Wenige Tage nachdem Maria Jesus zur Welt gebracht hat, machen ihr im Stall zu Bethlehem die „Sterndeuter aus dem Osten“ ihre Aufwartung. Als solche bezeichnet sie zumindest das Matthäus-Evangelium:
Der Evangelist erzählt in seiner Schilderung der Weihnachtsgeschichte von der Begegnung, er gibt aber weder die Namen noch die Anzahl der Weisen an. Auch als „Könige“ werden sie in der Bibel nicht bezeichnet. Vielmehr spricht der Text im altgriechischen Original von „magoi“ (Μάγοι). Das Wort kann mit „Zauberer“ übersetzt werden, oder aber als „Sterndeuter“.
Forscher vermuten heute hinter den „magoi“ der Bibel eine Gruppe von Astronomen aus Babylon. Im zoroastrisch geprägten Perserreich hatten gelehrte Sterndeuter eine bedeutende Stellung inne. Da die Fremden im weiteren Text dem Kind drei königliche Geschenke überreichen – Gold, Weihrauch und Myrrhe – macht die Bildtradition über die Jahrhunderte aus ihnen drei weise Könige.
Babylon: Wiege der Wissenschaft
Nicht zuletzt in der Astronomie beeinflussen uns noch heute die Erkenntnisse, die vor Jahrtausenden zwischen Euphrat und Tigris, in der Heimat der biblischen Weisen, gewonnen wurden. Unser Verständnis des Himmels und der Zeit speist sich in großen Teilen aus den Beobachtungen antiker babylonischer Gelehrter.
Sie waren es, die den Himmel in 360 Grad aufteilten. Sie legten den Zodiak fest, auf dem unsere heutigen Sternkreiszeichen beruhen und die den Sternenhimmel in zwölf Einheiten teilen – die Grundlage für die zwölf Monate des Jahres. Auch die Teilung des Tages in 24 Stunden geht auf die Himmelsbeobachtungen babylonischer Gelehrter zurück.
Doch nicht nur in der Sternkunde, auch in Disziplinen wie Sprachwissenschaft, Mathematik und Anatomie übten sich die Gelehrten des Zweistromlandes, wie wir aus überlieferten Keilschrifttafeln wissen. Zumeist fanden die Forschungsergebnisse dabei ganz pragmatische Anwendung im Alltag und halfen, die vielsprachige Umwelt oder die Heilung des menschlichen Körpers besser zu verstehen.
Unter dem Islam blüht die Wissenschaft
Auch Jahrhunderte nach Christi Geburt, lange nach der Islamisierung, florierten im Nahe Osten Wissenschaft und Kunst. Während Europa sich im Mittelalter im festen Griff der Kirche befindet, brachte das „Goldene Zeitalter des Islam“ große Mediziner, Dichter, Chemiker, Mathematiker und Astronomen hervor.
Ibn Sina, der „Fürst unter den Gelehrten“
Als „Fürst unter den Gelehrten“ gilt Ibn Sina (um 980-1037), dessen Lehren bis ins 17. Jahrhundert auch im Westen, latinisiert als Avicenna, das Verständnis der Medizin prägen. Ibn Sina ist nicht nur Mediziner, er ist auch Naturwissenschaftler, Philosoph, Dichter, Jurist und Politiker. In Buchara und später in Isfahan forscht und lehrt er.
Das gesammelte Wissen über den menschlichen Körper sammelt der Gelehrte im enzyklopädischen „Kanon der Medizin“. Er studiert die Schriften arabischer, persischer und griechischer Mediziner, unter ihnen Hippokrates und Galen, unterzieht sie praktischen Tests in der Krankenpflege und korrigiert die Anwendungen.
Ibn Sina gelingen Erkenntnisse über die menschliche Anatomie, Parasitenbefälle, Krebserkrankungen, Tuberkulose und die Auswirkungen der psychischen Verfassung auf das körperliche Wohlbefinden.
In Zeiten, in denen der Nahe und Mittlere Osten erneut einer der großen Krisenherde der Welt ist, denkt man nur selten an die wissenschaftliche Tradition, die aus babylonischen Sterndeutern Heilige Könige machte. Gerade deshalb sollte der 6. Januar dazu einladen, sich dieses kulturhistorische Vermächtnis einmal mehr vor Augen zu führen.