Archivbild: Der Angeklagte, inzwischen suspendierte Inspekteur der Polizei in Baden-Württemberg, nimmt zu Beginn seines Prozesses im Gerichtssaal einen Ordner aus seiner Tasche.

Lange Verfahrensdauer

Trotz schwerer Vorwürfe: Ranghöchster BW-Polizist erhält weiter volle Bezüge

Stand
Autor/in
Tim Kukral
Tim Kukral ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Ermittlungen wegen Bestechlichkeit, Revision in Sachen sexuelle Nötigung - gegen den freigestellten Inspekteur der Polizei laufen weiterhin Strafverfahren. Doch die kommen nur schleppend voran.

Es ist ruhiger geworden um Andreas R., den ranghöchsten Polizisten in Baden-Württemberg, dessen mutmaßliches Fehlverhalten im November 2021 die Polizei-Affäre auslöste. Dabei ist der Fall längst noch nicht abgeschlossen. Zwar hat das Landgericht Stuttgart ihn im vergangenen Juli vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen - doch Revision ist beantragt. Seit Februar prüft der Bundesgerichtshof, ob der Prozess noch einmal neu aufgerollt wird.

Und es gibt weitere Ermittlungen. Dabei lautet der Vorwurf: Bestechlichkeit. Konkret geht es um ein Videotelefonat, das schon beim Prozess wegen sexueller Nötigung eine Rolle gespielt hat.

Bessere Aufstiegschancen durch Verhältnis mit dem Inspekteur?

Es ist ein Gespräch via Skype, zwischen Andreas R. und der jüngeren Polizistin, die ihm bis heute sexuelle Nötigung vorwirft. In dem Telefonat soll der Inspekteur der Polizei den Eindruck erwecken, es würde ihre Aufstiegschancen in den höheren Dienst der Polizei erhöhen, wenn sie sich auf ein Verhältnis mit ihm einlasse.

Die Beamtin nahm den Ton des Gesprächs heimlich mit dem Smartphone auf. Andreas R. scheiterte mit dem Versuch, zu erzwingen, dass die Polizistin wegen des heimlichen Mitschnitts angeklagt wird.

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Zwei Jahre bis Staatsanwaltschaft auch wegen Bestechlichkeit ermittelt

Der Mitschnitt liegt der Staatsanwaltschaft Stuttgart schon seit Beginn der Ermittlungen im November 2021 vor. Trotzdem dauerte es danach noch fast zwei Jahre, bis sie im Oktober 2023 auch wegen Bestechlichkeit Ermittlungen aufnahm.

Dass die Staatsanwaltschaft so viel Zeit verstreichen ließ, darüber wundert sich Sascha Binder, innenpolitischer Sprecher der SPD im Landtag, noch heute: "Ich habe mich damals schon gefragt, warum man nicht gleich auch wegen Bestechlichkeit ermittelt hat."

Zunächst Ermittlungen wegen sexueller Nötigung

Die Staatsanwaltschaft konzentrierte sich zunächst vor allem auf den anderen Vorwurf: sexuelle Nötigung. Der Vorwurf fußt auf der Aussage der Polizistin. Sie sagt, der Inspekteur der Polizei habe sie in den frühen Morgenstunden des 13. November 2021 genötigt, seinen Penis anzufassen, während er im Freien neben einer Kneipe urinierte. Das Landgericht Stuttgart sah dafür im Gerichtsverfahren keine Beweise und sprach Andreas R. frei, Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin reichten Revision ein.

In seiner Urteilsbegründung nahm das Landgericht Stuttgart auch auf den Vorwurf der Bestechlichkeit Bezug. Der Vorsitzende Richter schrieb: "Die Äußerungen des Angeklagten im Skype-Telefonat vom 16. November 2021 ab 17:55 Uhr stellen nach der Auffassung der Kammer ein Vergehen der Bestechlichkeit dar." Eine klare Aussage, wenn auch kein Urteil. Denn im Verfahren des Landgerichts ging es ausschließlich um den Vorwurf der sexuellen Nötigung in der Kneipennacht wenige Tage zuvor, von dem das Gericht Andreas R. freisprach.

So berichtete SWR Aktuell im Juli vergangenen Jahres über das Ende des Prozesses am Landgericht Stuttgart:

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Noch zwei laufende Strafverfahren gegen Andreas R.

Doch auch nach dem Urteil vom 14. Juli 2023 dauerte es noch fast drei Monate, ehe die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen wegen Bestechlichkeit gegen Andreas R. aufnahm. Wie weit diese Ermittlungen inzwischen vorangekommen sind? Dazu macht die Staatsanwaltschaft auf Anfrage des SWR wegen des laufenden Verfahrens keine Angaben.

