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Enquete-Kommission "Krisenfeste Gesellschaft"

Kretschmann verteidigt erneut seine Politik in der Corona-Krise

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Autor/in
Hannah Vogel

Ministerpräsident Kretschmann hat erneut seine Corona-Politik verteidigt. Opposition und Verbände forderten, man müsse sich für künftige Krisen besser wappnen.

Die Einschränkungen während der Corona-Pandemie seien "im Großen und Ganzen gerechtfertigt" gewesen, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Freitag im Landtag. Er wurde dort im Rahmen der Enquete-Kommission "Krisenfeste Gesellschaft" zu seiner Politik in der Corona-Pandemie befragt und verteidigte diese vor dem Gremium. Die Enquete-Kommission soll sich zwei Jahre lang mit den Lehren aus einer globalen Pandemie beschäftigen und daraus Handlungsempfehlungen für die Zukunft ableiten.

Kretschmann: Nicht alles im Rückblick "richtig"

"In einer Krise muss man schnell und auf Basis von unvollständigen Informationen handeln und dafür ein gewisses Risiko in Kauf nehmen, denn Zögern und Zaudern ist immer der falsche Weg", so Kretschmann weiter. Sein Kompass sei das Prinzip der Gesamtverantwortung für mehr als 11 Millionen Menschen gewesen - vom Kind bis zur hochbetagten Rentnerin.

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Trotzdem räumte Kretschmann auch Fehler ein. "Nicht alles, was wir beschlossen haben, hat sich im Rückblick als richtig herausgestellt", sagte der Grünen-Politiker. So habe man und auch er persönlich die Auswirkungen von Schulschließungen auf Kinder und Jugendliche unterschätzt.

Skeptisch bei "rigorosen Kontaktbeschränkungen"

Außerdem hätten viele ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen "sehr gelitten". Sie habe die Einsamkeit durch Kontaktbeschränkungen oft besonders hart getroffen. "Auch die sehr rigorosen Kontaktbeschränkungen in Altenheimen sehe ich im Nachhinein skeptisch." Man habe diese Gruppen aber besonders gut schützen wollen und das sei eben nur gegangen, indem Kontakte auf ein Minimum reduziert worden seien.

Schwer, sich präzise auf Krisen vorzubereiten

Kretschmann sprach auch über drohende Krisen in der Zukunft. Ob und wann Baden-Württemberg erneut von einer solchen Krise erfasst werde, könne niemand sagen und auch welche Art von Krise es dann sei, so Kretschmann. "Das macht es auch schwer, sich präzise für solche Fälle vorzubereiten."

Aber es gebe doch eine Reihe von Erkenntnissen aus der Pandemie, die für alle Krisensituationen gelten. Es brauche zum Beispiel ein wohlgeordnetes Allgemeinwesen. "Verwaltung, kritische Infrastruktur, Gesundheitswesen, Polizei, Justiz, Recht, Rettungskräfte müssen stabil arbeiten können", sagte Kretschmann. Da habe die Pandemie gezeigt, dass man "richtig gut aufgestellt" sei. Auch sei er froh über die "starke Bürgergesellschaft" in Baden-Württemberg. Es sei wichtig, Menschen zu haben, die dort anpackten, wo staatliches Handeln nicht hinreiche.

Zudem seien leistungsfähige Unternehmen und eine starke Wissenschafts- und Forschungslandschaft "absolut entscheidend". Sie hätten in der Pandemie in kürzester Zeit wirkungsvolle Impfstoffe entwickelt und auch produziert. Kretschmann hob hervor, wie wichtig Fakten in einer Krise seien. Deshalb sei ein breites Angebot von verschiedenen Qualitätsmedien ebenfalls "unabdingbar".

Kritik von Opposition: Keine echte Fehleranalyse

Nach Kretschmanns Rede kritisierte die AfD-Landtagsabgeordnete Carola Wolle den Ministerpräsidenten. Fehler-Analysen fänden nicht in umfassendem Maß statt, so Wolle. "Man könnte manchmal den Eindruck gewinnen, dass man sich selbst loben möchte, wie toll man durch die Krise gekommen ist." Das sei aber mitnichten so.

