Der Messerangriff auf dem Mannheimer Marktplatz (am 31. Mai) hat nicht nur in der Stadt, sondern auch bundesweit große Betroffenheit ausgelöst. Dabei erlag ein Polizist seinen Verletzungen. Tatverdächtig ist ein 25 Jahre alter gebürtiger Afghane, der seit 2014 in Deutschland lebt. Er hatte den Beamten mit dem Messer schwer verletzt. Ursprüngliches Ziel des Angreifers waren mutmaßlich Menschen eines Infostands der islamfeindlichen Bürgerbewegung "Pax Europa".
Viele sind über die Tat und den Tod des Polizisten bestürzt, aber auch verunsichert. Am kommenden Sonntag (9. Juni) stehen die Kommunal- und Europawahlen an. Inwiefern können sich Ereignisse wie dieses in Mannheim auf die Ergebnisse der Wahlen auswirken? Unter anderem diese Frage haben wir dem Mannheimer Soziologen Marc Helbling gestellt.
Marc Helbling forscht im Rahmen einer Studie, in der es darum geht, wie Emotionen das Wahlverhalten beeinflussen. Für das Bundesinnenministerium ist er außerdem Sachverständiger für Migration und Integration.
SWR Aktuell: Der Messerangriff und Tod des Polizisten hat in Mannheim viele Menschen bestürzt und beunruhigt. Viele haben auch einfach Angst. Wie können sich diese Emotionen auf die anstehenden Kommunal- und Europawahlen auswirken?
Marc Helbling: Ich kann mir schon vorstellen, dass der Vorfall in Mannheim einen Einfluss hat und dass gerade Menschen, die noch keine klare Partei-Präferenz hatten, jetzt davon beeinflusst werden. Vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass es sich offenbar hier um eine Person handelt, die schon länger hätte ausgewiesen werden sollen und deren Asylantrag abgelehnt wurde. Wir wissen, dass nicht unbedingt immer Anschläge an sich eine Rolle spielen, sondern auch die Frage, wer dafür verantwortlich ist und wie man das hätte verhindern können. Und wenn klar wird, es hätte Möglichkeiten gegeben, das zu verhindern, dann hat das natürlich nochmal einen stärkeren Einfluss darauf, wie man die verantwortlichen Parteien sieht.
SWR Aktuell: Können Sie mögliche Auswirkungen konkret vorhersagen?
Marc Helbling: Es ist natürlich schwierig, das überhaupt irgendwie in Zahlen zu fassen, weil es verschiedene Komponenten gibt. Tatsache ist aber natürlich, dass in solchen Situationen Ängste geschürt werden. Menschen fühlen sich unsicher und haben das Gefühl, dass die Politik nicht mehr die Kontrolle hat und das führt natürlich dann zu einer Unterstützung von Parteien, die zumindest von sich behaupten, dagegen vorzugehen. Zum Beispiel mit restriktiverer Einwanderungspolitik. Allerdings gibt es auch Leute, bei denen eine entgegengesetzte Wirkung eintritt. Die wenden sich dann von Parteien ab, die solche Vorfälle wie in Mannheim instrumentalisieren.
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Ein aus Afghanistan stammender Mann verletzte am Freitag in Mannheim mit einem Messer einen Polizisten so schwer, dass er später im Krankenhaus starb. Nun klärt sich das Tatmotiv.
SWR Aktuell: Sie forschen gerade zusammen mit weiteren Wissenschaftlern an der Mannheimer Universität zu der Frage, wie Emotionen unser Wahlverhalten beeinflussen. Was können Sie uns dazu schon sagen?
Marc Helbling: Emotionen beeinflussen unsere Einstellungen zu allen möglichen Themen. Wir wissen aus verschiedenen Studien und forschen gerade auch genauer daran, wie mit bestimmten Themen Ängste geschürt werden und welche Auswirkungen das dann auf unser Wahlverhalten hat. Gerade Angst kann erklären, wieso wir gewisse Parteien bevorzugen. Denn häufig wählen wir Parteien, von denen wir das Gefühl haben, dass sie das Thema, das uns Angst macht oder emotional beschäftigt, unter Kontrolle bringen kann. Zum Beispiel Umwelt oder Migration.
SWR Aktuell: Kennen Sie Beispiele, wie sich bestimme Ereignisse konkret in anschließenden Wahlen widergespiegelt haben?
Marc Helbling: Vor 20 Jahren gab es die Anschläge in Madrid, drei Tage vor den Wahlen in Spanien. Das hat dazu geführt, dass die Spanier eine rechtskonservative Regierung abgewählt haben und eine sozialdemokratische Regierung an die Macht kam. Das zeigt eben, dass es nicht nur darum geht, ob es sich um eine rechte oder linke Partei handelt, sondern auch wer an der Macht ist und es also eventuell hätte verhindern können, also: wer für ein Geschehen verantwortlich gemacht werden kann. In einem solchen Kontext kann das sogar Wahlen entscheiden.