Verrentungswelle im ÖPNV

Fachkräftemangel im Nahverkehr: Mehr Busse, aber immer weniger Fahrer

Stand
Autor/in
Jürgen Rose
Hannes Köhle

Busunternehmen haben so viel zu tun wie noch nie und der Nahverkehr soll noch weiter ausgebaut werden. Doch viele Fahrer gehen in den nächsten Jahren in Rente - das sorgt für Probleme.

Die Zahl der Menschen, die 2030 Bus und Bahn fahren, soll deutlich steigen. Deshalb wird das Angebot im Nahverkehr deutlich ausgebaut. Dafür braucht es vor allem Fahrerinnen und Fahrer. Eine SWR-Recherche zeigt, viele von Ihnen gehen in den nächsten Jahren in Rente.

Franz Schweizer steht in Waldachtal im Kreis Freudenstadt vor seinem Busdepot. An Bussen mangelt es ihm nicht, denn er hat rund 40 blaue Busse in seinem Reiseunternehmen. Mit denen ist er vom Nordkap bis Sizilien unterwegs. Sein Hauptgeschäft macht er aber auf Strecken im Schwarzwald - größtenteils im Linienverkehr. Doch ihm fehlen Fahrerinnen und Fahrer. Der Mangel macht ihm zunehmend Probleme. "Ohne Fahrer können wir keine Fahrzeuge bewegen und keine Fahrgäste befördern. Insofern ist es existenzgefährdend", sagt Schweizer.

Jeder fünfte Fahrer ist über 60 Jahre alt

Das Problem könnte noch größer werden. Denn in Baden-Württemberg sind ein Fünftel der Bus- und Straßenbahnfahrer und -fahrerinnen über 60 Jahre alt. Das zeigt eine SWR-Recherche mit Daten von der Agentur für Arbeit. Diese Menschen gehen in den nächsten Jahren voraussichtlich in Rente, was den Bedarf an Fachkräften noch weiter erhöhen wird.

Dazu gehören auch Fahrer wie Ronnie Kempeneers. Er fährt seit 40 Jahren Bus und war auf Straßen in ganz Europa unterwegs, seit 20 Jahren arbeitet er bei Franz Schweizer im Schwarzwald. In anderthalb Jahren möchte er in Rente gehen und deshalb steht schon länger auf den blauen Bussen Eigenwerbung: "Straßenhelden gesucht". Es habe ihn noch keiner darauf angesprochen, sagt Kempeneers, "ich finde das schade".

Er selbst schwärmt von seinem Beruf, erzählt von Fahrten durch die Fjorde Norwegens, die er nicht als Arbeit, sondern eher als Vergnügen empfunden hat. Doch niemand scheint seine Leidenschaft teilen zu wollen.

2.500 Busfahrer fehlen in BW

"Insgesamt suchen wir in Baden-Württemberg gerade circa zweieinhalbtausend Busfahrerinnen und Busfahrer", sagt die Geschäftsführerin vom Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO), Yvonne Hüneburg. Die Fahrerinnen und Fahrer stießen aktuell an ihre Grenzen, viel werde in Überstunden gearbeitet. Wenn zu einer dünnen Personaldecke noch eine Grippewelle hinzukomme, könne es sehr schwer werden. "Die Unternehmen tun alles, um das Fahrplanangebot aufrecht zu erhalten", sagt Hüneburg.

Dass Busfahrer wie Ronnie Kempeneers immer weniger werden, bringt seinen Chef Franz Schweizer an den Rand der Verzweiflung. Eigentlich könnte er sofort fünf neue Fahrer einstellen, denn Lücken im Dienstplan gibt es schon fast täglich. Disponent Norman Weiß versucht diese mit Rentnern zu füllen. "Das macht mich nicht glücklich, dass macht das Personal nicht glücklich, das macht die Kundschaft nicht glücklich, das macht den Chef nicht glücklich. Also die Situation ist eigentlich echt verheerend", sagt Weiß.

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Geschäftsführer muss oft selbst als Fahrer einspringen

Zwar standen bislang noch keine Schüler morgens an der Straße, weil der Fahrer krank war. Geplante Reisen mussten aber schon abgesagt werden, wenn das Personal nicht ausreichte. Dass noch keine Linienbusse im Nahverkehr ausgefallen sind, liegt auch daran, dass der Chef oft selbst einspringt. "Wenn es lichterloh brennt, sitze ich auch am Steuer", sagt Geschäftsführer Schweizer.

Laut WBO-Geschäftsführerin Yvonne Hüneburg hat der Fachkräftemangel vor allem einen Grund: "Wir haben noch nie so viel ÖPNV gehabt, wie im Moment". Die Kombination aus starkem Ausbau des Nahverkehrs und Fahrerinnen und Fahrer, die in Ruhestand gehen würden, würden den Bedarf besonders groß machen. Um in Zukunft den Nahverkehr zu stabilisieren, müsse man an verschiedenen Stellschrauben drehen.

Omnibusverband: Führerschein soll günstiger werden

Laut Hüneburg sollen auch Frauen gezielt für den Beruf angeworben werden. "Da lassen wir unheimlich viel Potential liegen", so die WBO-Geschäftsführerin. In Unternehmen sei der Frauenanteil oft unter fünf Prozent. Ein weiteres Problem seien die hohen Kosten des Busführerscheins. In Deutschland liegen diese laut Hüneburg bei 13.500 Euro. Im Nachbarland Österreich sei der dagegen mehr als 10.000 Euro billiger. Hier gebe es jedoch bereits erste Fortschritte.

Auch beim Anwerben von Personal aus dem Ausland gebe es noch Potential, so Hüneburg. Laut WBO setzen die Busunternehmen in Baden-Württemberg inzwischen vermehrt auf Busfahrer und -fahrerinnen aus Indien. Außerdem arbeitet der Verband in einem Fachkräftebündnis mit. Zu diesem gehört neben anderen Verbänden aus dem Verkehrsbereich auch das Verkehrsministerium. Das sorgt bei der Geschäftsführerin für Zuversicht.

ver.di: Belastung großes Problem

Laut der Gewerkschaft ver.di ist die Bezahlung in der Branche gut. "Das Problem ist nicht, dass es zu wenig Geld gibt. Das große Problem ist die Belastung", sagt Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei ver.di. Der Fahrplan gebe den Dienstplan vor. Das führe dazu, dass die Fahrer auch unbezahlte Pausen machen müssten und im Arbeitsalltag immer wieder einen anderen Dienstbeginn hätten. Hinzu kommen Einsätze am Wochenende. Mit ein Grund, warum der Job nicht attraktiv sei. "In Deutschland gibt es doppelt so viele Leute, die einen Busführerschein haben, als die die im Gewerbe sind", sagt Schackert. 

Reiseunternehmer bietet Mitarbeitern Wohnung

Auch Franz Schweizer im Waldachtal geht neue Wege, um neue Busfahrer für sein Unternehmen zu gewinnen. Er macht etwas, was es in der hundertjährigen Geschichte seiner Firma noch nie gab. Er vermietet nun auch Wohnungen für neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die zu ihm ins Waldachtal ziehen. Gerade renoviert er eine Zwei-Zimmer-Wohnung und will die voll möbliert mit nagelneuen Geräten wie Fernseher und Waschmaschine für 500 Euro vermieten. "So ändern sich die Zeiten und man muss sich als Unternehmer darauf einstellen", sagt Schweizer.

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