Trommelwirbel im Pflegeheim in Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Einige Bewohner des Heims sitzen im Rollstuhl am runden Esstisch und klopfen mit den Zeigefingern auf die Tischkante. Auch die 92-jährige Erna Sigloch trommelt fleißig mit. Sie ist dement und hat ein Zimmer im Heim. Eine Therapeutin animiert die Bewohner zum Mitmachen. Bewegungstherapie im Pflegeheim im Schelmenholz. Im Heim gilt nicht nur das Prinzip "satt und sauber". Es gibt verschiedene Beschäftigungsangebote und auch ein wenig Kultur - heute wird noch eine Musikerin auf ihrer Harfe für die älteren Semester spielen.
Mit jedem Lebensjahr schmilzt das Vermögen
Das Pflegeheim in Winnenden will ein Vorzeige-Haus sein - und ist begehrt. "Hier einen Platz zu finden, das ist dann einfach nur möglich, wenn wieder jemand von den Bewohnern verstirbt", fasst es Erna Siglochs Sohn Volker zusammen. Und die Heimplätze sind nicht nur rar, sondern auch teuer. Der Eigenanteil hier in Winnenden liegt oft bei über 3.000 Euro im Monat. Viele werden zu Sozialhilfeempfängern, weil sie die Kosten aus eigener Tasche nicht stemmen können.
Der 88-jährige Klaus Pieper hat Glück gehabt. Als Handwerker mit eigenem Betrieb hat er genügend beiseitelegen können und hat selbst ein Haus gebaut. Eigentlich wäre er gerne in seinem Eigenheim alt geworden - jetzt sitzt er hier in seinem Zimmer im Rollstuhl und schaut die Nachrichten, die gerade auf dem Fernseher flimmern. Laufen kann er nicht mehr, auch sich selbst anzuziehen und eigenständig ins Bett zu gehen ist ein Problem. Deswegen braucht er die Hilfe der Pflegekräfte und hat hier jetzt sein kleines Reich - ein teures, wie er sagt.
Er macht sich Sorgen um das Vermögen, das er sein Leben lang aufgebaut hat. Mit jedem weiteren Lebensjahr schmilzt es dahin. Trotzdem hofft er, dass er noch eine Weile lebt: "Ich kann ja nicht sagen, lasst mich sterben, damit ihr noch ein bisschen Vermögen erbt", sagt Pieper.
Pflege ist teuer und die Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Kosten ab. Die selbst zu zahlenden Anteile für Pflegebedürftige im Heim sind im vergangenen Jahr weiter gestiegen - in Baden-Württemberg auf durchschnittlich 3.180 Euro pro Monat im ersten Jahr im Heim. Das hat eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen vdek Anfang Juli ergeben. Damit ist Baden-Württemberg nach Nordrhein-Westfalen bundesweit Spitzenreiter. Deutschlandweit liegt der Schnitt bei 2.871 Euro.
"Das ist menschenverachtend"
Der Rentner Ralf Schütt beklagt vor allem die Qualität der Versorgung. Er war selbst ein Leben lang Altenpfleger und auch seine Mutter Maria hat in einem Pflegeheim gearbeitet. Vor drei Jahren ist sie gestorben. Ralf Schütt will nicht hinnehmen, wie unwürdig das Leben seiner Mutter seiner Ansicht nach zu Ende ging. Sie war dement und in einem Heim in Nordbaden untergebracht. Seine Besuche dort waren für ihn ein Schock: "In diesem Raum saß meine Mutter ganz allein, krumm und schief in einem Rollstuhl. Mit diesem verschmutzen Pullover, mit dieser Hose, die nicht passte."
Bei einem der Besuche sei eine Urinlache unter dem Rollstuhl gewesen, obwohl ihre Windel zwei Liter fasst. "Die ganze Hose nass, der Pullover nass, der Rollstuhl nass. Das ist menschenverachtend. Da hat keine von diesen Pflegekräften stundenlang nach meiner Mutter geguckt", vermutet Schütt. Seine Mutter sei im Heim immer mehr verwahrlost. Maria Schütt starb bald darauf. Nach Schilderung ihres Sohnes an einer unentdeckten Lungenentzündung. Ralf Schütt schaltete die Staatsanwaltschaft ein - bisher ohne Erfolg.
Viele Menschen haben anscheinend Angst, sich zu beschweren
Solche Fälle kommen selten in die Öffentlichkeit, meint Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund. Zu groß sei die Abhängigkeit von den Heimen. "Tatsächlich ist es so, dass viele Menschen, die von Pflege abhängig sind, Angst haben, sich zu beschweren. Denn die Hand, die mich pflegt, die beiße ich nicht", so Kempchen. Die Pflegebedürftigen könnten ja auch nicht einfach das Heim verlassen, wenn die Zustände nicht zu ertragen seien. Sie hätten keine Wahl.
Wie oft solche Fälle in der Pflege oder konkret in Pflegeheimen genau vorkommen, kann auch der Pflegeschutzbund nicht sagen. Im Jahr 2023 hatte die Interessensvertretung für Pflegebetroffene deutschlandweit insgesamt rund 6.800 Beratungen - bei einem Großteil davon geht es um finanzielle Probleme. Aber es gab eben auch 970 Beratungen zu Pflegemängeln. Also zu Themen, die eigentlich in der Pflege nicht vorkommen dürften: zum Beispiel falsche Medikation, vermeidbare Stürze, Wassermangel, Druckstellen, Gewalt und Verwahrlosung.
Noch dazu würden die Bewohner in Pflegeheimen auch immer wieder darunter leiden, dass sich niemand um sie kümmere, wenn sie nicht angesprochen und beschäftigt werden. Wenn die sozialen Kontakte verkümmern, sagt Kempchen, "dann ist die Lebenserwartung der Menschen auch einfach niedriger".
Wohngruppen in Pflegeheimen als eine Lösung
Bernhard Schneider, Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, ist überzeugt, dass dies nicht der Alltag in den Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg oder der Heimstiftung ist. In der SWR-Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg" sagte er: "Der Alltag ist, dass es dort sehr viele hochengagierte, hochprofessionelle Pflegekräfte und Betreuungskräfte gibt, die jeden Tag aufs Neue ihr Bestes geben und die dafür sorgen, dass es solche Situationen nicht gibt." Dazu komme, dass sich Pflegeheime in den letzten Jahren stark weiterentwickelt hätten. In vielen Heimen gebe es sogenannte Wohngruppenkonzepte. In den Wohngruppen gebe es Begleitpersonen für den Alltag der Bewohner. Damit könne verhindert werden, dass Pflegebedürftige in den Heimen verwahrlosen würden.
Der ehemalige Elektroinstallateur Klaus Pieper jedenfalls ist mit seinem Heim in Winnenden sehr zufrieden. Für ihn sei das Pflegeheim im Schelmenholz jetzt eben sein Kosmos, sagt er. Aber er spürt auch den Zeitdruck in seinem neuen Zuhause. Wenn die Pflegekräfte ihn zum Beispiel morgens aus dem Bett holen, merke er: "Die haben es dann auch eilig, weil der Nächste schon läutet und die sollten dann schon wieder beim Nächsten sein."