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Florian Wahl bemängelte, dass Kretschmann weiterhin nicht bereit sei, sich für Fehler und Versäumnisse zu entschuldigen und damit Verantwortung zu übernehmen. Wahl begründete: Die Entscheidungen der Landesregierung hätten Konsequenzen gehabt - zum Beispiel für Kinder und Menschen in Pflegeheimen - und das habe auch "Leid bedeutet".

Bildungsbereich bei der Enquetekommision kein Thema

"Er war auch nicht bereit, die Frage zu beantworten, warum das Handlungsfeld Bildung nicht Teil dieser Enquete-Kommission ist", sagte Wahl. Es sei "ein wirklich schwerer Fehler", dass diese Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie sich nicht aktiv darum bemühe, das Thema Bildung in den Fokus zu setzen. Wahl verwies auch darauf, dass ein SPD-Antrag zum nachträglichen Hinzufügen des Themas im vergangenen September von der Regierungsmehrheit abgelehnt worden sei.

Auch der FDP-Abgeordnete Nikolai Reith, zuständig für Soziales, kritisierte die Schulschließungen während der Corona-Pandemie. "Bis heute wirken diese nach", sagte er. Der Ministerpräsident wolle dieses Instrument aber weiterhin nicht grundsätzlich aus seinem Instrumentenkoffer entfernen. Außerdem beklagte er "das Kommunikationschaos" mit 13 Corona-Verordnungen und vielen weiteren Änderungsverordnungen.

GEW will Kommission gegen Fachkräftemangel

Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Monika Stein, wies auf Probleme beim Fernunterricht hin. Sie folgerte daraus: "Der Betrieb von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen muss in Krisen jeder Art prioritär sichergestellt werden." So erfordere zum Beispiel der Klimawandel bauliche Maßnahmen für die Wetterbeständigkeit und Temperaturreglungen für Räumlichkeiten, aber auch Beschattungen, Regen- und Windschutz für Außenbereiche.

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Zum anderen müsse die Infrastruktur der Bildungseinrichtungen viel besser aufgestellt sein. Die Grundausstattung an Schulen sei bereits vor der Pandemie vernachlässigt worden. "Unter Krisenbedingungen wird dieser Sanierungsstau zu einem Risiko", warnte Stein. Außerdem forderte sie, eine Kommission einzusetzen, die sich mit dem Fachkräftemangel befasst.

VBE fordert Ausbau von multiprofessionelle Teams

Der stellvertretende Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Dirk Lederle, appellierte an Kretschmann, die seit Jahren offenen Baustellen anzugehen. "Es ist dringend notwendig, sich über Fraktionsgrenzen und tagespolitische Auseinandersetzungen hinweg mit der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung im schulischen Kontext auseinanderzusetzen", sagte Lederle. So bräuchten die Schulen dringend mehr Unterstützung durch multiprofessionelle Teams. Diese sollten aus Sozialarbeiterinnen, Therapeuten und Familienhelfer bestehen, um sich künftig krisenfester aufzustellen.

Landesschülerbeirat BW: Jugendliche haben keine Lobby

Der Vorsitzende des Landesschülerbeirats Berat Gürbüz wies darauf hin, dass Jugendliche keine Lobby hätten. "Sie haben keine Chance, in Krisen angehört zu werden", sagte Gürbüz. Deshalb forderte er unter anderem die Einrichtung eines Landesjugendbeirats. Dieser solle aus 60 Mitgliedern aus allen Regierungsbezirken bestehen und dem Landtag "beratend zur Seite stehen". "Vor allem soll der Rat die Möglichkeit bekommen, schriftliche Stellungnahmen zu verfassen, die angehört werden müssen", sagte Gürbüz.

Die Enquete-Kommission "Krisenfeste Gesellschaft" soll Lehren aus der Pandemie ziehen und Vorschläge erarbeiten, wie das Land sich gegen neue Krisen wappnen kann. Sie besteht aus 14 Mitgliedern der im Landtag vertretenen Fraktionen und acht Sachverständigen, die von den Fraktionen gewählt wurden. Am Freitag sprachen unter anderem Ministerpräsident Kretschmann, Vertreter von GEW und VBE sowie der Vorsitzende des Landesschülerbeirats vor der Kommission und beantworteten Fragen.

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