Somit laufen im Fall Andreas R. zwei strafrechtliche Verfahren: Prüfung der Revision in Sachen sexuelle Nötigung sowie Ermittlungen in Sachen Bestechlichkeit. Zuvor war außerdem wegen verschiedener Nacktbilder ermittelt worden, die Andreas R. ab 2018 an mindestens drei Polizistinnen geschickt haben soll. Diese Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil sie nicht nachweisen konnte, dass dies gegen den Willen der Empfängerinnen geschah. Für das Disziplinarverfahren gegen den Inspekteur der Polizei könnten aber auch die Nackt-Selfies eine Rolle spielen.

Weiterhin volle Bezüge für Andreas R.

Doch solange strafrechtlich gegen Andreas R. ermittelt wird, ruht offiziell das Disziplinarverfahren gegen ihn. Er bezieht nach wie vor Monat für Monat 8.457 Euro Beamtensold - obwohl er schon seit November 2021 nicht mehr arbeiten darf. Selbst im Fall einer Verurteilung dürfte er die bis dahin erhaltenen Bezüge behalten. Innenminister Thomas Strobl von der CDU hat mehrfach erklärt: Es gebe rechtlich keine Handhabe, dem freigestellten Inspekteur der Polizei die Bezüge zu streichen, solange die Verfahren nicht abgeschlossen sind.

Auf Anfrage des SWR erklärt das Innenministerium, es könne aus Datenschutzgründen keine Angaben zum konkreten Einzelfall machen. Das Ministerium ist mittlerweile vorsichtig: Nachdem Strobl ein Schreiben vom Anwalt des Inspekteurs der Polizei an einen Journalisten weitergegeben hatte, gab es auch gegen ihn Ermittlungen. Später stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, Strobl musste dafür eine Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro bezahlen.

Wird Andreas R. aus dem Beamtenverhältnis entfernt?

Allgemein, so das Innenministerium, sei eine Kürzung der Bezüge während eines noch laufenden Verfahrens nur dann möglich, "wenn eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ausreichend sicher prognostiziert werden kann." Trotz der schweren Vorwürfe gegen den Inspekteur der Polizei wollte offenbar niemand im Innenministerium diese Prognose wagen. Und nach dem Freispruch im ersten Prozess wegen sexueller Nötigung ist man nun wohl umso vorsichtiger.

Das Innenministerium schreibt außerdem, dass grundsätzlich "auch die teilweise Fortführung eines Disziplinarverfahrens in Betracht kommen" könne. Im Fall Andreas R. könnte das bedeuten, dass disziplinarrechtliche Ermittlungen zu Vorwürfen, bei denen die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt wurden, parallel vorangetrieben werden - etwa zu den versendeten Nacktbildern. Laut Innenministerium sind derzeit speziell für das Disziplinarverfahren gegen Andreas R. zwei Richter - ein Mann und eine Frau - an das Ministerium abgeordnet.

Opposition kritisiert Innenminister Strobl

Die innenpolitische Sprecherin der FDP, Julia Goll, sieht im Disziplinarrecht durchaus Möglichkeiten, auch während noch laufender Ermittlungen die Bezüge zumindest zu kürzen. Sie wirft Innenminister Strobl vor, er habe diese Möglichkeiten "von Anfang an nicht einmal richtig prüfen lassen" - für Goll "unverständlich".

Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Inspekteur der Polizei habe das Innenministerium vieles falsch eingeschätzt. Das findet auch SPD-Innenpolitiker Binder. Nun sei es schwierig, diese Fehler zu "heilen", so Binder. Umso mehr drängt er auf einen möglichst schnellen Abschluss der Ermittlungen. "Das öffentliche Interesse daran ist groß", sagt Binder. "Gerade die Polizeibeamtinnen und -beamten haben ein Recht auf Klarheit."

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Hans-Jürgen Goßner (AfD) sagt, als Nichtjurist könne er die rechtlichen Fragen nicht bewerten. Grundsätzlich ist er aber der Meinung: "Es müssen alle möglichen Maßnahmen geprüft werden."

Binder, Goll und Goßner fungieren im Untersuchungsausschuss zur durch die Geschehnisse um Andreas R. ausgelösten Polizeiaffäre als Obleute ihrer Fraktionen. In dem seit September 2022 regelmäßig tagenden Ausschuss geht es unter anderem darum, wie Andreas R. in der Landespolizei eine so steile Karriere hinlegen konnte - und ob dem Innenministerium schon früher Informationen rund um ein Fehlverhalten des einstigen Hoffnungsträgers hätten bekannt sein müssen.

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