Mehr als 170 Personen habe man in Baden-Württemberg auf dem Radar, die der Mafia zugerechnet werden, sagt der Chef des baden-württembergischen Landeskriminalamts, Andreas Stenger. Schon aus rechtlichen Gründen könne man sie aber nicht durchgängig bewachen. Er geht zudem von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Mafia in BW: Nicht der Pizzabäcker oder Eisdielen-Besitzer
Das Problem ist, so Stenger, dass die Mafia im Verborgenen agiere. "Das Wesensmerkmal der Mafia ist ihre Unauffälligkeit. Die wollen sich unterhalb des Radars bewegen." In dieser Unauffälligkeit liege auch die Gefahr. Sie seien ein Querschnitt der Gesellschaft. "Das ist nicht der Klischee-Pizzabäcker und Eisdielen-Betreiber, sondern das sind Menschen, die in ganz anderen Kontexten leben", so der LKA-Präsident.
Mafia dringt in alle Bereiche der Gesellschaft vor
Zu öffentlichen Gewaltausbrüchen wie zuletzt bei den rivalisierenden Banden im Großraum Stuttgart kommt es unter den Mafiosi hierzulande eher selten. "Bei der Mafia geht es um Einflussnahme, Machtanspruch, um Unterwandern von Wirtschaftskreisläufen. Das ist eine ganz andere Gefahr", warnt Stenger. Die Mafia unterwandere die Gesellschaft "wie ein Krake" und nehme Einfluss auf das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Leben. Wenn die Integrität von Wirtschaftsprozessen nicht mehr gewährleistet sei, wirke sich das auch negativ auf das Leben der Bürger aus, so Stenger.
Der SWR-Podcast "MAFIA LAND" geht auf die Spur der Mafia im Land:
True Crime Podcast | 1. Staffel MAFIA LAND - Die unglaubliche Geschichte des schwäbischen Pizzawirts Mario L.
Ermittler sind überzeugt: Mario L., nach außen erfolgreicher Gastwirt, war in BW so etwas wie der "auswärtige Arm" der Ndrangheta, der größten kriminellen Organisation der Welt.
Die Mitglieder der Ndrangheta würden sehr geschickt und unauffällig agieren. "Sie stellen ein Risiko dar, auf das wir nicht vorbereitet sind", so Stenger. Aus seiner Sicht ist die Mafia in Baden-Württemberg sogar auf dem Vormarsch, breitet sich derzeit immer weiter auch in ländlichen Gegenden aus, knüpft Kontakte, baut Geschäfte aus - unter anderem als Sponsor in Sportvereinen.
Im August 2023 nahm die Polizei einen Italiener in Bad Urach im Kreis Reutlingen fest. Der Angestellte hatte dort vier Jahre mit seiner Familie gelebt und verhielt sich völlig unauffällig. Im Jahr 2000 soll er mit anderen Mitgliedern einen Angehörigen eines rivalisierenden Ndrangheta-Clans in einer Kleinstadt in Kalabrien in einen Hinterhalt gelockt haben. Das Opfer wurde durch einen Kopfschuss getötet. Bei diesem Mord soll es sich um eine Racheaktion für ein anderes Tötungsdelikt gehandelt haben, wie es hieß.
BW beliebt wegen der Nähe zu Italien
Wie das Innenministerium im vergangenen Jahr berichtete, lebten knapp ein Viertel der Angehörigen der italienischen organisierten Kriminalität in Deutschland in Baden-Württemberg. Das wird auf die geografische Nähe zu Italien zurückgeführt, aber auch auf die Wirtschaftskraft des Bundeslandes, die Verbrecher lockt. Das Spektrum der Straftaten reicht von Betrug über Drogenhandel und Waffendelikten bis zur Geldwäsche.
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Aus Sicht des Mafia-Kenners, Sandro Mattioli, haben die Behörden in der Vergangenheit im Kampf gegen die Mafia versagt. "Lange Zeit sind die Behörden nicht engagiert genug gegen die organisierte Kriminalität vorgegangen", sagt der Aktivist. So sei Hinweisen mitunter nicht nachgegangen worden. Mattioli meint, dass der Kampf gegen die Mafia in Deutschland nach wie vor nicht ernst genug genommen wird. "Wir müssen von oben herunter ein Klima schaffen, das anregt, dass die Mafia stärker bekämpft wird. Wir müssen das Thema politisch ernst nehmen."
Die Gefahr durch die Mafia war auch schon Thema bei "Zur Sache Baden-Württemberg":
Mafia profitiert von unterschiedlichen Rechtsvorgaben
LKA-Chef Stenger will das nicht auf sich sitzen lassen. "Wir unterschätzen das überhaupt nicht", sagt er. "Wir sehen, dass die Mafia leise und im Stillen wirkt, und wir arbeiten sehr intensiv dagegen." Das Phänomen Mafia müsse europäisch und international gedacht werden. Man sei mit den italienischen Behörden in kontinuierlichem Austausch. Stenger verweist aber auch auf zum Teil unterschiedliche Rechtssysteme und unterschiedliche normative, legislative Voraussetzungen etwa von Deutschland und Italien.