Mit den Verschwörungsgläubigen über Gefühle und Ängste sprechen
Wie und ob Angehörige den Verschwörungsgläubigen helfen können, hängt sehr vom einzelnen, konkreten Fall ab. Und der Zeitpunkt spielt eine Rolle. Wenn man zum Beispiel im Umfeld mitbekommt, dass jemand erst anfängt, sich mit verschwörungsmythischen Aussagen zu beschäftigen, kann man sie oder ihn etwa unterstützen, diese Aussagen zu überprüfen. Laut Sabine Riede, der Geschäftsführerin der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen, ist es wichtig, dass die oder der Betroffene so selbst den Lösungsweg findet.
Wenn die Person sich aber schon länger mit Verschwörungsmythen beschäftigt, hilft es meistens eher, mit ihr über die Gefühle und Ängste zu sprechen, die sie beschäftigen. Das ist auch die Strategie von Sabine Riede in den Beratungsgesprächen.
Verschwörungsmythos, Verschwörungserzählung oder doch Verschwörungstheorie?
Jeder dieser Begriffe scheint dasselbe zu meinen, aber so ist es nicht. Verschwörungstheorie ist der geläufigste. Doch Experten sagen: Durch das Wort „Theorie“ werde der Eindruck vermittelt, diese Behauptungen ließen sich wissenschaftlich widerlegen wie jede andere Theorie auch.
So funktionieren Verschwörungstheorien aber nicht. Besser sei daher der Begriff Verschwörungsmythos. Er macht die Schwarz-Weiß-Sicht der Verschwörungsgläubigen deutlich: Sie glauben an eine Welt, in der es ganz klar eine gute und eine böse Seite gibt, wie in einem Märchen.
Gefühl von Kontrollverlust: wichtige Erklärung für Verschwörungsmythen
Viele Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, haben den Drang, ständig über ihre Ideen zu sprechen. Widerspricht man einer ihrer Aussagen, gehen sie häufig gar nicht darauf ein. Vor allem, wenn Menschen schon tief im Verschwörungsglauben stecken, lassen sie sich kaum noch mit Fakten überzeugen, sagt Sabine Riede von der Sekten-Info NRW.
Das Gefühl von Kontrollverlust ist wichtig für die Erklärung, warum Menschen Verschwörungsmythen verfallen, vor allem in Krisenzeiten. In der Corona-Pandemie ist der Gegner ein unsichtbares Virus – vermutet man dahinter eine Verschwörung, wird die Krise kontrollierbarer. Plötzlich gibt es Menschen, denen man die Schuld geben kann.
Über 40 Prozent der Deutschen neigen zu einer Verschwörungsmentalität
Ob ein Freund oder Familienmitglied in Verschwörungswelten abdriftet – ganz grundsätzlich ist dafür vor allem entscheidend, wie stark die persönliche Tendenz dazu ausgeprägt ist.
Das wird in der Forschung Verschwörungsmentalität genannt und bedeutet: Jemand tendiert dazu, misstrauisch gegenüber Mächtigen zu sein. Diese Verschwörungsmentalität ist keine Ja- oder Nein-Frage. Sondern jemand kann eine stärkere oder schwächere Verschwörungsmentalität haben.
Die Mitte-Studie 2019 der Friedrich-Ebert-Stiftung hat ergeben: Über 40 Prozent der Deutschen neigen zu einer solchen Verschwörungsmentalität. Das heißt natürlich nicht, dass 40 Prozent der Deutschen an Verschwörungsmythen glauben, aber sie sind grundsätzlich empfänglicher dafür.
Männer glauben eher an Verschwörungstheorien als Frauen
Die Psychologin Pia Lamberty, die an der Universität Mainz zu Verschwörungsmythen forscht, ergänzt, dass Männer eher an Verschwörungstheorien glauben als Frauen.
Und dass Menschen, die sich politisch rechts verordnen, stärker an Verschwörungstheorien glauben, – das zeige sich nicht nur in Deutschland, sondern auch im amerikanischen Wahlverhalten oder bei Brexit-Wählern. Ihre Erkenntnisse fasst Lamberty auch in ihrem 2020 erschienenen Buch „Fake Facts“ zusammen.
Außerdem spielt die sogenannte Mustererkennung eine Rolle. Also das Phänomen, Muster zu erkennen, wo vielleicht gar keine sind. So gab es 2017 eine Studie, bei der Versuchspersonen abstrakte Gemälde betrachten sollten, die völlig chaotisch und unstrukturiert waren.
Wer trotzdem Muster in diesen Gemälden erkannte, tendierte auch stärker dazu, an Verschwörungen zu glauben.
Und auch das Bedürfnis, aus einer Menge herauszustechen, befördert den Verschwörungsglauben, genauso wie das Gefühl, sich über Verschwörungsmythen selbst aufwerten zu können.
Angehörige von Verschwörungsgläubigen sollten Kontakt aufrecht erhalten
Viele Faktoren können also dazu führen, dass ein Angehöriger oder eine Freundin beginnt, an Verschwörungsmythen zu glauben. Sie kommen häufig in Umbruchszeiten auf, also dann, wenn Menschen nach Sicherheit suchen. Das kann in Krisenzeiten sein wie der Corona-Pandemie, die viele Bürgerinnen und Bürger verunsichert.
Umbrüche in der Art, wie die Gesellschaft miteinander kommuniziert, befördern die Verbreitung von Verschwörungsmythen. Früher trug die Erfindung des Buchdrucks dazu bei. Heute ist es das Internet, das Verschwörungsmythen einen ganz neuen Verbreitungsweg gibt.
Wenn Menschen zu tief im Verschwörungsglauben sind, ist die eigene Erkenntnis manchmal der einzige Weg, sagt Sabine Riede von der Sekten-Info NRW. In dieser Situation können Angehörige nicht viel tun außer abwarten und den Kontakt aufrechterhalten.
Manchmal sind sie die letzten Anknüpfungspunkte an die Realität außerhalb der Verschwörungsmythen. Vielleicht sucht der Verschwörungsgläubige dann eines Tages nach einem Ausweg. Dabei braucht er Hilfe – und wendet sich dafür an den Angehörigen.
Nicht jedes Bundesland hat Beratungsangebote für Betroffene
Manchmal lässt sich ein Kontaktabbruch nicht vermeiden – aber dann können betroffene Angehörige zum Beispiel ganz klar sagen: Ich kann im Moment nicht mehr mit dir sprechen, mich belastet zu sehr, was du sagst. Manche Verschwörungsgläubige erreicht so eine Aussage, sie überlegen sich: Deshalb hat mein Freund den Kontakt zu mir abgebrochen?
Und wer nicht mehr weiter weiß, kann sich Hilfe bei Beratungsangeboten suchen. In Nordrhein-Westfalen gibt es zum Beispiel die Sekten-Info NRW, in Baden-Württemberg die Beratungsstelle Zebra. Aber nicht jedes Bundesland hat solche Anlaufstellen. Hier müsste mehr getan werden, findet Psychologin Pia Lamberty, denn Angehörige tragen eine hohe emotionale Last.
SWR 2020