Bei den Retail Innovation Days, der zweitägigen Einzelhändler-Tagung auf dem Heilbronner Bildungscampus, dreht sich in diesem Jahr alles rund ums autonome Einkaufen. Das erlebt seit gut zwei Jahren einen regelrechten Boom. Mit rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind daher so viele Branchenvertreter wie nie zum Symposium gereist, um sich über neue Entwicklungen zu informieren.
Chancen autonomen Einkaufens
Unternehmer Christian Maresch hat die Chancen autonomen Einkaufens früh entdeckt. 2019 hat er sein Franchise Tante-M gestartet, mittlerweile ist er mit 44 Filialen im Süden Deutschlands Marktführer auf dem Gebiet. Der Schlüssel zum Erfolg: Tante-M funktioniert dort, wo keine Konkurrenz mehr ist - im ländlichen Raum. Weil die sogenannten Smart Stores ohne Verkaufspersonal auskommen, sind sie kostengünstig und können quasi rund um die Uhr geöffnet bleiben, auch an Sonn- und Feiertagen. Auch bei geringerem Kundenverkehr, wie auf dem Land, lohnt sich der Betrieb und schließt die vielerorts entstandene Nahversorgungslücke.
Unterheinriet: Tante-M hat Tante Emma abgelöst
Die erste Filiale im Landkreis Heilbronn hat vor knapp zwei Jahren im Untergruppenbacher Ortsteil Unterheinriet geöffnet. Als der letzte Laden im Ort dicht gemacht hatte, wollte Bürgermeister Andreas Vierling (parteilos) die Nahversorgung für die rund 2.000 Menschen sichern und setzte auf das neue Modell. Mal kurz Eier oder Milch für das Frühstück holen, ist seitdem wieder möglich - zur Freude vieler Kundinnen und Kunden. Dafür müssen sie ein wenig mitarbeiten: die Kasse ist unbesetzt, Waren müssen selbst gescannt oder im Computer eingetippt werden. Kassen-Selbst-Check-Out, in Deutschland das dominierende System unter den Smart Stores.
Heilbronner Studie sieht großes Marktpotential Sind Selbstbedienungs-Supermärkte die Lösung auf dem Land?
In ländlichen Gebieten siedeln sich immer mehr Supermärkte ohne Personal an und verbessern die Nahversorgung. Eine Studie der DHBW Heilbronn sieht dafür sehr großes Potential.
Ein Grund für den Boom: Personalmangel
Gastgeber der Retail Innovation Days Professor Stephan Rüschen von der DHBW Heilbronn forscht seit Jahren zum Thema. Dass aktuell immer mehr Player auf den Zug aufspringen, erklärt er sich auch durch das immer drängendere Problem Personalmangel. Tankstellenbetreiberinnen und -betreiber beispielsweise könnten ihre Filialen vielfach nicht mehr besetzen, das macht smarte autonome Lösungen spannend. Auch die Lebensmittelriesen wie LIDL, ALDI, EDEKA oder REWE haben das Thema auf dem Schirm und holen rasch auf. Tante-M-Gründer Christian Maresch macht sich trotzdem keine Sorgen.
Blick in die Zukunft auf dem Bildungscampus
Die Luxusklasse des autonomen Einkaufens ist auf dem Heilbronner Bildungscampus zu bestaunen: dort hat die Schwarz-Gruppe um LIDL und Kaufland zu Testzwecken die sogenannte Shopbox aufgestellt, die nach dem Grab-and-Go-Prinzip funktioniert. Kundinnen und Kunden müssen gar nicht mehr zur Kasse, sondern können den Laden mit den Produkten einfach verlassen. Möglich macht es ein ausgeklügeltes Tracking-System, bestehend aus Kameras und Sensorik, das Kunden- und Warenbewegung registriert. Die Rechnung schickt die Künstliche Intelligenz (KI) aufs Smartphone. Noch ist die Technik nicht ausgereift und viel zu teuer, um lukrativ zu sein. In fünf Jahren könnte sich die Technologie in Deutschland aber durchsetzen, prognostiziert Stephan Rüschen. Ergänzend zu etablierten Lebensmittelgeschäften und vornehmlich in Städten.
Autonomes Einkaufen: die Lösung für den ländlichen Raum?
Für den ländlichen Raum lohnt das Grab-and-Go-Modell nicht, viel zu aufwändig für den geringen Kundenverkehr. Die Unterheinrieterinnen und Unterheinrieter müssen ihre Waren also weiter selbst einscannen. Nicht für jeden das Richtige. Ein paar ältere Damen vor Ort machen einen großen Bogen um das suspekte System und nehmen lieber den Bus zum Discounter in der nächsten Ortschaft. Andere freuen sich über die praktische Lösung vor der Haustür.
Ob das autonome Einkaufen seinen Siegeszug im ländlichen Raum fortsetzt, hängt aktuell an zwei entscheidenden Faktoren: der Logistik - denn die Belieferung kleiner Läden mit wenig Ware an abgelegenen Orten ist herausfordernd - und an den Behörden. Noch ist unklar, ob der verkaufsoffene Sonntag bei Smart Stores genehmigt wird. Aktuell bewegen sich Betreiber in einer gesetzlichen Grauzone. Ohne die flexiblen Öffnungszeiten wären die autonomen Shops allerdings nicht mehr profitabel.