SWR Aktuell: Wie kamen Sie auf die Idee, nach Griechenland zu gehen, um dort Flüchtlingen zu helfen?
Irina von Zuboff: Ich habe zuletzt als Psychiaterin in München Suchtkranke behandelt und darunter waren einige Flüchtlinge. Das hat mich sehr berührt und ich habe das Gefühl gehabt, ich kann ihnen viel geben mit meiner Hilfe. Da dachte ich, helfe ich ihnen lieber gleich bei ihrer Ankunft und entschied mich, für "German Doctors" den Einsatz zu machen. Mit mir zusammen hier ist ein Allgemeinarzt, der auch aus der Nähe von Stuttgart kommt. Wir besuchen mehrere Camps rundum Thessaloniki und bieten Sprechstunden an, bei denen die Flüchtlinge zu uns kommen.
SWR Aktuell: Was erzählen die Menschen?
Zuboff: Fast alle sind entweder Opfer von Gewalt, Bomben, Attentaten, Menschenhandel, Folter oder Vergewaltigung. Es sind entsetzliche Geschichten, die ich hören muss. Ich kann sie an eine öffentliche Klinik hier verweisen. Sehr viel kann ich nicht tun. Und trotzdem sind die Menschen, die in die Sprechstunde kommen, extrem dankbar. In ihrer Situation fassen sie jede menschliche Geste als etwas ganz Besonderes auf.
SWR Aktuell: Wie kommen Sie mit ihren Patientinnen und Patienten ins Gespräch?
Zuboff: Ich habe gerade heute einen Patienten gesehen, der nachts Angstanfälle bekommen hat, also körperliches Zittern. Er hat mir erzählt, dass er von den Taliban bedroht wurde. Er lebte im Iran, kam aber selbst aus Afghanistan und wurde von dort aus von den Taliban bedroht - er musste fliehen. Seine Familie konnte er nicht mitnehmen. Er ist über die Türkei nach Griechenland gekommen und dort hat man ihn gefragt, warum er nicht in der Türkei geblieben sei. Er hat ehrlich geantwortet und gesagt, er wollte in Griechenland Asyl bekommen und seine Familie nachholen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seine zwei Kinder und seine Frau sind im Iran, sie wird dort belästigt und bedroht. Geht er zurück in den Iran, droht ihm eine schlimme Strafe. Er weiß nicht, was er machen soll. Das sind so hoffnungslose Geschichten, wo ich auch gar nichts tun kann, als ein bisschen zuhören und Medikamente zur Unterstützung geben - aber letztendlich ist es alles ein Tropfen auf dem heißen Stein.
SWR Aktuell: Wie ist die Situation in den Lagern?
Zuboff: Die Zustände sind nicht so schlecht. Früher haben die Flüchtlinge in Zelten gelebt, inzwischen sind es Container geworden, da haben sie auch eine Klimaanlage. Das ist noch ganz angenehm im Sommer und die Camps sind sicher, sie sehen manchmal aus wie Gefängnisse, aber letzten Endes sind sie zum Schutz für die Flüchtlinge so. Wenn man reingeht, wird jeder namentlich und mit Ausweis erfasst. Es gibt natürlich Flüchtlinge, die schon sehr lange dort sind. Ich habe mich in einem Camp mit einer 17-jährigen Frau aus Pakistan unterhalten, sie ist da schon vier Jahre. Erst, wenn man 18 ist, darf man das Camp alleine verlassen und sie sagte, sie erlebt es wie ein Gefängnis. Aber in diesem Lager ist ein Fotograf, der ein Hilfsprojekt gemacht hat und dabei konnte sie mithilfe von Bildern ausdrücken, wie sie sich fühlt. Sie hat mir erzählt, dass das für sie so schön war, dass sie gesehen wurde und kreativ sein konnte.
SWR Aktuell: Sie sind nach Griechenland gegangen, um vor Ort zu helfen. Aber kann man denn auch zuhause etwas tun - abgesehen von Spenden an Organisationen?
Zuboff: Schon so kleine Sachen wie eine Sprache lernen oder ein Yogakurs hilft schon viel, wenn es den Menschen das Gefühl gibt, es wird sich um sie gekümmert. Ich habe viele Menschen hier gefragt, ob sie die Möglichkeit hatten, abgesehen von einem Psychologen mit jemanden über ihre schrecklichen Geschichten zu sprechen und sie sagten: Nein, wir sind alleine hergekommen, wir sind hier auch allein. Und ich glaube, wenn man zum Beispiel einen Yogakurs oder ein künstlerisches Projekt organisieren kann, dann kann das helfen.
SWR Aktuell: Was würden Sie sich für Flüchtlinge wünschen?
Zuboff: Es wäre fantastisch, wenn hier Sprachkurse angeboten werden könnten, Yoga, immer ein Psychiater vor Ort, ein Kinderarzt, ein Psychologe da wäre. Aber das ist natürlich sehr schwierig zu realisieren, weil es nicht so viel Geld von der griechischen Regierung gibt. Es wäre gut, wenn sich andere EU-Länder mehr an der Hilfe beteiligen würden. In Griechenland werden besonders viele Flüchtlinge aufgenommen und sie kommen dort an ihre Grenzen. Ich verstehe beide Seiten - aber meine Seite ist die menschliche und ich sehe, wie hilflos die Situation der Menschen ist und wie hilflos wir dabei sind, ihnen zu helfen.
SWR Aktuell: Woher nehmen Sie die Kraft, weiterzumachen?
Zuboff: Es ist Menschenliebe, die mich so beseelt, würde ich sagen. Die Menschen haben etwas in mir berührt, das in mir tief den Wunsch weckt, weiter zu helfen. Ich will auch in meiner nächsten Arbeitstelle damit weitermachen. Ich denke, es ist die verletzlichste Gesellschaftsgruppe und es wird viel darüber gesprochen, dass Flüchtlinge sich anpassen sollen. Aber man sollte so viel wie möglich helfen, damit sie sich überhaupt anpassen können in der Gesellschaft. Sie müssen dabei begleitet werden und wenn ich einen wichtigen Beitrag dafür leisten kann, dann freut mich das.