liste an die Wahlausschüsse der Amtsgerichte, die dann Haupt- und Ersatzschöffen für Amts- und Landgericht in allgemeinen und für Jugend-Strafsachen auswählt.

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Allerdings gab es nach SWR-Recherchen nicht nur in Offenburg Fehler im Wahlverfahren. Auch in Gerlingen (Kreis Ludwigsburg) wurde die Liste zu früh veröffentlicht. Und in Ingersheim (Kreis Ludwigsburg) verlief die Wahl intransparent: Eine Bewerberin, die vom Gemeinderat nicht berücksichtigt wurde, beklagt gegenüber dem SWR, die Auszählungsergebnisse seien nicht mitgeteilt worden, sondern nur die Endergebnisse der Wahl. Die Gemeinde Ingersheim weist den Vorwurf zurück, räumt aber rechtliche Unsicherheiten ein. Dass die Wahl nicht optimal durchgeführt wurde, finden aber auch zwei der Gemeinderäte.

Experte warnt: Urteile könnten in Frage gestellt werden

Jürgen Fleckenstein, Experte für Kommunales Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl meint, er könne nachvollziehen, "dass die Gemeinden in dem Fall sagen, wir hätten gern ein bisschen mehr Informationen an der Hand, damit wir das auch rechtssicher machen können." Wenn der Wahlvorgang nicht an den Bewerberandrang angepasst werde, befürchtet Fleckenstein Folgen für die Justiz. Urteile könnten dann in Frage gestellt werden, wenn man Zweifel an der Verfassungstreue der Schöffen habe.

Justizministerium will später über Änderungen im Wahlverfahren entscheiden

Das baden-württembergische Justizministerium bestätigt auf SWR-Anfrage: "Vereinzelt auftretende Probleme können bei einem Verfahren, das die Gemeinden nur alle fünf Jahre durchführen, selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden." Ob man an dem Wahlprozedere etwas ändern müsse, wolle man erst nach der Wahl prüfen - wenn die Schöffen schon im Amt sind.

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