Der frühere Vorstandsvorsitzende des Daimler-Benz-Konzerns, Edzard Reuter, ist tot. Das teilte der Pressesprecher der Helga und Edzard Reuter-Stiftung mit. Er starb in Stuttgart im Alter von 96 Jahren. "Der Tod von Edzard Reuter erfüllt uns mit großer Trauer", sagte Dr. Susanne Eisenmann, Kuratoriumsvorsitzende der Helga und Edzard Reuter-Stiftung.
Die Ära Reuters bei Daimler-Benz ist verbunden mit einem spektakulären Konzernumbau: Am Ende stand ein Verlust von rund 36 Milliarden Deutsche Mark. Der Wirtschaftswissenschaftler Ekkehard Wenger nannte dies damals "die größte Kapitalvernichtung, die es jemals in Deutschland zu Friedenszeiten gegeben hat". Andere meinten, Reuter sei mit seinen Plänen seiner Zeit voraus gewesen. So schrieb beispielsweise der Autoexperte Andreas Stockinger mit Blick auf Daimlers Abhängigkeit von China: "Schade, dass diese aufregende, ganz, ganz groß gedachte Vision keine Chance auf Realisierung bekam."
Kindheit im Exil in der Türkei
Edzard Reuter wuchs in Ankara auf, weil seine Familie vor dem zweiten Weltkrieg vor den Nazis in die Türkei fliehen musste. Sein Vater, Ernst Reuter, war von 1948 bis 1953 Regierender Bürgermeister von Berlin - zur Zeit der Spaltung der Stadt. Edzard Reuter machte im Nachkriegsdeutschland eine Karriere als manchmal unbequemer und auch umstrittener Manager.
Wenn es stimmt, dass einen die Eltern prägen, dann war es bei Edzard Reuter wohl in doppeltem Maße zutreffend: Seine Mutter arbeitete bei der Sozialdemokratischen Parteizeitung "Vorwärts". Sein Vater war der wohl berühmteste Regierende Bürgermeister von Berlin: Ernst Reuter, SPD.
Mutter bei Parteizeitung "Vorwärts" - Vater eine Legende in Berlin
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten emigrierte die Familie mit dem fünfjährigen Sohn in die Türkei und lebte bis 1946 im Exil in Ankara. Politik sei zuhause immer ein Thema gewesen, erinnert sich Reuter.
Oft habe sich die Familie ums Radio versammelt: Abgesehen davon, dass man ab und zu eine deutschsprachige Zeitung in der Türkei kaufen konnte, sei das Radio damals die Verbindung zur Heimat gewesen.
Zum 95. Geburtstag gratulierte der Bundespräsident mit den Worten:
Hanns Martin Schleyer brachte Edzard Reuter zu Daimler
Im Nachkriegs-Deutschland studierte Edzard Reuter erst Mathematik und Physik, später dann Jura in Göttingen und Berlin. Nach Stationen bei den Film- und Medienfirmen Ufa und Bertelsmann ging Reuter zu Daimler-Benz. Dort wollte man ihn, den Sozialdemokraten, zunächst überhaupt nicht haben.
Erst Hanns Martin Schleyer, der damals Personalvorstand bei Daimler-Benz war, setzte 1964 seine Anstellung in Stuttgart-Untertürkheim durch. Reuter stieg in den Vorstand auf, und wurde als möglicher Chef gehandelt. Allerdings störten sich viele an seinem klaren Bekenntnis zur SPD und an seiner Kritik am Turbo-Kapitalismus.
Ein Jurist an der Spitze der Automarke mit dem Stern
Mit 59 Jahren wurde Edzard Reuter Vorstandschef bei Daimler-Benz. Das war 1987 und Reuter erinnert sich, dass keine Fantasie-Gehälter gezahlt wurden.
Er sei auch mehr ein Team-Arbeiter gewesen als einsam an der Spitze. Ehrgeizig sei er schon gewesen. Oft genug habe er gedacht, er könne es besser als andere.
Daimler wurde zum Riesenmischkonzern
Immerhin hatte er Macht genug für einige Firmen-Übernahmen: die Flugzeug- und Wehrtechnik von Dornier, MBB und MTU, Elektronik von Matra, Hausgeräte von AEG - Daimler-Benz wurde ein Riesenkonzern.
Später mussten aber viele Übernahmen und Erweiterungen wieder abgewickelt werden mangels Erfolg. Der Autohersteller hatte Milliardenverluste hinzunehmen.
Visionär oder Kapitalvernichter?
Edzard Reuters Erfolge und Misserfolge bei Daimler-Benz sind bis heute umstritten. Manche sagen, seine Idee des "integrierten Technologie-Konzerns" sei der Zeit voraus gewesen. Andere beklagen die Geldvernichtung. Daimler habe zu schnell zu viel gemacht.
Hobbies: Reiten und Segeln
Nach seinem Abschied bei Daimler widmete sich Reuter noch mehr als nur seinen Hobbies, etwa Reiten und Segeln. Er kümmerte sich um die Integration religiöser und ethnischer Minderheiten in einer Stiftung zusammen mit seiner Frau.
Er schrieb Bücher und mischte sich in politische Debatten ein. Unter anderem forderte er, Managergehälter zu begrenzen.
Berliner Ehrenbürger, aber nicht Bürgermeister
Sein Interesse am Posten als Regierender Bürgermeister von Berlin stieß 1994 auf wenig Begeisterung. Allerdings wurde Edzard Reuter vor allem wegen seines Engagements für den Ausbau des Potsdamer Platzes 1998 zum Ehrenbürger von Berlin ernannt.