Übergriffe auf Justizmitarbeitende

Zur Sicherheit mit Schutzweste: Der Arbeitsalltag von Gerichtsvollziehern

Stand
Autor/in
Jakob Thies

Gerichtsvollzieher lassen Wohnungen räumen. Dabei kommt es immer wieder zu Übergriffen. Diese nehmen auch bei anderen Justizmitarbeitern zu.

Ein grauer Herbstmorgen in Denkendorf im Kreis Esslingen: Gerichtsvollzieher Thomas Hannß zieht schnell und routiniert seine schusssichere Weste an. Jacke aus, Weste an, dann die Jacke wieder drüber. Auch bei genauer Betrachtung ist die schlichte, dunkelblaue Weste kaum noch zu sehen. Gut geschützt fühle er sich, erklärt Hannß. Dennoch sei er immer etwas aufgeregt. Schließlich wisse er nie, was bei einem Einsatz passiert.

Zwangsvollstreckung mit Polizei-Großeinsatz

Die Arbeit von Gerichtsvollziehern kann gefährlich sein. So kam es etwa Anfang des vergangenen Jahres zu einem Großeinsatz der Polizei auf einem Gehöft im Rems-Murr-Kreis. Ein Bewohner bedrohte einen Gerichtsvollzieher mit einer Motorsäge. Dieser wollte eine Zwangsvollstreckung durchführen. Die Polizei rückte mit Spezialkräften an.

In Denkendorf ist dagegen alles ruhig - zumindest noch. Denn Thomas Hannß muss dort eine Wohnung räumen. Die Mieterin hat seit Januar keine Miete mehr gezahlt. Daraufhin kündigte ihr der Vermieter.

Immer mehr Anfeindungen und Angriffe gegen Justizvertreter

Dass Hannß bei der Zwangsräumung angefeindet oder angegriffen wird, ist durchaus möglich: Laut Landesjustizministerium Baden-Württemberg haben in jüngster Vergangenheit Übergriffe auf Justizvertreter sowohl analog als auch digital zugenommen. 2023 erreichten die sogenannten sicherheitsrelevanten Vorkommnisse gegen Gerichte und Staatsanwaltschaften mit 177 Fällen ein Vier-Jahres-Hoch. Dazu zählen laut Ministerium etwa Körperverletzungen, Bedrohungen oder Beleidigungen. "Festzustellen ist, dass Justizangehörige zunehmend Anfeindungen, mitunter sogar Angriffen, ausgesetzt sind. Eine verrohte und respektlose Kommunikation macht auch gegenüber der Justiz nicht halt", heißt es vom Stuttgarter Ministerium. Und die Vorfälle steigen weiter an: In diesem Jahr erfasste das Ministerium allein bis Ende Juli 132 Vorfälle.

Zudem steige auch die Zahl der Anfeindungen im Internet. Darauf weist Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) hin. Die digitalen Medien hätten mit dazu geführt, dass Hemmschwellen gesunken seien. "Ich glaube, dass sich da ein allgemeiner Trend niederschlägt, der sich in zunehmender Respektlosigkeit im Umgang gerade mit staatlichen Stellen ausdrückt", so Gentges.

Auch an Gerichtsvollzieher Thomas Hannß sind die zunehmenden Übergriffe auf seine Kolleginnen und Kollegen nicht spurlos vorbeigegangen. Zwar hat er noch keine körperliche Gewalt erlebt, versucht sich bei seinen Einsätzen aber, so gut es geht, zu schützen. Für die Zwangsräumung in Denkendorf hat er sich vorab über die Bewohner des Mietshauses beim Ordnungsamt informiert. Das Ergebnis: Es gab bereits Probleme im betroffenen Haus. Daher stehen heute zwei Polizeibeamte bereit, um im Fall der Fälle einzugreifen.

Die Arbeit von Justizvertretern soll wieder sicherer werden

Hannß‘ Schutzweste ist nur eines von mehreren Mitteln, wie sich Justizbedienstete vor Übergriffen schützen können. Gerichtsvollzieher seien mit Warnmeldern ausgestattet und könnten - wie Hannß - immer Polizeiunterstützung anfordern, wenn dies die Sicherheitslage erfordere. Die Mitarbeiter in den Gerichten im Land schützt eine Sicherheitsschleuse an der Pforte. Auch in der Ausbildung vieler Justizberufe seien zunehmende Übergriffe und Deeskalation Thema.

Im Februar vergangenen Jahres hat das Ministerium eine Anlaufstelle für Vorfälle im Netz eingerichtet - etwa bei Beleidigungen oder Schmähungen via Facebook. Betroffene Mitarbeiter können sich dort etwa beraten lassen, wie man Löschungsanträge stellt.

Gerichtsvollzieher halten während eines Pressetermins in Köln ihre Schutzwesten in den Händen. Auch in Baden-Württemberg stehen Gerichtsvollziehern Schutzwesten zur Verfügung.
Schutzwesten wie diese sollen Gerichtsvollzieher bei ihrer Arbeit schützen.

Strafverschärfungen für mehr Sicherheit?

Den Bundesrat beschäftigt derweil eine Initiative aus Berlin. Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) schlägt eine Verschärfung des Strafrechts vor. "Die Initiative ist Bestandteil einer noch intensiveren Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Das ist ein klares gesetzgeberisches Signal für einen besseren Schutz im Bereich der Justiz", so Badenberg.

Konkret soll der Nötigungstatbestand geändert werden. Beteiligte eines Strafverfahrens - wie Richter oder Staatsanwälte - zu nötigen, soll künftig mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft werden. Die baden-württembergische Justizministerin Gentges befürwortet den Berliner Vorschlag. Zwar seien Strafverschärfungen nicht das Mittel für alles. Dennoch: "Ich unterstütze diese Initiative, weil sie vor allem noch mal ein deutliches Signal setzt, dass wir solche Übergriffe auf Menschen, die vor Ort den Rechtsstaat repräsentieren, nicht dulden", betont sie im SWR-Interview.

Die Räumung in Denkendorf verläuft ruhig

Ein Restrisiko für die Justizvertreter wird wohl immer bleiben. Das gelte besonders für Gerichtsvollzieher, die oft in besonders emotionalen Situationen geraten. "Absoluten Schutz wird es nie geben. Dennoch sind wir hier in Baden-Württemberg relativ gut ausgerüstet, auch gerade im Vergleich zu anderen Bundesländern", sagt Manuel Schunger, Landesvorsitzender des Bunds der Gerichtsvollzieher.

In Denkendorf ist der Einsatz von Gerichtsvollzieher Thomas Hannß glimpflich verlaufen. Die Mieterin war nicht da und das wohl schon seit einigen Wochen nicht mehr. Hannß ist erleichtert. Seine Weste wird er bei der nächsten Räumung trotzdem wieder tragen - sicher ist sicher.

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