"Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir" - aber die moderne Bürokratie, die will da nicht immer mitgehen. Während Kinder an Pferden und Laternen im Dunkeln ihre helle Freude haben, sehen Ordnungsämter und Verantwortliche hier mehrere Gefahrenquellen. Für ehrenamtliche Organisatoren keine leichte Aufgabe. In der Region Heilbronn-Franken finden die Martinsumzüge um den 11. November meist trotzdem statt, manchmal dann eben in etwas anderer Form. Und das Interesse daran scheint in Zeiten von Krisen und Kriegen zu wachsen.
Verknotet wie die Martinsbrezel: Auflagen teils überfordernd
Eigentlich schwärmen in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis) jedes Jahr von allen katholischen Kindergärten sternförmig Laternenprozessionen zu einem zentralen Platz, auf dem das Martinsspiel stattfindet. Erst musste das Spektakel wegen Corona zwei Jahre pausieren, dann kam die Eisbahn in die Quere, in diesem Jahr hagelte es dann Auflagen. Kurzerhand zog die Stadt die Reißleine: Nun macht jeder Kindergarten seinen eigenen kleinen Umzug samt Martinsspiel.
Stadtpfarrer Thomas Frey ärgert sich über diese Entwicklung. Er habe bereits im Sommer Verhandlungen mit den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg (SSG) aufgenommen, um wie üblich den Innenhof des Schlosses für das Martinsspiel nutzen zu können. Dann seien plötzlich nach und nach immer mehr Auflagen gemacht worden. Der Parkplatz der Polizei hätte abgesperrt werden müssen, der Pferdewagen nicht ins Schloss fahren und die Kindergärten nicht am gewohnten Platz bewirten dürfen.
Bad Mergentheimer Stadtpfarrer sollte haften
Hauptstreitpunkt: Die Verkehrssicherheit. Die gesamte Verantwortung dafür hätte Frey übernehmen sollen - für einen Platz, auf dem seit dem ANNOTOPIA Fantasy-Festival eine Sprenkleranlage defekt sei und an der sich ein Kind verletzt hatte, so der Stadtpfarrer. Die Gefahrenquelle sei seitdem nicht behoben worden, gleichzeitig hätte er die Haftung übernehmen müssen.
Auflagen werden stärker eingefordert
Eine Sprecherin der SSG zeigte sich bekümmert über die Vorwürfe. Bei der Nutzung des Innenhofes handele es sich keineswegs um ein Miet-, sondern um ein Nutzungsverhältnis. Die SSG stelle die Schlossinnenhöfe der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung. Sie könne es aber nicht zusätzlich leisten, alle Genehmigungen zu übernehmen. Die Auflagen seien nicht strenger als bislang auch, würden aber möglicherweise stärker eingefordert.
Das war einige Jahre zuvor auch in Weikersheim (Main-Tauber-Kreis) das Problem. Auch hier haben die Organisatoren des Martinszugs wegen der Auflagen durch die SSG schließlich aufgegeben und sind auf den städtischen Marktplatz umgezogen. In Bad Mergentheim sei dieses Angebot seitens der Stadt zu spät gekommen, um die Genehmigungen noch rechtzeitig beantragen zu können, so Frey. Im kommenden Jahr bleibe man daher entweder beim dezentralen Konzept oder es findet sich eine Lösung mit Stadt oder der SSG.
Rabimmel Rabammel Kawumm: Klima wird rauer
Dass ein gewisses Maß an Auflagen sinnvoll ist, zeigt das Beispiel Neckarsulm (Kreis Heilbronn). Innerhalb weniger Jahre habe sich die Dimension des Martinsumzuges vervielfacht: Erst kamen mehrere Hundert, im vergangenen Jahr dann sogar mehr als tausend Menschen zum zentral organisierten Laternenzug. Das freut Veranstalter Thomas Ochs, Schulleiter der Katholischen Fachschulen St. Martin, die den Umzug seit einigen Jahren verantworten.
Bei der Größenordnung könne es dann aber durchaus auch mal rauer zugehen. Es sei nicht immer einfach, allen gerecht zu werden und den Überblick zu behalten, berichtet Ochs. So sei es im vergangenen Jahr erst zu Pöbeleien, dann sogar zu Bedrohungen durch Autofahrer gegen die Pfadfinder gekommen, die den Laternenzug mit Warnwesten absichern.
Die Konsequenz aus den Vorfällen: In diesem Jahr verlässt der Zug den Stadtpark nicht mehr und kann daher nicht mit dem Verkehr in Konflikt kommen. Das Martinsspiel steht programmlich nun am Anfang, damit das Pferd nicht nervös wird. Nach dem Zug gibt es dann Bewirtung im Schulhof, in dem die ganze Menge bequem Platz findet.
Dann reitet der heilige Martin eben auf Steckenpferde
Auch in Eppingen (Kreis Heilbronn) hat sich der Martinszug der Moderne angepasst: Statt stolz zu Ross reitet der Martin hier seit fünf Jahren auf einem Steckenpferd durch die Stadt. 2018 war es zu einem Zwischenfall gekommen, ein Reiter stürzte, das Pferd ging durch. Ein zu hohes Sicherheitsrisiko, entschied die Stadt. Seitdem sind Pferde beim Martinszug verboten. Auch wenn die Kirchengemeinde dem traditionellen Bestandteil nachtrauert, habe man sich mittlerweile an den hölzernen Ersatz gewöhnt, meint Melanie Geier aus dem Organisationsteam.
Die Pferde seien beim Zug durch die engen Gassen der Eppinger Altstadt schon immer nervös gewesen, meint Geier. Sie sei daher jedes Mal froh gewesen, wenn es vorbei war, denn so ein Tier sei unberechenbar.
Weil der Umzug in Eppingen durch die verkehrsberuhigte Altstadt führt, besteht zumindest hier kein Sicherheitsproblem durch Autofahrer. Auch um den Brandschutz sei man unbesorgt, berichtet Geier. Offene Martinsfeuer sind längst auf einzelne kleine Flammen in den Laternen geschrumpft und selbst diese Gefahrenquelle ist fast schon historisch: Rund 90 Prozent der Kinder hätten mittlerweile LEDs in den Laternen, lacht die Organisatorin.
Und das Schwert vom heiligen Martin? Das ist aus Holz, sagt Geier. Dank eines praktischen Klettverschlusses lässt sich der rote Mantel auch damit leicht zerteilen.
Leuchtende Kinderaugen: Aufwand lohnt sich
Auch wenn der organisatorische Aufwand dank Genehmigungen, Auflagen und Co. für einen Martinszug immens ist, aufgeben kommt für die ehrenamtlichen Helfer nicht infrage. Lohn für die vielen Mühen seien die leuchtenden Kinderaugen am Abend des Zuges, meint Thomas Ochs. Und auch Melanie Geier engagiert sich jedes Jahr aufs Neue gerne freiwillig in der Organisation.
Die Legende vom heiligen St. Martin sei so aktuell wie nie, meint Ochs. Auch damit erklärt er sich das wachsende Interesse am Neckarsulmer Martinszug. Krisen, Kriege und gesellschaftliche Spaltung ließen die Menschen wieder nach Sinn suchen und Halt in der Religion finden. Die Teilnehmer in Neckarsulm gehörten übrigens allen erdenklichen Glaubensrichtungen an, freut sich Ochs. Und genau das sei ja auch die Botschaft des heiligen Martin: Menschen in Not zu helfen, egal ob fremd oder heimisch, egal welcher Konfession. Auch auf die Gefahr hin, ausgelacht zu werden.