Tausende Verfahren müssen aufgerollt werden

Cannabisgesetz beschlossen: Justiz bereitet sich auf Mehrarbeit vor

Stand
Autor/in
Christoph Schöneberger
Fotoshooting SWR Studio Heilbronn Mitarbeiter Dezember 2022

Die Cannabis-Teil-Legalisierung ist beschlossene Sache. In der Justiz gab es bereits Probleme. Die dürften nach der Verabschiedung des Gesetzes erst einmal zunehmen.

Der Bundesrat hat das Cannabisgesetz am Freitag beschlossen. Gesundheitsminister Lauterbach war kurz zuvor den Ländern noch einmal entgegengekommen. Am rückwirkenden Straferlass hielt er aber fest. Das sorgt bei der Justiz weiter für Sorgenfalten. Richter Michael Reißer vom Amtsgericht Heilbronn fragt sich: "Hat sich der Gesetzgeber bei dem Gesetz überhaupt Gedanken über den Aufwand in der Justiz gemacht?" Im SWR-Gespräch klärt er über einige Probleme auf, die jetzt auf die Justiz zukommen.

So muss die Justiz jetzt wieder Verfahren aufrollen, bei denen bereits Urteile gesprochen worden sind. Denn das Gesetz sieht vor, dass bereits verhängte Haft- oder Geldstrafen wegen Vergehen, die laut dem Gesetz künftig nicht mehr strafbar sind, erlassen werden. Wie viele Fälle das sind? Darüber gehen die Zahlen auseinander. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, es seien deutschlandweit etwa 7.500 Verfahren. Die Justiz geht von einem vielfach höheren Wert aus. So glaubt allein die Staatsanwaltschaft Heilbronn, sie müsse noch Altfälle im vierstelligen Bereich händisch durchschauen. Justizministerin Marion Gentges (CDU) spricht von 25.000 Verfahren in Baden-Württemberg.

Cannabisgesetz: Novum in der deutschen Geschichte

Kompliziert wird es vor allem, wenn ein Mensch eine Gesamtstrafe bekommen hat. Die Strafe, die nach dem neuen Gesetz erlassen werden muss, muss nun herausgearbeitet und eine neue Gesamtstrafe gebildet werden. Eine weitere Mehrbelastung gibt es dadurch, dass Strafen im Bundeszentralregister gelöscht werden müssen. Das sei ein Novum, das es so in der deutschen Geschichte noch nicht gegeben hat, sagt Reißer. Er zweifelt an der Notwendigkeit dieser Regelung.

Bewährungshilfe: Gesetz ist nicht der große Wurf

Tim Schreiber von der Bewährungshilfe Heilbronn sieht diesen Punkt anders. Wer nach geltendem Recht kein Straftäter ist, kann so auch nicht geführt werden. Deswegen sei der Aufwand in der Justiz notwendig. Er versteht den Ärger darüber aber, denn bei der Justiz sind für diese Mehrarbeit keine neuen Stellen geschaffen worden. Schreiber hält das neue Gesetz nicht für den großen Wurf, da auch weiterhin eine Kriminalisierung von Cannabis-Konsumenten im Raum steht. Er freut sich aber darüber, dass der Konsum enttabuisiert wird. Das könne helfen, mit Menschen, die ein Suchtproblem entwickelt haben, darüber zu sprechen. Er fordert einen Ausbau des Therapienetzes.

Tim Schreiber
Tim Schreiber von der Bewährungshilfe hat sich mehr vom Cannabisgesetz erhofft.

Zurück an die Gerichte. Dort bereitet die anstehende Legalisierung ein weiteres Problem. Denn Urteile, die derzeit noch gefällt werden müssen, werden nicht mehr akzeptiert, sagt Richter Reißer. Die Verteidigung argumentiere häufig, Cannabis werde doch bald legalisiert.

Staatsanwaltschaften und Gerichte suchen pragmatische Lösungen

Dennoch, Gerichte und Staatsanwaltschaften haben sich längst auf die kommende Legalisierung eingestellt. Dazu liefert auch das bestehende Recht bislang Möglichkeiten. Nach § 31a Betäubungsmittelgesetz kann etwa die Staatsanwaltschaft bei geringeren Mengen von Cannabis von einer Verfolgung absehen. Hier habe man sich auf etwa 10 Gramm geeinigt, sagt Reißer. Und nach § 153 Strafprozessordnung kann auch bei größeren Mengen mit Zustimmung des Gerichts von einer Verfolgung abgesehen werden. Beides werde bereits getan, um den Mehraufwand in Grenzen zu halten.

Cannabis Amtsgericht Heilbronn
Bestehende Gesetze liefern Staatsanwaltschaften und Gerichten Spielraum.

Social Club Heilbronn: Legalisierung liegt schon länger in der Luft

Dass der Verfolgungsdruck bereits jetzt nachgelassen hat, spürt auch der Cannabis Social Club Heilbronn. Deren Gründer Julian Steiner sagte dem SWR, eines ihrer Mitglieder sei jüngst mit Cannabis im Blut im Straßenverkehr gestoppt worden. Hatte dies früher noch eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) zur Folge, gab es nun im Grunde keine Konsequenzen. In einem Brief der Führerscheinstelle wurde auf die anstehende Legalisierung verwiesen.

Der Heilbronner Social Club ist mit 500 Mitgliedern inzwischen voll. Die Clubs sind nämlich gedeckelt. Steiner ist froh, darüber, dass das Gesetz jetzt auch den Bundesrat passiert hat. Jetzt könne er und sein Verein richtig loslegen.

Mehr zum Thema Cannabis-Legalisierung

Debatte im Landtag Verantwortungslos? CDU und Grüne bei Cannabis-Legalisierung uneins

Die CDU hält die geplante Freigabe von Cannabis für gefährlich - und teilt gegen die Ampel in Berlin aus. Ihr grüner Koalitionspartner hat eine ganz andere Sicht auf die Dinge.

SWR4 am Nachmittag SWR4

Baden-Württemberg

Knackpunkt sind Kontrollen Kretschmann spricht sich für spätere Cannabis-Legalisierung aus

Grundsätzlich ist der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann für die Legalisierung von Cannabis. Wegen offener Fragen will er die Einführung jedoch verschieben.

Cannabisgesetz Bundestag stimmt für Cannabis-Legalisierung – PRO und CONTRA

Der Bundestag hat sich dafür entschieden, dass Erwachsene in Deutschland ab April legal kiffen dürfen. Aber ist die Legalisierung von Cannabis aus wissenschaftlicher Sicht vertretbar?

Mehr von SWR Aktuell Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent.