Baden-Württembergs Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) hat mit ihren Äußerungen vom Mittwoch über Geflüchtete für große Diskussionen gesorgt. Sie wirft der Ampelkoalition im Bund vor, finanzielle Anreize für Geflüchtete gesetzt zu haben, nach Deutschland zu kommen. Am Donnerstag widersprach ihr Kabinettskollege und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne).
Lucha will Chancen gewähren und Gesellschaft stärken
"Es kommt derzeit keiner, weil Anreize durch Sozialleistungssysteme geschaffen wurden. Die Menschen sind weltweit auf der Flucht", sagte Lucha dem SWR. "Die kommen jetzt an, weil die Krisen- und Notherde in der Welt jetzt mehr werden." Man müsse nach humanitären und sozialstaatlichen Gesichtspunkten Chancen gewähren und damit die Gesellschaft stärken. Bei bis zu sechs Millionen fehlenden Arbeitskräften in Deutschland könne man Menschen, die sich einbringen wollten, gut gebrauchen, so Lucha.
Gentges ist der Meinung, dass die aktuell steigenden Flüchtlingszahlen auch eine Folge der derzeitigen Bundespolitik seien. Ukrainische Geflüchtete erhalten seit dem 1. Juni Hartz IV und können dank des sogenannten Rechtskreiswechsels auch eine eigene Wohnung anmieten und eine Arbeit aufnehmen.
Gentges: "Mehr Sozialleistungen als in anderen Ländern"
"Die Ausweitung der Sozialleistungen infolge des Rechtskreiswechsels setzt einen finanziellen Anreiz für Menschen, die bislang in anderen EU-Ländern Schutz gefunden haben, nach Deutschland zu kommen, und erhöht zusätzlich den Druck auf unsere Systeme", hatte die Migrationsministerin in einer Pressemitteilung am Mittwoch mitgeteilt.
![Marion Gentges gestikuliert im Gespräch mit ihren Händen (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat) Marion Gentges gestikuliert im Gespräch mit ihren Händen](/swraktuell/baden-wuerttemberg/1712922585609%2Cmarion-gentges-100~_v-16x9@2dS_-6be50a9c75559ca1aaf1d0b25bae287afdcd877a.jpg)
Seán McGinley, scheidender Vorsitzender des baden-württembergischen Flüchtlingsrats, spricht gegenüber dem SWR von "schweren Anschuldigungen", die erst einmal mit einer Quelle belegt werden müssten.
"Wenn es keine Quelle gibt, ist es einfach Unsinn. Sie hat irgendetwas erfunden, was ihr politisch in den Kram passt."
Flüchtlingsrat BW spricht von "ziemlicher Unverschämtheit"
Gentges unterstelle den Geflüchteten, aus finanziellen Gründen nach Deutschland zu kommen. Wenn die Ministerin den Rechtskreiswechsel kritisiere, so sei das "eine ziemliche Unverschämtheit". "Sie kündigt damit die Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine auf und missbraucht sie für billigen Populismus", so McGinley. "Es ist nicht das erste Mal, dass das Justizministerium Baden-Württemberg sich in die populistische Kampagne von Friedrich Merz gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung einspannen lässt beziehungsweise bereitwillig einreiht."
Auch SPD kritisiert Gentges Äußerungen
SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch griff Gentges am Freitag an: "Wer als zuständige Ministerin für Migration nichts besseres zu tun hat, als gegen Flüchtlinge zu hetzen, hat in dieser Funktion nichts zu suchen", twitterte er. "Und für parteipolitische Spielchen ist dieses Thema auch nicht geeignet, Frau Gentges." Diese Menschen suchten Schutz, so Stoch.
FDP-Fraktionschef Rülke empört
Scharfe Kritik kommt auch von FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. "Ich bin mir sehr sicher, dass diese Leute viel lieber in ihrem eigenen Land wären, würde dort nicht ein fürchterlicher Krieg herrschen", sagte er. Es sei "ausgesprochen anstandslos", dass sich die Justizministerin nun gegen diese Flüchtlinge wende. Wenn ihr sogar aus der eigenen Koalition Widerspruch entgegenschlage, zeige das, dass die Grenze des guten Geschmacks an dieser Stelle weit überschritten wurde, so Rülke.
Grüne in BW halten sich mit Kritik an Gentges zurück
Die Landtagsfraktion der Grünen in Baden-Württemberg hält sich dagegen mit Kritik an Gentges zurück. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz verwies auf SWR-Anfrage darauf, dass der Rechtskreiswechsel auf Bundesebene beschlossen worden sei und das letztlich eine "schnelle und gelingende Integration" fördere.
Schwarz begrüßt es, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer Hartz IV erhalten. Auf die Frage, ob die Pressemitteilung aus dem Migrationsministerium problematisch sei, ging er dagegen nicht ein.