Zehntausende Landwirte protestieren seit Montag auch in Baden-Württemberg für die Rücknahme der geplanten Kürzungen bei den Agrarsubventionen. Aufgerufen zu den Protesten hat der Deutsche Bauernverband, doch nicht alle Landwirtinnen und Landwirte in Baden-Württemberg stehen hinter ihnen.
Im Gegenteil: Für Bärbel Endraß, Bäuerin aus Wangen im Allgäu (Kreis Ravensburg), gehen die Forderungen nicht weit genug. Sie findet, dass vieles fehle und es zu stark um den Agrardiesel gehe. "Der Bauernverband ruft mit markigen Worten zum Protest auf, lenkt aber von verfehlter Agrarpolitik ab", kritisiert Endraß, die auch stellvertretende Vorsitzende des baden-württembergischen Verbandes der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) ist.
Mehr finanzielle Mittel für Agrarpolitik
Ihre Kritik am Bauernverband geht noch weiter. Er habe die Agrarpolitik in den letzten Jahrzehnten verfehlt. Das Geld wäre an große Betriebe und in die Industrie geflossen. Dabei wären die sozialökonomischen Aspekte vom Bauernverband außen vor gelassen worden, so Endraß.
Endraß sagte am Mittwoch dem SWR: "Wir brauchen eine Änderung der Agrarpolitik, einen Umbau des agrarpolitischen Systems. Wir Bäuerinnen und Bauern brauchen Hilfen beim Umbau der Landwirtschaft zu mehr sozialer Gerechtigkeit, zu mehr ökologischer Landwirtschaft mit mehr Tierwohl. Da brauchen wir auch Gelder, die anders verteilt werden müssen."
Bäuerin: "Probleme jetzt angehen"
Die 58-Jährige aus Wangen im Allgäu betreibt gemeinsam mit ihrem Mann einen Biobauernhof. Zurzeit haben sie 1.200 Hühner. "Es waren auch schon 3.000, aber wir waren wirtschaftlich gezwungen zu reduzieren." Subventionen bekomme ihr Betrieb so gut wie keine, erzählt Endraß. Dass durch die Bauernproteste ihre Branche eine große Aufmerksamkeit bekommt, findet die Agraringenieurin prinzipiell gut.
Die Proteste seien außerdem unterwandern worden, so Endraß. "Da steigen andere auf mit ganz anderen Intentionen. Da hat der Bauernverband zu lange zugeschaut," kritisiert sie. Auch ihre Kollegin aus Amtzell (Kreis Ravensburg), Gudrun Schmoll-Emperle, sieht das so. Die Landwirtin hat einen kleinen Mischbetrieb aus Acker- und Viehwirtschaft: Auf 11 Hektar baut sie Getreide, Kartoffeln und Obst an. Außerdem hat der Familienbetrieb zehn Milchkühe, fünf Ziegen und Schafe. Genau wie ihre Kollegin Bärbel Endraß engagiert sich Schmoll-Emperle in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die in Baden-Württemberg nach eigenen Angaben 320 Mitglieder hat. Sie vertritt ökologische und konventionell wirtschaftende Betriebe.
Wie steht es aktuell um die Landwirte in BW? Mehr dazu gibt es in unserem Erklärvideo:
Aufforderungen wie "Die Ampel muss weg" würden gegen das eigentliche Problem laut Endraß nicht weiterhelfen. Allein durch einen Regierungswechsel würde sich nichts ändern, denn die Probleme herrschen schon lange vor der Ampel. "Wir brauchen eine fachliche Politik, die aber wirklich mutig ist und sagt 'Wir wollen den Umbau der Landwirtschaft und eine sozialökologische Wende'", sagt Endraß.
Kein Aufruf zum Protest vom kleinen Verband AbL
Die Arbeitsgemeinschaft AbL hat sich entschieden, ihre Landwirte diese Woche nicht zum Protest aufzurufen. "Darüber bin ich echt froh," sagte Landwirtin Schmoll-Emperle. Sie setze sich für ein konstruktives Miteinander ein. Die Proteste seien wie ein Schlagabtausch, eine Konfrontation. Viele Plakate und Parolen hätten sie auch abgeschreckt.
Angst vor neuen EU-Regeln zu Gentechnik
Beide Bäuerinnen machen sich Sorgen, dass die EU-Kommission die Regeln zur Gentechnik lockert. Dieses Thema sollte nach Ansicht der beiden Frauen eine größere Rolle bei den Protesten spielen. Gudrun Schmoll-Emperle sagte im Interview mit dem SWR: "Wir werben im Allgäu mit gentechnikfreier Milch. Das wäre ein Drama für uns hier, wenn die EU die strengen Regeln zur Gentechnik für Pflanzen lockern sollte."
Hintergrund ist, dass derzeit im Europaparlament um eine Position zum Vorschlag der EU-Kommission gerungen wird, die Vorschriften für den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) deutlich zu lockern. Die Mitgliedstaaten haben sich dem Vorschlag der Kommission bereits weitgehend angeschlossen. Bei der entsprechenden Abstimmung dazu hatte sich die Bundesregierung im Dezember in Brüssel enthalten.
Interview zu Protesten der Landwirte Experte zu Bauernprotesten: "Fass des Unmutes ist übergelaufen"
Enno Bahrs forscht seit vielen Jahren an der Universität Hohenheim zur finanziellen Lage von Landwirten. Im Interview erklärt er, woher der große Frust vieler Landwirte kommt.
Landwirte gehen seit Tagen auf die Straße
Seit Montag beteiligen sich viele Landwirtinnen und Landwirte an einer bundesweiten Aktionswoche. Der Deutsche Bauernverband will damit gegen die Streichung von Steuervergünstigungen für Agrardiesel vorgehen. Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums gab es am Montag 328 Aktionen im Land. Rund 25.000 Fahrzeuge seien beteiligt gewesen. Landwirtinnen und Landwirte blockierten mit ihren Traktoren Auffahrten zu Autobahnen wie zum Beispiel zur A81 in Böblingen.
In Baden-Württemberg gab es im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Landesamtes 39.085 landwirtschaftliche Betriebe - darunter waren 4.459 Betriebe mit ökologischem Landbau, also etwas mehr als zehn Prozent. Die durchschnittliche Betriebsgröße lag bei 36 Hektar. Auffällig ist, dass es im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern besonders viele kleine Betriebe gibt. Mehr als die Hälfte der Höfe bewirtschaftet nach der jüngsten Statistik eine Fläche von weniger als 20 Hektar. Die meisten Fördermittel aus Brüssel gibt es aber für Höfe mit großen Flächen.
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