Es sind vorwiegend Männer, die im Internet versuchen, Minderjährige oder junge Volljährige gezielt zu manipulieren. Beim Cybergrooming erschleichen sich die Täter das Vertrauen von Mädchen und Jungs im Internet. Sie führen sexualisierte Chats, versuchen pornographische Bilder zu sammeln. Häufiger kommt es auch zu Treffen im realen Leben - so wie beim aktuellen Prozess vor dem Landgericht Mannheim. Die Polizei bestätigt auf SWR-Anfrage eine Zunahme der Fälle.
SWR Aktuell hat mit der Mannheimer Kriminalhauptkommissarin Tanja Kramper gesprochen, die auch Geschäftsführerin des Vereins Kommunale Kriminalprävention Rhein-Neckar ist.
SWR Aktuell: Warum hat das Phänomen Cybergrooming zugenommen?
Tanja Kramper: Das liegt auch daran, dass wir uns immer mehr in der digitalen Welt bewegen. Gerade nach Corona hatten wir steigende Zahlen.
SWR Aktuell: Wie läuft Cybergrooming ab?
Kramper: Meistens gehen die Täter nach einem bestimmten Schema vor. Grob zusammengefasst: Sie bauen ein Vertrauensverhältnis zu diesen jungen Menschen aus. Sie suchen sich die Betroffenen aus. Dann wird erst einmal ganz banal über alltägliche Dinge gesprochen. In den ersten Schritten fängt man auch an, vielleicht anzügliche Bemerkungen zu machen - mal ein Witz -, um zu gucken, wie offen ist denn mein Gegenüber. Sie kommunizieren total geschickt und manipulativ. Man tauscht sich über Gemeinsamkeiten aus, weil die Täter vorgeben im gleichen Alter zu sein.
Sie entlocken den Opfern möglichst viele Infos, damit sie daran wieder anknüpfen können. Die Beziehung wird gepflegt, so dass der Eindruck einer ganz exklusiven Verbindung entsteht und man nur mit dieser Person Geheimnisse teilen kann. Das Vertrauen in Familie und Freunde schwindet dann total.
Außerdem findet eine Art Risikobewertung statt. Die Täter wollen wissen: Benutzt du eigentlich das Handy oder den Computer allein? Wie arbeiten deine Eltern? Hast du Geschwister im Haus? Und dann kommt es zum Thema sexueller Missbrauch.
SWR Aktuell: Das Ziel der Täter ist also immer, sich mit ihren Opfern in der realen Welt zu treffen?
Tanja Kramper: Das physische Treffen ist nicht immer das Ziel. Das kann das Endziel des Täters sein, aber häufig reicht es ihm vielleicht auch schon, kinderpornografisches Material zu generieren. Weil das Gegenüber zum Beispiel Fotos und Videos macht oder es zum Cybersex kommt. Zum Beispiel auf einer Videoplattform, wo man spricht und sich dann auszieht. Mit dem Material kann die Tätergruppierung auch Geld machen. Die Daten kann ich ins Darknet stellen und mit anderen tauschen.
SWR Aktuell: Wenn wir in die Täteranalyse gehen, lässt sich da ein Tätertypus erkennen?
Kramper: Tatsächlich nicht. Wir haben Familienväter, wir haben ganz hochrangige Personen - das Phänomen gibt es in allen Schichten. Es können Menschen sein, die Probleme mit dem Selbstbewusstsein haben, Probleme mit Frauen. Häufig geht es den Tätern nicht nur um Pädophilie, also die sexuelle Befriedigung, sondern um Dominanz und Macht.
SWR Aktuell: Wie kann man sowas verhindern?
Kramper: Prävention ist der beste Ansatz. Wir müssen uns alle an die Nase packen. Wir als Polizei arbeiten in der Prävention mit Kindern zusammen, aber vor allem auch mit Erwachsenen und Eltern. Die Dunkelziffer ist vermutlich auch so hoch, weil das Thema mit Scham verbunden ist. Kinder und Jugendliche denken oft, sie haben selbst Schuld daran - das ist nicht so! Schuldig sind die Erwachsenen, die diese Manipulation vornehmen.
Also ist es wichtig, Kinder in ihrem Selbstbewusstsein für Straftaten zu stärken. Sie an der Hand zu nehmen und auch ins Internet zu begleiten. Beim Schwimmkurs werfen wir unsere Kinder auch nicht einfach ins Wasser und sagen: Schwimm! Und zuletzt, sollten wir auch selbst Vorbild sein und zum Beispiel gut überlegen, was wir im Internet veröffentlichen.
SWR Aktuell: Sie sagten, die Dunkelziffer sei hoch. Wie fliegt denn so etwas überhaupt auf, damit es zum Beispiel zu einem Prozess wie in Mannheim kommen kann?
Kramper: Es gibt zwei Wege: Zum einen haben wir Cyber-Crime-Experten im Land und bundesweit im Einsatz, die sich in diesen Netzen bewegen. Sie dürfen dort nicht aktiv tätig werden, aber sie beobachten. Allein der Versuch, also die Anbahnung mit einem Kind in diese sexuelle Richtung, ist schon eine Straftat. Zum anderen: Wenn sich Kinder oder Jugendliche an Erwachsene, Erziehungsberechtigte - egal wen - wenden und Anzeige erstatten.
Das Interview führte Christian Scharff.