Der Bundesrat hat das Cannabisgesetz am Freitag beschlossen. Gesundheitsminister Lauterbach war kurz zuvor den Ländern noch einmal entgegengekommen. Am rückwirkenden Straferlass hielt er aber fest. Das sorgt bei der Justiz weiter für Sorgenfalten. Richter Michael Reißer vom Amtsgericht Heilbronn fragt sich: "Hat sich der Gesetzgeber bei dem Gesetz überhaupt Gedanken über den Aufwand in der Justiz gemacht?" Im SWR-Gespräch klärt er über einige Probleme auf, die jetzt auf die Justiz zukommen.
So muss die Justiz jetzt wieder Verfahren aufrollen, bei denen bereits Urteile gesprochen worden sind. Denn das Gesetz sieht vor, dass bereits verhängte Haft- oder Geldstrafen wegen Vergehen, die laut dem Gesetz künftig nicht mehr strafbar sind, erlassen werden. Wie viele Fälle das sind? Darüber gehen die Zahlen auseinander. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, es seien deutschlandweit etwa 7.500 Verfahren. Die Justiz geht von einem vielfach höheren Wert aus. So glaubt allein die Staatsanwaltschaft Heilbronn, sie müsse noch Altfälle im vierstelligen Bereich händisch durchschauen. Justizministerin Marion Gentges (CDU) spricht von 25.000 Verfahren in Baden-Württemberg.
Cannabisgesetz: Novum in der deutschen Geschichte
Kompliziert wird es vor allem, wenn ein Mensch eine Gesamtstrafe bekommen hat. Die Strafe, die nach dem neuen Gesetz erlassen werden muss, muss nun herausgearbeitet und eine neue Gesamtstrafe gebildet werden. Eine weitere Mehrbelastung gibt es dadurch, dass Strafen im Bundeszentralregister gelöscht werden müssen. Das sei ein Novum, das es so in der deutschen Geschichte noch nicht gegeben hat, sagt Reißer. Er zweifelt an der Notwendigkeit dieser Regelung.
Bewährungshilfe: Gesetz ist nicht der große Wurf
Tim Schreiber von der Bewährungshilfe Heilbronn sieht diesen Punkt anders. Wer nach geltendem Recht kein Straftäter ist, kann so auch nicht geführt werden. Deswegen sei der Aufwand in der Justiz notwendig. Er versteht den Ärger darüber aber, denn bei der Justiz sind für diese Mehrarbeit keine neuen Stellen geschaffen worden. Schreiber hält das neue Gesetz nicht für den großen Wurf, da auch weiterhin eine Kriminalisierung von Cannabis-Konsumenten im Raum steht. Er freut sich aber darüber, dass der Konsum enttabuisiert wird. Das könne helfen, mit Menschen, die ein Suchtproblem entwickelt haben, darüber zu sprechen. Er fordert einen Ausbau des Therapienetzes.
Zurück an die Gerichte. Dort bereitet die anstehende Legalisierung ein weiteres Problem. Denn Urteile, die derzeit noch gefällt werden müssen, werden nicht mehr akzeptiert, sagt Richter Reißer. Die Verteidigung argumentiere häufig, Cannabis werde doch bald legalisiert.
Staatsanwaltschaften und Gerichte suchen pragmatische Lösungen
Dennoch, Gerichte und Staatsanwaltschaften haben sich längst auf die kommende Legalisierung eingestellt. Dazu liefert auch das bestehende Recht bislang Möglichkeiten. Nach § 31a Betäubungsmittelgesetz kann etwa die Staatsanwaltschaft bei geringeren Mengen von Cannabis von einer Verfolgung absehen. Hier habe man sich auf etwa 10 Gramm geeinigt, sagt Reißer. Und nach § 153 Strafprozessordnung kann auch bei größeren Mengen mit Zustimmung des Gerichts von einer Verfolgung abgesehen werden. Beides werde bereits getan, um den Mehraufwand in Grenzen zu halten.
Social Club Heilbronn: Legalisierung liegt schon länger in der Luft
Dass der Verfolgungsdruck bereits jetzt nachgelassen hat, spürt auch der Cannabis Social Club Heilbronn. Deren Gründer Julian Steiner sagte dem SWR, eines ihrer Mitglieder sei jüngst mit Cannabis im Blut im Straßenverkehr gestoppt worden. Hatte dies früher noch eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) zur Folge, gab es nun im Grunde keine Konsequenzen. In einem Brief der Führerscheinstelle wurde auf die anstehende Legalisierung verwiesen.
Der Heilbronner Social Club ist mit 500 Mitgliedern inzwischen voll. Die Clubs sind nämlich gedeckelt. Steiner ist froh, darüber, dass das Gesetz jetzt auch den Bundesrat passiert hat. Jetzt könne er und sein Verein richtig loslegen.