"Nicht hinnehmbar"

350 Behandlungsfehler von Ärzten in BW - Experten fordern Meldepflicht

Stand

Für betroffene Patienten ist es oft schwer, einen Schaden durch einen Behandlungsfehler nachzuweisen. Für mehr Sicherheit fordert der Medizinische Dienst eine Meldepflicht.

Der Medizinische Dienst Baden-Württemberg hat im Jahr 2022 in 350 Fällen sowohl einen Behandlungsfehler als auch einen Patientenschaden festgestellt und einen möglichen Zusammenhang überprüft. Wie der Medizinische Dienst mitteilte, entsprach dies einem Anteil von gut einem Viertel (26 Prozent) der den Krankenkassen gemeldeten Verdachtsfälle.

Diese Grafik zeigt die gutachterlichen Ergebnisse in Bezug auf Behandlungsfehler des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg.

Rund 20 Prozent der untersuchten Fälle bestätigt

In 278 Fällen (20,7 Prozent) kamen die Gutachterinnen und Gutachter zu dem Schluss, dass die gesundheitlichen Schäden auch tatsächlich durch den Behandlungsfehler verursacht wurden. Nur in diesem Fall haben Patienten auch Aussicht auf Schadensersatz. Laut dem Medizinischem Dienst ist nicht jeder nachgewiesene Schaden auch nachweislich durch einen Behandlungsfehler bedingt. Unerwünschte Ergebnisse könnten demnach auch die Folge von nicht zu verhindernden Komplikationen einer Therapie sein.

Medizinischer Dienst geht von hoher Dunkelziffer aus

Man müsse von einer dreißigmal höheren Zahl an Fehlern in Krankenhäusern und Praxen ausgehen, sagte der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, Stefan Gronemeyer, das entspreche einem Prozent aller medizinischen Behandlungen. Denn bekannt werden den Gutachtern und Gutachterinnen die Fälle nur, wenn sich eine Patientin oder ein Patient mit dem Verdacht auf einen Kunstfehler an seine Krankenkasse wendet und diese den Medizinischen Dienst beauftragt, ein ärztliches Gutachten zu erstellen.

Bundesweit wurden 2022 in insgesamt 3.221 Fällen von 13.059 gemeldeten Verdachtsfällen sowohl ein Behandlungsfehler als auch ein Schaden festgestellt. Dass der Fehler auch Ursache des Schadens war, konnte in 2.696 Fällen nachgewiesen werden.

Die Zahl begutachteter Fälle sowie bestätigter Fehler und Schäden bewegt sich seit zehn Jahren auf etwa gleichem Niveau. An der Spitze stehen Beschwerden nach Operationen und Geburten, dann folgen Zahnmedizin und die Pflege. Dies sei jedoch kein Anzeichen für besondere Probleme in diesen Sektoren, betonen die Berichterstatter, sondern dafür, dass eine falsch eingesetzte Hüfte oder ein wundgelegener Rücken eher auffallen.

Gronemeyer fordert Meldepflicht für Never Events

Gronemeyer dringt darauf, dass zumindest schwerwiegende, vermeidbare Behandlungsfehler, sogenannte Never Events, gemeldet werden müssen. Das sei internationaler Standard und "aus Patientensicht nicht hinnehmbar, dass Deutschland das nicht umsetzt". Zu den Never Events zählen unter anderem Fälle von Patienten- oder Seitenverwechslungen, schwere Medikationsfehler oder im Körper zurückgelassenes Operationsmaterial. Es passierten "immer wieder die gleichen folgenschweren Fehler", kritisierte Gronemeyer. Er forderte die Bundesregierung auf, im Rahmen der Novellierung des Patientenrechte-Gesetzes eine nationale Never Event-Liste einzuführen.

Anhand der anonymisierten Fälle kann dann nachvollzogen werden, wo Sicherheitschecks beispielsweise vor einer Operation nicht eingehalten wurden und wie dies zu vermeiden gewesen wäre. Im vorigen Jahr wurden von den Gutachtern des Medizinischen Dienstes bundesweit 165 Never Events festgestellt. In Baden-Württemberg ist die Anzahl der Never Events 2022 im Vergleich zum Vorjahr von drei auf acht Fälle gestiegen.

Patientenschützer fordern Beweislastumkehr

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf der Ampel-Koalition vor, sie habe bisher weder den versprochenen Härtefallfonds für Opfer von medizinischen Behandlungsfehlern noch ein bundeseinheitliches Zentralregister auf den Weg gebracht. Vorstand Eugen Brysch forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" außerdem eine Beweislastumkehr. Damit müssten Betroffene nicht mehr nachweisen, dass ihre gesundheitlichen Schäden auf Behandlungsfehler zurückzuführen sind, sondern die jeweils verantwortliche Klinik, dass sie es nicht sind.

So weit geht die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, nicht. Sie verlangt aber, den Nachweis zu erleichtern. Wegen hoher Hürden bei der Beweisführung, langer Verfahren und Problemen bei der Schadensregulierung versuchten Patienten häufig gar nicht erst, ihre Rechte durchzusetzen.

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SWR

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