Das Vogelgrippe-Virus "H5N1" breitet sich unter immer mehr Tierarten aus. In den USA sind jetzt erstmals Milchkühe mit dem Erreger infiziert worden. In aktuell 129 Herden wütet das Virus - in zwölf verschiedenen Bundesstaaten. Die Fachwelt zeigt sich alarmiert. Mediziner Christian Drosten von der Berliner Charité warnte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sogar vor einer möglichen neuen Pandemie. Wie groß ist die Gefahr wirklich? Darüber hat SWR Aktuell mit dem Heidelberger Virologen Hans-Georg Kräusslich gesprochen.
SWR Aktuell: Herr Professor Kräusslich - wie schätzen Sie die Lage ein? Droht uns durch das Vogelgrippe-Virus eine neue Pandemie?
Hans-Georg Kräusslich: Die Aussage, dass das Virus eine neue Pandemie auslösen kann, ist natürlich richtig. Aber es ist unklar, ob und wie wahrscheinlich das ist. Wir sollten jetzt nicht in Panik verfallen. Wir kennen das Vogelgrippe-Virus "H5N1" seit über 25 Jahren. Dabei hat es immer wieder Übertragungen von Tieren auf den Menschen gegeben. Aber der Erreger hat sich in dieser Zeit nicht so weit an den Menschen angepasst, dass es zu einer Verbreitung von Mensch zu Mensch gekommen wäre.
SWR Aktuell: Wo konnte das Vogelgrippe-Virus denn schon überall nachgewiesen werden?
Kräusslich: "H5N1" ist zunächst nur in Geflügelzuchtbetrieben aufgetreten, vor allem in Asien. Später entdeckte man den Erreger bei Wildvögeln, zum Beispiel bei Zugvogel-Populationen. Dann bei allen möglichen anderen Tieren - etwa bei Katzen und Bären. Und jetzt eben auch bei Milchkühen. Der Erreger passt sich also immer weiter an. Aber einen aktuellen Grund zur besonderen Beunruhigung sehe ich nicht. Dennoch sollten wir die Entwicklung sehr, sehr aufmerksam beobachten.
SWR Aktuell: Wenn sich Menschen mit "H5N1" infizieren, wie sind die Krankheitsverläufe?
Kräusslich: Wenn das Virus von Geflügel auf den Menschen übertragen wird, sind die Verläufe oft sehr schwer - manchmal sogar tödlich. Weltweit sind bislang rund 900 Fälle bekannt. Etwa 50 Prozent der Infizierten sind daran gestorben. Allerdings waren es immer Übertragungen auf Menschen, die sehr eng mit dem Geflügel zusammenlebten. Die Infektionen, die jetzt zuletzt in den USA aufgetreten sind, in Milchviehbetrieben, haben im Gegensatz dazu nur sehr, sehr milde Verläufe. Das heißt, es ist abhängig vom Stamm. Wenn sich wirklich ein Erreger an den Menschen anpasst, können wir nicht vorhersagen, in welche Richtung sich das entwickeln wird.
SWR Aktuell: Wie sollte man im Hinblick auf das Vogelgrippe-Virus weiter verfahren?
Kräusslich: Ich glaube, das Wichtigste ist, aufmerksam zu beobachten, wie sich der Erreger verändert. Wo genau wir Infektionen haben und dann in den tierischen Populationen nachzuschauen. Beim Menschen gibt es ja keine oder nur sehr, sehr wenige Fälle. Gibt es Veränderungen? Gibt es Anpassungen, die es wahrscheinlicher machen, dass Arten auf den Menschen übergehen können? Gleichzeitig gilt, dass die Vorbereitung auf mögliche künftige Szenarien sinnvoll ist. Beispielsweise durch Masken oder entsprechende Überwachungssysteme. Wir sollten vorbereitet sein. Aber es gibt überhaupt keinen Grund zu dramatisieren oder die nächste Pandemie vorherzusagen.
SWR Aktuell: Ist das Vogelgrippe-Virus eigentlich schon in der Rhein-Neckar-Region aufgetreten?
Kräusslich: Es gab in den vergangenen Jahren immer mal wieder Einzelfälle in verschiedenen Bundesländern, auch in der Region. Vögel, die sich mit "H5N1" infiziert hatten. Eine besondere Gefahr ging davon aber nicht aus. Aber es empfiehlt sich nach wie vor, wenn man irgendwo tote Vögel finden sollte, diese nicht anzufassen.